Kapitel 18

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Vier Augenpaare schauten auf das Display von Cassandras Handy. Als das Video geendet hatte, schlug Medusa mit der flachen Hand auf den Tisch. „Mistkerl! So ein verdammter Mistkerl!", fluchte sie.
Claas legte die Stirn in Falten. „Ich glaube, mit fehlen ein paar Informationen. Ihr scheint ja zu wissen, um was es hier genau geht, aber ich sehe hier nur ein Video von einem Mann, der ein Medikament gegen Krebs herausbringen will. Das ist doch etwas Gutes, oder nicht?"
Cassandra stieß die Luft aus. „Mal abgesehen davon, dass der Mann Wesen auseinandergenommen hat, um dieses Mittel zu entwickeln."
Claas wurde schlagartig blass. „Das ist der Kerl, der Alexander, Jen und Amber entführt hat?"
Cassandra nickte. „Zu einhundert Prozent. Ich habe diesen Kerl auf der Schattenmesse gesehen. Es war nur kurz, aber ich bin mir sicher, dass es derselbe Mann war."
„Picket Medicine...", murmelte Fynn und schaute zu Cassandra. „Heißt der Kerl zufällig Picket mit Nachnamen?"
„Keine Ahnung. Kann sein, dass sie seinen Namen gesagt haben, aber ich habe ihn nicht gehört."

Claas hob abwehrend die Hände. „Mir fehlen immer noch Informationen. Dieser Mann ist der Grund dafür, dass Alexander nicht aufwacht?"
Cassandra sah ihn mitfühlend an. „Es geht ihm also noch immer nicht besser?"
Claas schüttelte den Kopf.
Fynn verdrehte die Augen. „Wenn ihr beide hier gewesen wärt, wüsstet ihr schon längst, was Medusa und ich herausgefunden haben, denn das deckt sich ganz genau mit diesem Video.", murrte er.
„Wir waren aber nicht hier!", fauchte Cassandra, „Es wäre so viel einfacher, wenn du uns einfach aufklären würdest."

„Wenn ihr beide nicht so eine verkorkste Beziehung hättet, kämen wir bestimmt schneller voran. Amber meinte, dass ihr gut seid in dem, was ihr tut. Ich hatte gehofft, dass wir Alexander finden und den Verantwortlichen zur Strecke bringen würden, aber da habe ich mich wohl getäuscht, denn ihr habt zu viel mit eurem eigenen Schwachsinn zu tun!"
In dem Raum war es mit einem Schlag totenstill geworden. Claas schob seinen Stuhl zurück und stand auf. Mit schnellen Schritten entfernte er sich vom Missionstisch. Cassandra seufzte und stand ebenfalls auf. Ohne zu zögern lief sie ihm nach. Medusa und Fynn schauten sich verwirrt an. Fynn raufte sich die Haare. „Das lief ja toll."
Medusa überschlug die Beine. „Er hat aber nicht gerade Unrecht."
Fynn starrte sie sprachlos an. „Du schlägst dich auf seine Seite?!"
„Nein, ich sage nur, dass er recht hat. Ich schlage mich hier auf gar keine Seite."
Fynn lehnte sich zurück. „So kommen wir nicht weiter. Was machen wir denn jetzt?"
„Wir packen das Problem bei der Wurzel.", erwiderte Medusa, „Wir gehen auf diese Vorstellung."

„Ihr geht wohin?", fragte eine müde Stimme hinter ihnen. Medusa legte den Kopf in den Nacken, um zu erkennen, wer da hinter ihr stand. Als sie Jen erkannte, sprang sie von ihrem Stuhl auf und nahm ihr Gesicht in beide Hände. „Geht es dir gut? Brauchst du etwas?"
Jen lächelte. „Mir geht es gut. Ich- ich musste mich nur etwas sammeln." Medusa ließ ihre Hände sinken. „Dann ist ja gut."
Sie drehte sich von Jen weg, was diese nutzte, um Fynn einen eindringlichen Blick zu zuwerfen. Dieser erwiderte ihn und machte ihr damit klar, dass er Medusa nichts erzählt hatte. Ihn verwunderte es jedoch, dass sich Jen zu ihnen gesetzt hatte. Als er sie vor einigen Stunden besucht hatte, hatte sie auf ihn nicht gerade den Eindruck gemacht, als würde sie sich freiwillig mit dem Fall befassen wollen.
Jen ließ sich auf einen freien Stuhl fallen. „Also, was habe ich alles verpasst?"
Medusa verschränkte die Arme. „Vieles.", sagte sie leise. Gerade wollte sie Jen auf den neusten Stand bringen, als Cassandra wieder den Missionsraum betrat. „Claas hat sich im Krankenzimmer verbarrikadiert. Er-"
Als sie Jen sah, rannte sie auf sie zu und schlang die Arme um sie. Erleichtert schluchzte sie auf. „Ich hatte solche Angst um Sie!"
Jen erwiderte ihre Umarmung. „Mir geht es gut.", flüsterte sie, „Mir geht es gut."
Auf alle anderen Anwesenden mussten diese Worte so geklungen haben, als würden sie der Wahrheit entsprechen, doch Fynn wusste ganz genau, dass das eine Lüge war. Ihr ging es nicht gut.
Cassandra löste sich von Jen und wischte sich verstohlen über die Augen. Dann schwang sie sich auf den Missionstisch und ließ die Beine baumeln. „Claas hat sich im Krankenzimmer eingeschlossen." Sie sah Fynn vorwurfsvoll an. „Das hast du ja wirklich toll hingekriegt."
Medusa hob abwehrend die Hände und beobachtete dabei Jen aus dem Augenwinkel, die sich die Augen rieb. „Keinen Streit bitte."
„Warum hat er sich denn im Krankenzimmer eingeschlossen?", fragte Jen verwirrt und gähnte, „Und wie hat er es überhaupt hingekriegt? Soweit ich weiß steckt da kein Schlüssel."
Cassandra musste sich ein Grinsen verkneifen. „Er hat ein anderes Bett davorgeschoben."
Jen starrte die drei nacheinander an. „Was habt ihr nur mit diesem armen Kerl gemacht?"
Fynn machte sich auf seinem Stuhl ganz klein. Er hasste sich selbst dafür, dass er diesen Streit überhaupt begonnen hatte. „Das ist etwas worüber wir nicht mehr reden sollten.", murmelte er, „Wir sollten lieber darüber reden, was Medusas Gehirn schon wieder ausarbeitet."
Cassandra zog eine Augenbraue hoch. „Es hat etwas mit dem Video zu tun, habe ich recht? Muss ich in Deckung gehen?"
„Welches Video denn?", fragte Jen.
Ehe Medusa sie davon abhalten konnte, hielt Cassandra Jen ihr Handy bereits unter die Nase und spielte das Video ab.
Medusa beobachtete mit großer Besorgnis, wie Jen während des Videos immer blasser und blasser wurde. Ein grauenhaftes Quitschen durchdrang den Raum, als sie mit ihrem Stuhl näher an ihre Freundin heranrutschte. Langsam zog sie das Handy von ihr weg und schaltete es aus. Jen schluckte und schaute auf ihre Hände. Medusa hob ihr Kinn an. „Hey, schau mich an, okay? Du bist hier und du bist in Sicherheit."
Jen sah sie an. In ihren Augen konnte Medusa ihre kalte Angst erkennen. „Du bist in Sicherheit.", wiederholte sie eindringlich.
Jen nickte langsam. „Ich weiß.", sagte sie leise und holte tief Luft. Dann räusperte sie sich. „Das ist der Mann, der mich gefangen genommen hat.", erklärte sie dann mit überraschend gefasster Stimme.
Cassandra biss sich auf die Unterlippe. „Es tut mir leid Jen. Ich habe nicht nachgedacht."
Jen winkte ab und zwang sich zu einem Lächeln. „Ist schon in Ordnung. Wir werden ihm das Handwerk legen, habe ich recht?"
Ihre Freunde nickten. Medusa lächelte. „Ganz genau! Der wird nicht ungestraft davonkommen. Das verspreche ich dir."
Jen überschlug die Beine. „Könnt ihr mir erzählen, was ihr herausgefunden habt?"
Medusa zögerte. „Bist dir sicher?"
Jen nickte. „Ja das bin ich. Was wollt ihr unternehmen?"
Medusa lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. „Der Rat will Beweise sehen. Beweise, die beweisen, dass es bei der Herstellung nicht mit rechten Dingen vorgegangen ist. Vor Gericht werden eure Aussagen zwar reichen, um ihn wegen Entführungen hinter Gitter zu bringen, aber der Rat will genauere Fakten und Beweise, die auch das Übernatürliche mit einschließen, um seine blöden Berichte zu schreiben. Was wir also machen werden ist uns auf diese Vorstellung zu schleichen und nach Beweisen zu suchen, die auch den Rat zufrieden stellen und vielleicht finden wir ja auch noch etwas belastendes für das Gericht."
Cassandras Augen wurden groß. „Und wie kommen wir da rein?"
Fynn deutete auf sich selbst. „Ich schätze mal es wird meine Aufgabe sein eine Einladungskarte zu beschaffen, richtig?"
Medusa zog eine Augenbraue hoch. „Woher weißt du das denn?"
Fynn zuckte mit den Schultern. „Intuition.", entgegnete er und griff nach seinem Tablet, „Ich mache mich dann mal an die Arbeit."
Medusa sah wieder zu Jen, die etwas abwesend in die Leere starrte. „Du musst nicht mitkommen, wenn du nicht möchtest."
Jen zuckte zusammen. „Ich will aber mitkommen.", protestierte sie. Medusa legte eine Hand auf ihre. „Vielleicht ist es aber besser, wenn du dieses Mal aussetzt."
Jen verschränkte die Arme. „Und wer passt dann bitte auf, dass ihr nicht irgendwas Dummes anstellt? Mir geht es gut Medusa, wirklich."
„Aber es wäre sicherer für dich, wenn du hier bleibst. Wenn er dich sieht, könntest du dich in Gefahr bringen, schließlich bist du ihm entkommen."
Jen zuckte mit den Schultern. „Ich kann mich verkleiden. Meinetwegen eine Perücke aufsetzen. Mich wird schon keiner erkennen, da bin ich mir sicher."
Cassandra schaute zwischen den beiden Frauen hin und her. Normalerweise versuchte Jen Medusa aus gefährlichen Situationen herauszuhalten und nun war es anders herum und Jen wollte sich direkt in die Gefahr stürzen. Sie schüttelte den Kopf. „Das verstehe wer will.", murmelte sie kaum hörbar.

****

Fynn schaute durch die kleine Glasscheibe der Krankenzimmertür. Er erkannte Claas, der vor Alexanders Bett saß und sein Gesicht in den Händen verbarg. Fynn schluckte. Durch die Tür klang leises Schluchzen. Er reckte den Hals und betrachtete das Bett, dass Alexander vor die Tür geschoben hatte. Es stand quer vor der Tür. Fynn schloss für einen kurzen Moment die Augen und holte tief Luft. Dann machte er eine Handbewegung und beobachtete wie sich das Bett langsam und lautlos von der Tür wegbewegte. Er drückte die Klinke herunter und betrat den Raum.

Claas versuchte seine Anwesenheit zu ignorieren, doch die ungeheure Wut, die ihn überkam, als Fynn das Zimmer betreten und die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ ihn doch aufschauen. „Was willst du?"
Fynn knetete seine Hände. „Es tut mir leid Claas. Es- es geht einfach gerade alles drunter und drüber und ich weiß nicht wo mir der Kopf steht.", sagte er leise.
Claas schaute ihn jetzt direkt an. Seine Augen schimmerten in einem grellen Grün. Fynn erinnerte sich an seine Panther Gestalt, die sie in Ambers Laden zu Gesicht bekommen hatten. Seine Augen hatten in demselben Grün geleuchtet doch damals war es nicht im Ansatz so furchteinflößend gewesen, wie es jetzt war.
Fynn hob beschwichtigend die Hände. „Claas, ich weiß ich habe mich scheiße verhalten. Ich kann nicht von dir verlangen, dass du dich mit unserem Problem auseinandersetzt, wenn du selbst ein viel Größeres hast."
Claas glühende Augen verschwanden. Er wirkte jetzt einfach nur noch müde und ausgebrannt. Fynn lehnte sich gegen die Wand, während Claas wieder zu Alexander schaute. „Dich trifft keine Schuld Fynn. Ich sollte mich entschuldigen. Ihr macht einen tollen Job und setzt alles daran den Verantwortlichen zu schnappen, aber ich- ich fühle mich einfach nur hilflos.", murmelte er mir zittriger Stimme, „Ich konnte ihm nicht helfen. Ich- kann ihm nicht helfen. Amber sagt zwar, dass das Mittel nur seine Zeit braucht zu wirken, aber inzwischen glaube ich das nicht mehr."
Er beugte sich vor und strich Alexander eine Strähne aus dem Gesicht, wobei seine Finger den Stumpf seines Hornes streiften.
Fynn stieß sich von der Wand ab. „Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben.", entgegnete er eindringlich, „Es wird besser werden. Du musst nur-"
„-daran glauben? Fynn, ich glaube schon seid Ewigkeiten daran, dass es besser wird, aber das tut es nicht. Wo ich auch hingehe, die schlechten Dinge scheinen mir zu folgen." Er wischte sich über die Augen. „Und Glaube wird mir Alexander nicht wiederbringen. Ich habe einfach das Gefühl, dass- dass er schon tot ist. Dass er nur noch atmet, aber dass sein Geist schon lange verschwunden ist."
Fynn machte einen Schritt nach vorne und legte eine Hand auf Alexanders Stirn. Warmes Licht erhellte den Raum. Claas schloss geblendet die Augen. „Was zum Teufel machst du da?", schrie er. Fynn reagierte nicht. Er stand einfach nur da und bewegte sich nicht. Claas' Herz raste. Er packte Fynn an den Schultern und zog ihn weg.
Fynn blinzelte ein paar Mal. Claas sah ihn eindringlich an. „Was ist los? Hast du etwas gesehen? Rede mit mir!"
„Ich muss Mara anrufen!", rief Fynn aufgeregt.
„Warum denn? Was ist denn los? Geht es ihm schlechter? Was soll Mara dann dagegen tun? Sie meinte, dass weder du noch sie ihn heilen könnten. Fynn, ich verstehe kein einziges Wort."
Fynn hatte inzwischen sein Handy aus der Tasche gezogen und wählte Maras Nummer. Er lief unruhig im Zimmer auf und ab, bis Mara sich endlich meldete.
„Du bist ein Idiot! So, eigentlich wollte ich dir das schon vor Stunden sagen, aber da war ja Medusa an deinem Telefon. Jetzt weißt du es wenigstens."
Fynn fuhr sich durch die Haare. „Ja, ja ich weiß das."
Für einen kurzen Moment herrschte Stille am anderen Teil der Leitung. „Was willst du?"
„Du hast mir doch mal erzählt, dass du eine Traumwandlerin bist."
„Ja, weil meine Mutter eine war. Fynn, was geht in deinem Kopf vor?"
„In meinem Kopf geht gar nichts vor. In Alexanders Kopf geht etwas vor."
Claas öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Fynn hob einen Finger und bedeutete ihm damit still zu sein.
„Was geht in Alexanders Kopf vor?", fragte Mara eindringlich.
„Ich habe versucht in sein Bewusstsein einzudringen, aber ich bin auf eine Wand gestoßen, die eigentlich nicht da sein sollte. Ich glaube, dass Alexander in seinem Unterbewusstsein feststeckt. Weiß der Himmel wie er dahingekommen ist. Wahrscheinlich war das eine Nebenwirkung von dieser Durchdrehdroge, aber das ist eigentlich auch egal. Deswegen wacht er trotz Ambers Gegenmittel nicht auf."
Am anderen Ende der Leitung herrschte wieder Stille. Es dauerte eine Weile bis sich Mara wieder meldete. „Wir treffen uns morgen Nachmittag in der vergessenen Welt. Ich muss noch einiges vorbereiten. Bring Claas und Alexander mit."
Ohne eine Verabschiedung legte sie auf. Fynn steckte das Handy wieder in die Tasche. Claas stand mit verschränkten Armen vor ihm. „Aufklärung bitte. Er ist mein Freund und ich hasse es nicht zu wissen, was mit ihm passiert. Was hat das alles zu bedeuten?"
„Ich glaube, dass Alexander in einem Unterbewusstsein gefangen ist. Deswegen kann er nicht aufwachen."
„Und Mara kann ihn da wieder rausholen?"
Fynn nickte. „Und Mara kann ihn da wieder rausholen."

Medusa 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt