Kapitel 27

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Kapitel 27

Jeremy's Sicht

Die Zeit verging wie im Flug. Ich wusste nicht, dass knapp zwei Wochen sich anfühlen konnten wie zwei Tage. Doch so war es. Ich ging mit Evelyn jeden Abend joggen. Hauptsächlich, um mit ihr für ihre Prüfung zu üben, die genau heute stattfinden würde. Und ich tat es auch für mich selbst. Ich war zwar in den Ferien auf Strigoijagd und habe mich dadurch durchaus sportlich betätigt und lag nicht die ganze Zeit faul auf der Couch. Nichtsdestotrotz war ich nicht mehr so gut in Form wie vor der Reise. Meinen Noten würde es nicht schaden. Und mir persönlich auch nicht. Aber klar, dass alles war nicht der Hauptgrund. Ich tat es vor allem, um Zeit mit ihr zu verbringen. Evy und ich waren einfach auf einer Wellenlänge. Zugegeben, die Tatsache, dass sie eine äußerst starke Geistbenutzerin war, störte mich etwas. Naja, nicht stören. Der Gedanke daran nagte einfach ständig an meinem Unterbewusstsein. Mich ließ die Frage nicht los, wie viel sie tatsächlich von mir wahrnehmen konnte. Anmerken ließ sie es sich nicht. Man konnte nicht erkennen, wie viele Gedanken und Gefühle sie spürte. Es kam selten vor, dass sie direkt auf einen Gedanken von mir Bezug nimmt. Wenn ich mit ihr zusammen war, vergaß ich eigentlich immer ihre Gabe. Ich meine, sie gab einem einfach ein gutes Gefühl. Mir ging es so gut in ihrer Nähe. Ich konnte es nicht beschreiben, aber es war, als würde alle Last von meinen Schulten fallen. Nur für diesen Augenblick. Evy hatte wirklich ein sehr starkes Charisma.

„Mr. Dragomir, was tun Sie denn so früh hier?" begrüßte mich Wächter Johnson mit fragendem Blick, als ich an der Turnhalle ankam. Zum Glück ist über Nacht kein neuer Schnee gefallen. So waren die Wege noch gut freigeschaufelt vom Vortag geblieben. Ich zog mir meine Mütze gerade. „Ich wünsche Ihnen auch einen guten Morgen, Sir!" Erwiderte ich mit einem schiefen Grinsen. Evy stand bereits neben ihm und musste sich sichtlich ihr Lachen verkneifen. Unser Wächter schüttelte nur den Kopf. „Ich würde gerne mitlaufen, Sir" erklärte ich dann aber. Seine Augenbraue schoss in die Höhe. „Aber Sie müssen keinen Leistungsnachweis erbringen, Jeremy!" Formuliert war diese Aussage aber eher wie eine Frage. Seine Stimme wurde am Ende etwas höher. „Ich tue das für mich. Aber gegen einen Pluspunkt hätte ich natürlich auch nichts einzuwenden!" Ich grinste breit und klatschte meine behandschuhten Hände aneinander. „Also, legen wir los?"

Zwei Stunden später schlenderten wir beide auch schon in Richtung Speisesaal. Mein Puls raste immer noch, mein ganzer Körper brannte unter dem freigesetzten Adrenalin. „Das war super!" Ich grinste Evy breit an. „Einfach klasse, nicht wahr?" Sie zog bloß belustigt eine Augenbraue hoch. „Warum bist du so aufgekratzt? Wir gehen doch jeden Tag laufen!" Ich zuckte mit den Schultern. „So viele Runden bin ich nie mit dir gelaufen. Das war heftig. Irgendwie fühle ich mich jetzt so... befreit. Als ob ich alles schaffen könnte!" Ich atmete ein paar Mal tief durch. Vermutlich tat mir Evelyn besser, als ich es je vermutet hätte. „Also, was machen wir heute noch so?" fragte ich motiviert und legte meinen linken Arm um ihre Schultern. Sie lachte amüsiert auf. „Deine Euphorie ist ansteckend!" Wir mussten beide loslachen. „Wow, was ist denn mit euch beiden los?" ertönte auf einmal Oskars Stimme neben uns. Ich blieb stehen und drehte mich um, Evelyn immer noch dicht neben mir. „Oskar!" sagte sie erfreut und lächelte ihn an. „Ich habe eine meiner ersten Prüfungen bestanden!" Er riss begeistert die Augen auf und klatschte Beifall. „Super Evy, Respekt!" Sein Blick fiel kurz auf meinen Arm und unsere eng aneinander stehenden Körper. „Und du bist mitgelaufen?" fragte er mich etwas verdutzt. Ich nickte nur und ließ dann meinen Arm sinken. „Ja, solltest du das nächste Mal auch machen, ist ein super Training!" Er lachte auf und hob seine Hände noch. „Oh nein, danke. Mir reichem schon die Sessions mit meinem Dad jeden Samstag!" Sein Blick wanderte interessiert zwischen und beiden hin und her. Natürlich war ihm nicht entgangen, wie viel Zeit Evelyn und ich miteinander verbrachten. „Was macht ihr denn immer so?" fragte sie Oskar neugierig. „Oh, naja kommt immer drauf an. Meistens Boxen wir" er strich sich durch seine Haare. „Also, was steht bei euch heute noch so an?" fragte er uns beide schließlich. Evy und ich tauschten einen kurzen Blick. „Ähm, nichts Besonderes. Ich schätze, wir werden den Aufsatz zu ende schreiben, oder?" sie richtete die Frage an mich. „Oh ja, definitiv. Uns fehlen noch drei Seiten!" Ich nickte zustimmend. Oskar runzelte die Stirn. „Ihr wollt Hausaufgaben machen?" „Nein, das sind alles Aufgaben, die Evy abgeben muss, um ihre Prüfungen zu absolvieren" erklärte ich schnell. Sie nickte. „Und du hilfst ihr?" Wir beide schwiegen kurz und tauschten einen kurzen Blick. „Naja, Jeremy hat echt Ahnung. Ohne ihn würde ich mit den Aufgaben nie fertig werden!" Sie grinste mich breit an. „Es sei denn natürlich, du bist für mich bei meinem Essay in Philosophie von größerem Wert?" meinte sie grinsend zu Oskar. Dieser lachte sofort auf. „Oh nein, sicherlich nicht! Frag mich, wenn es um Geschichte geht. Oder Russisch!"

Vermächtnis der KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt