Kapitel 56 Der Held und der Schatten

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Meine Finger verteilten langsam die Asche über die Klinge, jedoch achtete ich trotzdem darauf keine Stelle zu übersehen.
Wieder ließ ich meine Finger in das goldene Gefäß gleiten.
Danach begann ich aufs Neue das Metall damit einzureiben.
Mein Herzschlag war dabei nicht gerade langsam.

Mir war klar, dass eine falsche Bewegung schon ein Schnitt bedeuten könnte. Ein Schnitt wiederum bedeutet das Aus.

Wie oft hatte ich mich bei rasieren geschnitten?
Ich könnte es nicht einmal schätzen. Jedes Mal hatte ich mich über meine eigene Dummheit geärgert.
Wenn ich mich dieses Mal in den Zeigefinger schnitt, war da keine Zeit wohl zum Ärgern mehr.

Auf keinen Fall ließ ich es so enden. Ich würde mich dann doch lieber fressen lassen, als verbrennen.

Wieder wollte ich meine Finger in die Asche tauchen, aber sie fanden keine. War das wirklich alles gewesen?
Ein beunruhigender Schrei von Avery sagte mir, dass das ohnehin egal war. Die Zeit rannte davon und nur noch wenig davon befand sich auf unsere Seite.

„Bitte geh nicht in Flammen auf", flüsterte ich.
Mein Gewissen meldete sich zu Wort, kaum als ich sein Handgelenk berührte. Gerold war bewusstlos.
Er könnte nicht Ja oder Nein sagen. Irgendwer musste nun für ihn entscheiden, was mit seinem Blut passierte.

Ich hasste den Fakt, dass ich diese Person war.
In meinen Kopf gab es keine Sicherheit darüber, was er wollen könnte. Natürlich wusste ich, dass es kaum für ihn in Frage kam, dass ich oder Avery starb, aber wollte er diesen Weg uns zu retten?

Ich legte meine Hand auf die Wunde. Ein Schauer lief meinen Rücken herunter.
War das okay?

Mir würde immer klarer, dass er wohl einen Kampf klar bevorzugt hätte und ich entschied mich für das Ritual.
Ich entschied mich für das was er nicht wollte.
Nur weil ich wieder einmal zu feige war!
Tränen brannten in meine Augen. Jedoch spornten die Geräusche hinter mir mich genug an, weiter zu machen. Es gab keine Alternative!
Ein Kampf könnte man gegen diese Übermacht nicht gewinnen.
Er würde das verstehen.
Er würde doch?

Ich strich mit Zeigefinger und Mittelfinger einen Strich in die Asche. In der Mitte von diesen sollte man noch ein Kreis mit dem Blut zeichnen.

Ich tat es.
Ich tat es und fragte mich währenddessen wozu all das bitte gut sein sollte.
Mir fiel kein Zweck ein.
Ukko hatte irgendwas von einer Symbolik geredet.
Wenn die Götter sich wirklich für uns interessierten, warum brauchten sie dann noch eine verfickte Symbolik?
Ich verstand es nicht.
Der Kreis war fertig und mit einem Blick über die Schulter stellte ich fest, dass gerade die anderen Wendigos heimkehrten.

Danke, Jame für diese tolle Ablenkung.

Mit der ansteigenden Zahl der Wendigos verschwand zumindest auch all meine Sorge und Zweifel.
Bis zum Ende hatten ein paar von diesen Hartnäckig in meinen Kopf gekauert und mir vorgehalten wie falsch das war.
Nun stieß ich den Dolch mit all meiner Stärke in die Schale.
Ein kleiner Kampfschrei war sogar meinen Mund entwichen.
Dann...
Ja, was war dann?

Ich blinzelte verwirrt und starrte zur Schussel.
Sollte nicht irgendetwas passieren, was zumindest filmreif war?
Vielleicht befanden wir uns auch einfach in einen deutschen Film und deswegen waren die Spezialeffekte so beschissen.
Gerade als ich Dolch und Schüssel in meinen Frust und anbahnenden Tränen in die nächste Ecke schleudern wollte, hielt ich inne.

Es war ganz plötzlich.
Etwas tief in mir sagte mir schlicht, dass ich das nun zu tun hatte.
Ich gehorchte ohne zu wissen warum. Selbst mein Atem hatte ich angehalten. Vor mir loderte die Flamme als wäre sie nie erlöschen.
Schließlich stolperte ich ein paar Schritte zurück ohne meinen Blick abzuwenden.
Nur was nun.

Ukko hatte gemeint, dass das wieder entfachen der Flammen alles lösen tat und es passierte erneut viel zu lange nichts.
Dabei mussten seine Wörter einfach der Wahrheit entsprechen.
Er hatte zum Teil recht gehabt und warum sollte der zweite dann falsch sein?
Noch immer starrte ich in die Flammen.
Nur fühlte ich mich nicht mehr länger gelähmt.
Mein Mund öffnete sich.
Ich hatte, dass Gefühl mir mit den folgenden Worten, mein Körper zurück zu holen.

Ich fühlte ihn wieder nachdem ich aus Leibeskräften geschrien hatte: „Tu was. Verdammt tu was! Ich habe dir doch dein Licht wiedergegeben und jetzt tue etwas. Bitte..."

Es passierte nichts, wie sollte ich da vertrauen haben?
Nicht mehr länger könnte ich die Tränen stoppen.
Sie liefen meine Wangen herab und tropften an meinem Kinn zu Boden. Auch ich könnte mich nicht mehr halten.

Ich stürzte schon fast, meine Beine hatten jegliche Kraft verloren mich zu tragen. Ich fühlte mich so leer. Es war als wäre keine Energie mehr in mir übrig.
Ich könnte nicht glauben, dass dieser gesamte Aufwand umsonst war, aber er war es.
Er war es und niemand könnte mehr das Gegenteil behaupten.
Alles war umsonst.

Fuck auf Adrael.
Fuck auf meinen plötzlichen Anflug von Nächstenliebe.
Ein besonders großes Fuck auf Ukko. Warum hatte er mir nur dieses Hoffnungsmachende Märchen erzählt? Fuck.
Ich wollte nicht mehr!

Ein Schluchzen entwich meinen Mund und das Bedürfnis sich einfach wie ein kleines Kind auf den Boden zu kauern würde immer größer.
Ich wollte doch nur aufwachen.
Mein Blick, von Tränen verschleiert, wanderte von tristem Boden zu Ger.
„Es tut mir leid", flüsterte ich und das immer wieder.
Ich könnte mich einfach nicht mehr stoppen.
Alles um mich und in mir schien immer weiter zu zerbrechen.
Ich könnte es einfach nicht begreifen, wie könnte die Bösen gewinnen?
Ein Schrei kam von meinen Lippen und im nächsten Moment starrte ich zu meiner Hand...
Zu unseren Händen.
„Das muss es dir nicht Bell", kam es leise von Gerold. Ich drückte kurz seine Hand, die meine genommen hatte und wischte mir die Tränen davon.

Mit klarem Blick blieb mir jegliche Erwiderung im Hals stecken.
Ich könnte wiedereinmal nur starren. Schließlich nach scheinbar endlosen Sekunden sagte ich mit krachziger: „Stimme deine Augen... Sie sind... Sie sind braun."

Huh, braun, dass wird Ger nicht gefallen und warum sind sie nicht mehr blau?

Das werdet ihr im nächsten Kapitel erfahren und nun könnt ihr mir gerne von euren Träumen erzählen:)●

Wachwandler - Die Schatten des TräumensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt