Cassandra erwachte von einem stechenden Schmerz, den sie nicht ganz ausmachen konnte. Er erschien ihr unwirklich und doch war er da. Schwerfällig öffnete sie die Augen. In diesem Moment hörte sie Fynn schreien. Ihr Herz schlug schneller. „Fynn! Fynn wo bist du?!"
Wieder schoss der Schmerz durch ihren Körper. Im selben Moment zerriss Fynns Schrei erneut die Stille. Hektisch sah sie sich um. Sie befand sich in einer Art Keller. Sie lag auf dem kalten Boden. Ihre Arme waren mit einem Seil zusammengebunden worden, doch der Knoten wirkte nicht gerade so, als hätte ihn jemand gemacht, der Ahnung davon hatte, wie man ihn band, um jemanden zu fesseln. Sie sah an sich herunter. Auch ihre Beine waren zusammengebunden. Sie biss die Zähne zusammen und schaffte es dann sich hinzuknien. Sie beugte sich zu ihren Handfesseln herunter und begann den Knoten mit ihren Zähnen zu lösen. Das Seil schmeckte schrecklich.
Nach einigen quälend langen Minuten fiel das Seil endlich zu Boden: Schnell beeilte sie sich auch ihre Fußfesseln zu lösen. Dann rappelte sie sich auf und stolperte vorwärts. Dabei stieß sie gegen einen Kanister, auf dem in großen Buchstaben das Wort Gas stand. Sie ließ ihren Blick weiter streifen. Fynn sah sie jedoch nicht.
Erneut zerriss sein schmerzerfüllter Schrei die unerträgliche Stille. Cassandra ignorierte den Schmerz in ihrem Körper und stolperte immer weiter vorwärts. Sie verfluchte sich dafür, dass sie kein Messer eingesteckt hatte. Das war die oberste Regel der Jäger. Man sollte immer eine Waffe bei sich haben und wenn es nur ein Brotmesser war, aber wo sollte man in einem Kleid bitteschön ein Messer verstecken. Sie bog um eine Ecke und sah Fynn, der auf einem hölzernen Stuhl festgebunden war. In seinem Arm steckte ein Schlauch, durch den Blut in eine Konserve floss. Seine Hände waren so festgebunden, dass er sie nicht einmal einen Millimeter bewegen konnte. Er konnte seine Magie nicht abwenden, selbst, wenn er es versuchte. Jeffrey Picket stand hinter ihm und zog ihm eine blaue Feder nach der anderen aus dem Körper. Fynn schrie auf und riss an seinen Fesseln. Kurz entschlossen griff Cassandra nach einer Metallstange, die an einem breiten Rohr lehnte und schlich sich von hinten an Picket heran. Dieser schien sie nicht zu bemerken, doch, als Cassandra mit der Stange ausholen wollte, wirbelte er herum und presste einen Elektroschocker auf die Brust. Cassandra und Fynn schrien beinahe gleichzeitig auf. Cassandra sank zu Boden, unfähig sich zu bewegen. Sie landete direkt in den Federn, die Jeffrey Fynn bereits rausgerupft hatte. Schwerfällig hob sie den Kopf. Mit Schrecken bemerkte sie die riesigen Löcher in Fynns Flügeln, an deren Stellen sich einmal Federn befunden hatten. Seine Flügel hingen schlaff und kraftlos herunter.
Jeffrey wischte sich die Hände an seinem Oberteil ab. Er hatte es nicht für nötig gehalten sich umzuziehen und so trug er noch immer den Anzug, den er bei seiner Vorstellung getragen hatte.
„Lassen Sie ihn in Ruhe!", fauchte Cassandra und versuchte sich aufzurichten, doch ihre Arme gaben nach und sie schlug unsanft wieder auf dem Boden auf.
Jeffrey beugte sich zu ihr herunter. „Wieso sollte ich das tun? Ich brauche sein Blut. Es ist reines Feenblut. Es wird für eine lange Zeit reichen und seine Federn werden einen guten Preis erzielen, da bin ich mir ganz sicher."
„Sie werden damit nicht durchkommen.", presste Fynn zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Oh mein Lieber, das bin ich schon längst. Ich habe den Stick und ihr keine Beweise. Ich habe gute Anwälte und ich bin gut darin die Wahrheit zu vertuschen. Ich werde alle Spuren beseitigen. Und damit meine ich nicht nur das Videomaterial."
Cassandras Augen wurden groß. „Unterstehen Sie sich unseren Freunden etwas zu tun! Sie werde sie sowieso nicht aufspüren!"
Jeffrey erhob sich wieder. „Bist du dir da sicher? Ambers Adresse habe ich schon. Ein Mann von mir steht gerade in ihrem Garten." Er warf einen Blick auf seine Uhr. „Und gleich-"
In diesem Moment ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen und laute Rufe drangen durch den Keller. „Wenn man vom Teufel spricht. Entschuldigt mich kurz. Ich muss etwas erledigen."Medusa drückte Jen einen ihrer Revolver in die Hand. Jen warf verwirrt einen Blick darauf. „Woher hast du den denn jetzt bitte?"
Medusa entsicherte ihre Waffe. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich ohne Vorbereitung auf eine Party gehe, oder?"
Jen seufzte. „Wie konnte ich das nur denken? Hast du einen Plan?"
Medusa schob sich an ihr vorbei. „Picket hat gesagt, dass sie im Keller sind.", meinte sie und trat gegen die metallende Tür, die sich erstaunlich leicht öffnete.
„Du hast keinen Plan? Medusa, das ist ganz klar eine Falle."
„Ja, es ist eine Falle. Der Plan ist es Fynn und Cassandra da raus zu holen und Picket unschädlich zu machen."
„Oh Gott wir werden alle sterben."
„Ich kenne da eine Person, die es höchstwahrscheinlich nicht tun wird."; warf Medusa ein.
Jen folgte ihr die dunkle Treppe herunter. „Deine Witze waren auch schon einmal besser."
„Das war kein Witz. Das war eine Feststellung. Nun komm schon."
Plötzlich flog die Tür hinter ihnen ins Schloss und um sie herum war es jetzt ganz dunkel. Medusa zog ihr Handy aus der Jackentasche und leuchtete die Treppe herunter. Von unten drangen laute Schreie. Jens Herz krampfte sich zusammen. Ohne lange nachzudenken lief sie Treppe herunter und nahm dabei immer zwei Stufen auf einmal.
„Jetzt bist du aber planlos.", zischte Medusa, „So wäre ich das ganz bestimmt nicht angegangen."
Jen blieb stehen und drehte sich zu Medusa um. „Doch das wärst du. Was soll Picket schon mit mir machen? Töten kann er mich nicht."
„Auch wieder wahr.", murmelte Medusa und begann die Treppe herunterzusteigen, „Du scheinst dich ja langsam damit anzufreunden."
Sie machte einen weiteren Schritt. Die Stufe unter ihren Füßen gab nach und ein komisches Geräusch erklang. Es wirkte als würde direkt über ihnen ein Gewitter toben. Medusa stand wie eingefroren da. Jen rannte die Stufen wieder hoch und wollte sie hinter sich herziehen, als sich der Boden unter ihnen auftat und sie in die Tiefe stürzten.
Der winzige Raum, in dem sie unsanft auf dem Boden aufschlugen, wurde nur mit einer schwachen Glühbirne erleuchtet. Medusa rappelte sich auf und schaute zu Jen, die sich gegen die Wand lehnte und sich den Fuß rieb, der seltsam verdreht wirkte.
„Ist alles gut bei dir?"
„Ich glaube, ich habe mir den Fuß gebrochen.", murmelte Jen und biss die Zähne zusammen. Dann drehte sie den Fuß wieder in die richtige Position. Es knackte ein paar Mal fürchterlich. Medusa presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. „Soll das so klingen?"
Jen drehte den Fuß einmal im Kreis. „Alles bestens.", sagte sie und stand auf. Medusa starrte sie sprachlos an. Jen zuckte mit den Schulter. „Unglaublich schnelle Zellregeneration. Jetzt sitz da nicht so blöd rum und hilf mir hier einen Weg rauszufinden."
„Das wird nicht nötig sein.", erklang eine Stimme, die die beiden Frauen als die Stimme von Jeffrey Picket einordnen konnten, „Sie befinden sich hier in einem Raum ohne jegliche Ausgangsmöglichkeit. Sie sind gefangen. Es tut mir leid, dass es so enden muss, aber ich kann nicht riskieren, dass Sie mir in die Quere kommen. Haben Sie noch irgendwelche letzten Worte? Ihre Kinder hören Ihnen zu."„Sie sind ein verdammter Mistkerl!", schrie Jen und versuchte herauszufinden woher die Stimme kam. Schließlich entdeckte sie eine Kamera, aus der die Stimme zu kommen schien.
„Lassen Sie die beiden frei! Sie haben uns. Wozu brauchen Sie sie?", schrie Medusa und reckte den Hals.
„Sie sind eine ebenso große Gefahr. Außerdem brauche ich das Blut der Fee. Der Mensch darf aber ruhig dabei zusehen, wie ich ihn ausbluten lasse und ihm jede Feder einzeln ausrupfe. Es ist ein Jammer, dass ich meine Testperson ebenfalls vernichten muss, aber es geht nicht anders."
Ein leiser Schrei erklang. Jen ballte die Hände zu Fäusten. Sie griff nach ihrem Messer und warf es. Es durchtrennte die Stromverbindung der Kamera, die mit einem leise Summen in sich zusammensank.
Sie wirbelte herum. „Wir müssen hier raus! Sofort!"
„Was glaubst du, was ich hier mache?", zischte Medusa und klopfte die Wände ab.
Jen tat es ihr gleich, bis sie plötzlich innehielt. „Du sag mal, kriegst du auch so nasse Füße?", fragte sie leise und schaute zu Boden. Tatsächlich standen sie in einer Pfütze aus schmutzigem Wasser. Medusa schaute unruhig hin und her. Dann entdeckte sie ein Loch in der Wand, aus dem unaufhörlich und rasend schnell Wasser in den Raum floss.
„Wir werden ertrinken..."****
Alexander schreckte auf. Seine Haare klebten schweißnass an seinem Körper. Claas schlug müde die Augen auf. „Hey, ist alles in Ordnung?"
Alexander fuhr sich durch die Haare. „Ja, ja.", murmelte er, „Schlaf ruhig weiter."
Claas setzte sich auf und griff nach Alexanders Hand. Dieser zuckte zusammen. „Nichts ist in Ordnung. Was ist los?"
Alexander schüttelte den Kopf. „Es- es war nur ein Albtraum."
Claas rückte näher an ihn heran. „Wovon hast du geträumt?"
Alexander senkte den Blick. „Von meiner Schwester.", sagte er leise.
„Du hast sie gesehen, als du in deinem Unterbewusstsein gefangen warst, habe ich recht?"
Alexander nickte langsam. „Mein böser Zwilling." Er spuckte das Wort aus wie ein eklig schmeckendes Bonbon. „Mein böser Zwilling hat mir einen perfekten Tag mit ihr und meiner Mutter vorgetäuscht."
„Aber es war nicht echt.", sagte Claas leise. Alexander holte tief Luft. „Oh das weiß ich Claas. Er hat den falschen Tag gewählt. Es war der sechzehnte Oktober, an dem sie unser Haus abgebrannt haben.", erzählte er stockend, „Auf dem Kalender in der Illusion stand der siebzehnte, also ja, ich wusste genau, dass es nicht echt ist, aber ich habe es mir gewünscht. Ich wollte, dass es real ist. Ich wollte, dass es echt ist."
Claas legte vorsichtig einen Arm um ihn. „Es tut mir so leid."
„Ich habe Teddy gesehen. Du warst sie. Sie stand vor mir und dann hat sie sich in dich verwandelt."
Er lächelte. „Du bist ihr ähnlich. Sie hat immer das Beste in Menschen gesehen und ich bin mir sicher, dass sie mir in dem Moment genau dasselbe gesagt hätte wie du es getan hast."
Claas konnte genau hören wie Alexanders Stimme zu zittern begann. „Ich habe wieder davon geträumt wie sie sie weggebracht haben. Ich wünschte ich hätte etwas tun können, doch das konnte ich nicht. Ich habe es nicht geschafft sie zu retten. Als ich aus der Gefangenschaft der Männer entkommen bin, habe ich nach ihr gesucht. Ich habe überall nach ihr gesucht. Es waren bestimmt drei Jahre. Irgendwann habe ich es aufgegeben. Dann wurde ich wieder gefangen und bin bei dir gelandet."
Claas wischte ihm vorsichtig eine Träne aus dem Gesicht. „Du hättest nichts mehr für sie tun können."
„Ich wünschte ich könnte.", hauchte Alexander, „Ich wünschte sie wäre noch am Leben."
„Das weißt du doch gar nicht."
Alexander sah Claas traurig an. „Ich hätte sie gefunden, wenn sie noch am Leben wäre und ich weiß, dass sie mich auch gesucht hätte."
Er schluchze leise auf und lehnte sich zaghaft an Claas' Schulter. Dieser strich ihm sanft durch die Haare. „Ich sehe sie jede Nacht in meinen Träumen.", sagte Alexander leise, „Bis gestern waren es schöne Träume, aber jetzt-"
„Was willst du machen?"
Alexander hob langsam den Kopf. „Was?"
„Ich versuche dich abzulenken. Was möchtest du machen? Wo möchtest du hinreisen? Das Schlimmste haben wir überstanden. Wir sind frei. Wir können gehen wohin wir wollen. Wo willst du hin?"
„Ich möchte die Welt sehen.", sagte Alexander leise, „Ich war schon an so vielen Orten, aber meistens steckte ich in irgendwelchen Käfigen fest. Und du?"
„Das klingt jetzt vielleicht kitschig, aber ich möchte hingehen wo auch immer du hingehst.", meinte Claas und errötete leicht. Auch Alexanders Kopf nahm die Farbe einer hochreifen Tomate an. Claas kratzte sich verlegen am Kopf. „Natürlich nur, wenn du mich dabei haben willst. Vielleicht habe ich das alles auch nur völlig falsch interpretiert. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob du dich noch an unseren Kuss erinnerst und, ob du dasselbe für mich empfindest wie ich-"
Ehe er zu Ende reden konnte, hatte Alexander sein Gesicht in beide Hände genommen und küsste ihn. Eine Woge von Glücksgefühlen überkam Claas und er schloss die Augen. Der Kuss dauerte nur ein paar Sekunden, doch für Claas fühlte sich wie eine wunderschöne Ewigkeit an. Sanft löste Alexander sich wieder von ihm und schaute ihm tief in die Augen. „Ich würde mich freuen, wenn du mit mir kommen würdest.", flüsterte er, „Und ja, ich erinnere mich daran. Ich erinnere mich an alles."
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Medusa 2
Fantasy*abgeschlossen/unüberarbeitet Medusa schaute an sich herunter und betrachtete missmutig ihren Trenchcoat. „Jetzt ist er voller Blut." Jen schaute zu dem Mann, der immer mehr Blut spuckte und sie aus schreckgeweiteten Augen anstarrte. „Darum machst d...