Kapitel 1

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Die Schattenmesse war nicht gerade der Ort, an dem man sich gerne aufhielt. Der Schwarzmarkt der Wesenwelt lag versteckt in einem verlassenen U-Bahn-Tunnel. Als Medusa ihr erzählt hatte, dass sie sich hier einmal umschauen sollten, hätte Cassandra gedacht, dass man den Markt durch einen versteckten Eingang oder ähnliches betrat, doch, dass man diesen Tunnel ganz normal mit einer U-Bahn erreichen konnte, hatte sie nie im Leben gedacht.
„Das ist gruselig hier.", flüsterte sie und sah sich vorsichtig auf der Schattenmesse um. Medusa schob sie weiter vor sich her. „Einfach weitergehen und den Gestalten hier nicht zu lange in die Augen schauen."
Cassandra umklammerte ihre Armbrust fester. „Das sagt sich so leicht. Manche haben nur ein Auge und andere hier sehen aus als wären sie gerade einem Horrorfilm entsprungen. Da fällt es mir wirklich schwer nicht zu gucken."
Medusa seufzte. „Was passiert mit Leuten in Horrorfilmen, die zu lange auf die Monster starren?"
Cassandra zögerte kurz. „Sie sterben.", erwiderte sie schließlich.
„Siehst du? Willst du das etwa?"
Cassandra schüttelte den Kopf. „Darauf könnte ich wirklich verzichten. Erzählen Sie mir jetzt bitte, was wir hier genau machen? Worauf müssen wir achten?"
Medusa ließ ihren Blick über einen Stand mit verschiedenen Schmuckstücken gleiten.
„Auf komische Dinge."
„Das ist ja wirklich sehr aufschlussreich. Alles hier ist komisch."
Medusa nahm ein ledernes Armband mit einer türkisenen Perle in die Hand und bezahlte sie bei dem Verkäufer. „Gegen den Verkauf von Zaubertränken und magischen Amuletten können wir nichts sagen und dann müssten wir auch den ganzen Markt auflösen. Dafür sind wir aber nicht hier. Das ist nicht unser Aufgabengebiet. Wir sind hier, weil der Rat uns informiert hat, dass hier mit Wesen gehandelt werden soll. Wir sollen das bestätigen.", meinte sie und ließ das Armband in ihrer Manteltasche verschwinden.
Cassandra biss sich auf die Unterlippe. „Als ich in den Tagebüchern meines Großvaters von der Schattenmesse gelesen habe, habe ich gedacht, dass es Menschen sind, die hier Wesen verkaufen. Ich hätte nicht gedacht, dass es auch andere Wesen sind."
Medusa legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Die Welt ist grausam Cassandra."
Mit diesen Worten bog sie in einen kleineren Tunnel ein. Cassandra folgte ihr. Am Ende jenes Tunnels konnte sie ein großes Zelt erkennen, in welches die Menschenmassen gerade zu hineinströmten. Sie schluckte. „Suchen wir nach so etwas?"
Medusa nickte. „Ja, genau nach sowas suchen wir."
Bevor sie das Zelt betraten, hielt Medusa Cassandra an den Schultern fest und drehte sie zu sich. „Das was du da drinnen sehen wirst, wird dir nicht gefallen."
„Ich hab auch nicht gedacht, dass dort drin Zuckerwatte verkauft wird.", antwortete Cassandra, „Ich bin jetzt seit über einem Jahr bei den Beefeatern. Ich schaffe das schon. Notfalls schieße ich den Bösen einen Pfeil ins Bein." Sie legte den Kopf schief. „Oder notfalls auch in die Brust. Je nachdem was mir in diesem Fall sinnvoller erscheint."
Medusa lächelte. „Manchmal glaube ich, dass ich einen schlechten Einfluss auf dich habe."
„Warum? Weil ich weiß wie man Leute erschießt? Hätte ich das schon früher gewusst, wäre so viel besser gelaufen."
„Und du wärst im Gefängnis."
„Das vielleicht auch. Wollen wir jetzt endlich reingehen?"
Medusa nickte. Zusammen betraten sie das Zelt, welches von Drinnen viel größer war, als man von außen angenommen hätte. Cassandra schnappte für einen kurzen Moment nach Luft. In dem Zelt standen drei eiserne Käfige, aneinandergereiht und mit großen Vorhängeschlössern verschlossen. In ihnen kauerten die unterschiedlichsten Wesen.
Die Wesen, die Cassandra bis jetzt gesehen hatte, hatten alle vorher wenigstens ansatzweise einem Menschen geglichen, doch diese Kreaturen taten dies nicht. Sie sahen aus als wären sie einem Fantasy Film entsprungen, in denen man solche Wesen mit dem Computer animierte. Doch diese hier waren echt und sie wirkten verängstigt. Sie erkannte einen roten Vogel, dessen Flügel in Flammen zu stehen schienen. Cassandra kannte dieses Wesen aus den Büchern, die sie im Zentrum gelesen und für die Jägerprüfung fast vollständig auswendig gelernt hatte. Es handelte sich um einen Phönix.
Vor dem danebenstehenden Käfig drängte sich eine Traube an Menschen, sodass Cassandra keinen Blick auf das Wesen darin werfen konnte, also trat sie auf den letzten Käfig zu und umfasste einen der Gitterstäbe. In dem Käfig kauerte ein großer schwarzer Panther mit lilanen Punkten, der sie aus großen Augen verängstigt anschaute. Zwischen seinem Fell blitzte blanke Haut hervor, die von blutigen Schnittwunden überzogen wurde.
Cassandra schluckte erneut, als sie die Fesseln bemerkte, die sich um jeden einzelnen seiner Pfoten schlangen. „Wir holen dich da raus.", flüsterte sie und zog einen Dietrich aus ihrer Jackentasche, „Versprochen." Sie begann mit dem Dietrich in dem Schloss herumzustochern. Gerade, als ein leises Klicken erklang, zog sie jemand von dem Käfig weg. Cassandra wirbelte herum und starrte in ein, von tiefen Falten, zerfurchtes Gesicht.
„Tritt von dem Käfig zurück du kleine Göre.", fauchte der Mann und krallte seine Finger weiter in Cassandras Arm. Diese biss die Zähne zusammen und riss sich los. „Sie haben mir gar nichts zu sagen.", zischte sie.
Der Mann führte eine Hand zum Gürtel. Seine Finger streiften den Griff eines Messers. Gerade wollte er es aus dem Gürtel ziehen, als jemand seine Hand ergriff und ihn somit an seinem Vorhaben hinderte.
Medusa stand hinter ihm. „Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun. Sie wollen doch keine Probleme, habe ich Recht?"

Medusa 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt