Kapitel 62 Geister oder Schatten

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„Ich kann das nicht mehr", murmelt ich. Keiner der beiden Männer sagte etwas und auch Ukko war still.

Nur James gleichmäßiges Schnarchen war zu hören.

„Ger bitte. Adrael hatte ei-"

„Nenn mich nicht so", war die grobe Antwort.

Ein leises Seufzen darüber entkam mir. „Ich sehe nur überall ihn.

In der Schule, in meinem Zimmer und es hat hier angefangen. Ich bin nicht verrückt", sagte ich. Mein Mund beeilte sich förmlich jedes Wort zu sagen, bevor er mich unterbrach.

„Avery ist tot und..."

Dieses Mal würde Gerold unterbrochen. „Sag ihr die Wahrheit, Gerold", versöhnlich legte Adrael seine Hand auf die Schulter des anderen Mannes, während er sprach.

„Ich sehe ihn auch", kam es schließlich von ihn. „Aber warum passiert uns das?", mein Blick richtete sich auf Ukko. Vielleicht hatten ihn seine Götter eine Antwort zukommen lassen.

„Ihr teilt euch immer noch ein Bund, was den einen belastet sieht der andere ebenso", war die kurze Antwort.

„Also ist er kein Geist", wisperte ich.

Es war nicht so als hätte ich Angst vor Geistern, aber Hirngespinste waren mir da deutlich lieber.

„Natürlich nicht. Geister gibt es nicht und jetzt Bella würde ich gerne schlafen.

Nur weil du die ungünstigen Zeiten wählst um hier aufzutauchen, heißt das nicht, dass wir uns alle nach dir richten", nahm Gerold wieder das Wort an sich und ich wollte ihn schon widersprechen, dann ließ ich es sein. „Na dann gute Nacht", meine Stimme klang etwas zickig, aber wer könnte es mir verübeln. Ich könnte natürlich auch versuchen zu schlafen, wie Gerold, aber ich wollte nicht wissen was er träumte.

Mir reichte es völlig wegen ihn Avery zu sehen.

Als er das Band noch unterdrückt hat, war da nichts.

In einen Streit hatte er mir mal an den Kopf geworfen, dass es besser wäre, wenn wir keine Partner wären. Vielleicht hatte er recht.

Mich schienen ohnehin alle zu hassen. Ella sprach ebenfalls kein Wort mehr mit mir. Ich sollte mich darüber wohl kaum wundern, aber zumindest von Gerold hatte ich etwas mehr erwartet. Ich entschloss mich ein paar Schritte zu gehen, während die anderen schliefen. Im Stillen kamen immer wieder die gleichen Gedanken hoch.

Entweder an Avery oder Estavio, die wegen mir tot waren oder an Gerold, der mich hasste.

Gerade war es keins von beiden.

Es war Option drei.

Gezeichnet, hatte es Ukko genannt.

Ich hatte jedes einzelne Wort dazu aufgesaugt und doch hatte ich noch immer keine genaue Vorstellung.

Was es sein sollte.

Ich fühlte mich nicht anders, aber gleichzeitig sollte ich von irgendwelchen Göttern berührt sein. Ein unwohles Gefühl breitete sich in mir aus, als ich daran zurückdachte wie mich dieser Blitz getroffen hat.

Es war keine Narbe zurückgeblieben. Natürlich nicht alle Verletzungen vergehen sobald ich aufwache, nur die Tattoos bleiben bestehen.

Ich würde Rieke gerne Fragen warum, aber sie hielt sich fern von mir.

Ein Wunder, dass Herr Borenski nicht auch noch ein scheinheiliger Grund gefunden hat mich nicht zu mögen... Wie alle.

Ich setzte mich auf einen Baumstamm. Mein Blick richtete sich zum Himmel. Es war nachts.

Die Tageszeiten in Nox Mundi hatte ich nie ganz verstanden.

Zumindest waren sie keinesfalls synchron zur Erde.

Dort war es gerade Mittag und ich lag mit Grippe im Bett.

Mein Kopf sah schlagartig auf, als sich was in meinen Augenwinkeln bewegte. „Oh, du schon wieder", murmelte ich und wandte mein Blick ab.

Nur weil ich ihn sehen könnte hieß es nicht, dass ich es wollte. Immerhin wusste ich nun, dass Gerold, der mit dem Problem war und nicht ich.

Das machte es weniger beängstigend. Ich wandte trotz dessen meinen Blick ab.

Tote Leute anzusehen, war nicht mein Ding, wenn es überhaupt das Ding von irgendjemanden war.

Ein Bild flackerte in meinen Kopf auf und fast instinktiv wollte ich aufschreien, so sehr entflammte es eine beklemmende Angst in mir.

Jedoch bevor es dazu kam, wurde aus dem Flackern ein Feuer und ein Bild nach den anderen zeigte sich mir. Meine Stimme versagte und nur mein Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei.

Ich versuchte meine Augen zu schließen. Ich wollte dies nicht sehen. Nie blieb ein Bild lang genug um die Details zu erkennen, aber immer bewusster würde mir das dort ein Horrorfilm vor meinen Augen abläuft. Ich versuchte sie nun wegzublinzeln, aber auch das klappte nicht.

Mir fiel erst auf das ich weinte, als die Tränen meinen Wangen herunterliefen. Ich umschlang mit meinen Armen meinen Oberkörper.

In Geist sang ich Alle meine Entlein nur um mich davon abzulenken, aber es nutzte nichts. Schließlich verlangsamte sich alles und ich erkannte den Saal von damals im Berg.

Mein Blickfeld drehte sich zur Seite und ein Keuchen entkam der Person... Gerold. Es war sein Traum, aber warum ausgerechnet jetzt musste er seinen Geist für mich offen? Wenn man es öffnen nennen könnte. Ich fühlte mich eher in seinen Geist gesaugt und egal wie sehr ich versuchte mich im hier und jetzt festzuhalten, es drängte mich nur weiter in sein Bewusstsein.

Seine Gefühle schwappten zu mir herüber und ich verstand nicht alles. Da waren nur diese plötzliche Verzweiflung und Ungewissheit mit ein großen Klumpen Unglauben.

„Das kann nicht sein", es war nur ein Wispern, was seinen Mund verließ und trotzdem war es der Auslöser was zu tun. Mit Leichtigkeit sprang er auf. Ich fühlte etwas Nassen an meinen Fuß. Als Gerold nach unten sah, bemerkten wir, dass es sich dabei um Blut handelte.

Ich verzog angeekelt mein Gesicht, er lief dagegen weiter. Sein Blick war von nun an fest an die andere Person auf den Boden geheftet.

Noch einmal wollte ich mich aus seinem Traum befreien. So laut schreien, dass er aufwachen musste.

Ich wollte es nicht miterleben.

Ich wollte nicht den Moment erleben, wo er angefangen hat mich zu hassen. Eine Stimme drang zu uns durch, wahrscheinlich Ukko, den die Wendigos waren alle tot, aber Gerold entschied sich sie nicht zu beachten.

Er schien wie ausgewechselt zu sein und mit jedem Schritt schienen seine Gefühle abzuflachen.

Stattdessen trat da eine Leere auf.

Es fühlte sich an, als hätte man Tagelang nicht mehr gegessen, aber egal wie viel man in sich hinein Stopfte, nichts könnte es wieder füllen.

Nun waren die Spitzen von Gerolds Stiefel nur noch ein Meter von leblosem Körper entfernt.

Sein Blick war absolut starr auf den anderen Elf gerichtet.

Ich merkte wie er seinen Mund öffnete um etwas zu sagen, aber es ihn nicht gelang.

Erneut regte sich Unglaube in ihn, aber sie verschwand und ließ nur Leere zurück.

Wir beide wussten, dass es kein Unglaube in dieser Sache gab.

Der tote Körper vor uns war Avery. Während ich versuchte es zu verdrängen, prägte sich das Bild in Gerolds Kopf ein.

Dann keimte ein Gedanke eine Idee in seinen Kopf auf.

Ekel überkam mich wie ihn darüber und trotz dessen war er bereit es zu tun. Ihn zurückbringen egal als was oder wie.

Erst als Gerold die Pfeilspitze vom zerbrochenen Pfeil aufhob, schien er zu bemerken, dass der einstige verlorene Arm ersetzt war.

Kurz sah er es nur verwundert an, dann schnitt er sich in die linke Hand. „Junge, glaub mir, dass willst du nicht tun", erst jetzt schien Ukkos Stimme zu ihn durchgedrungen zu sein. Verwundert musterte er kurz den Drachen, dann meinte er: „Ich denke schon"

Wachwandler - Die Schatten des TräumensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt