Geschichtenerzähler

2. März - Paper_Rose - Frühlingsanfang

Ich sah, wie die Sonne langsam aufging und das Land erhellte. Der Schnee auf den Bergen glitzerte und auch auf ein paar Feldern lag noch eine dünne Schneeschicht. Aber der größte Teil des Bodens war matschig und viele Pfützen waren zu sehen. Viele Straßen durchzogen das Land und doch war ab und zu auch ein Baum, ein Busch oder eine Rasenfläche zu sehen. Die Bäume waren kahl und der Rasen braun. Es lagen auch noch ein paar herunter gefallene Blätter aus dem Herbst herum. Doch es war Ende Februar, fast März, und bald würde das Land wieder grüner werden. Zu gern würde ich es sehen, wenn es Sommer wäre. Ich war sicher, es würde fantastisch aussehen. Doch wenn es Zeit für den Sommer war, war ich schon weg. Klar, der Frühling ist auch schön anzusehen, mit den Blumen, die langsam wachsen und aufblühen, doch ich würde das Land gerne mal zu einer anderen Jahreszeit sehen. Im Moment war es aber noch Winter und die Luft war kalt, so kalt, dass sich kleine Dampfwölkchen bildeten, wenn man ausatmete. Offenbar hatte der Winter noch einen Endspurt eingelegt, aber es reichte nicht, um das ganze Land mit Schnee zu bedecken.

Winter war sehr schwach in letzter Zeit. Ich machte mir Sorgen um ihn, schließlich war er mein Bruder, doch ich konnte ihm nicht helfen. Meine drei Geschwister, Sommer, Herbst und Winter, und ich, waren rund um die Uhr an der Arbeit. Selbst nachts konnten wir uns kaum ausruhen. Da war kaum Zeit sich um die Anderen zu kümmern, aber ich hoffte, es würde Winter bald besser gehen. Doch da der Winter nur schwach war, war es für mich jetzt einfacher, meiner Aufgabe nachzugehen und den Frühling über das Land zu bringen.

Nach einem Jahr konnte ich jetzt auch endlich mein Lieblingsland besuchen. Deutschland. Ich weiß nicht genau, was ich an diesem Land so toll finde. Doch ich liebe es, Deutsch zu sprechen und zu hören. Es ist eine schöne Sprache, aber sie ist ziemlich schwer. Auch die Deutschen selbst faszinieren mich. Ich weiß nicht, wie lange ich schon arbeite, es ist einfach eine zu lange Zeit, aber ich konnte die Entwicklung der Deutschen miterleben. Ich habe gesehen, wie grausam sie sein können, zum Beispiel im 2. Weltkrieg. Aber auch die guten Seiten. Ich bin überrascht, wie schnell sie sich wieder aufgerichtet haben.

Ich überlege, an welchem Ort ich das erste Zeichen für den Frühling setzen soll. Ich fliege etwas über die schneebedeckten Berge. Es erscheint mir als eine gute Idee, eine Blume aus dem Schnee wachsen zu lassen. Als Anfang. Der Schnee glitzert und ist so weiß, dass er mich blendet. Ich fliege näher an den Boden und berühre ihn leicht mit meiner Hand. Der Schnee ist kalt und er wirbelt auf, als ich darüber hinwegfege. Für die Welt bin ich nicht zu sehen, nur ein Windhauch ist zu spüren. Ich steige wieder auf und fliege über ein kleines Waldstück. Auf einem Wanderweg entdecke ich eine Schulklasse. Ich fliege näher heran und beobachte sie eine Weile. Sie quatschen und lachen und ich genieße es ihnen zuzuhören.

Ich entdecke ein Mädchen, das etwas weiter entfernt von den anderen läuft. Ich lasse mich zurückfallen und schwebe neben ihr her. Es wirkt so traurig und alleingelassen. Ich würde gern wissen, was in ihrem Kopf vorgeht. Die Klasse legt eine Pause ein. Alle setzen sich auf Bänke und als das Mädchen an ihnen vorbei geht, stellt ein anderes ihr ein Bein. Sie stolpert und fällt auf den Boden. Alle lachen sie aus, niemand hilft ihr hoch. Sie rappelt sich auf und klopft sich den Schnee von der Jacke. Langsam, den Kopf gesenkt, geht sie zu einer leeren Bank und setzt sich. Ich sehe sie an und entdecke Tränen in ihren Augen. Sie tut mir leid. Ich würde ihr gern helfen, doch ich kann nicht mit ihr reden oder in das Geschehen eingreifen. Mir kommt plötzlich eine Idee, wie ich ihr ein bisschen Trost spenden kann. Ich gehe neben ihr auf die Knie und greife nach meiner Magie. Langsam wächst eine Pflanze neben ihrem Schuh aus dem Schnee. Als das Schneeglöckchen komplett aufgeblüht ist, huscht ein kleines Lächeln über ihr Gesicht. Sie bückt sich und eine Moment lang dachte ich, sie würde die Blume ausreißen, aber sie streicht nur über die Blüte und flüstert lächelnd:
„Es wird Frühling.“