Kapitel 8

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„Amber geht immer noch nicht ran.", meinte Cassandra frustriert und setzte sich neben Jen, die ihren Kopf auf der Tischplatte abgelegt hatte. Cassandra schaute sie nachdenklich an. „Was ist eigentlich passiert?"
„Fynn hat schmerzhaft herausgefunden, dass Alkohol Magie unterdrückt.", murmelte Jen und hob langsam den Kopf an, „Er hatte einen Streit und hat sich geprügelt."
„Davon habe ich nichts mitbekommen.", entgegnete Cassandra leise und fuhr über die zarte Linie um ihrem rechten Handgelenk.
Jen sah sie müde an. „Wie denn auch? Warst du etwa dabei?"
„Nein, aber normalerweise spüre ich, was gerade in ihm vorgeht. Beispielsweise hat er sich mal den Kopf gestoßen und meiner tat ebenfalls kurz weh. Betonung liegt hierbei aber auf normalerweise, schließlich habe ich seine Gefühle für mich nicht gespürt und, dass er anscheinend einige verpasst bekommen hat, habe ich auch nicht mitbekommen.", entgegnete Cassandra bitter.
„War wohl der Alkohol. Anscheinend unterdrückt er wirklich jegliche Art von Magie. Ich will mich da gar nicht genau mit auseinandersetzen. Ich bin einfach stinksauer auf Medusa. Sie hätte ihn nicht in eine Bar schleppen sollen. Und ihr scheint es noch nicht einmal leid zu tun." Gerade wollte Jen ihrem Ärger weiter Luft machen, als ihr Blick auf einen der Monitore fiel, auf dessen Bildschirm ein rotes Licht aufblinkte. Langsam erhob sie sich. „Da steht jemand vor dem Zentrum.", murmelte sie.
Cassandra faltete die Hände auf dem Tisch. „Bestimmt ein Tourist, der die Absperrung nicht gesehen hat."
Jen wischte über den Bildschirm und öffnete das Bild einer der kleinen Überwachungskameras, die am gesamten Tower angebracht worden waren. Sie sog scharf die Luft ein. „Das ist kein Tourist. Das ist Mara."
Cassandra erhob sich so ruckartig vom Stuhl, dass dieser mit einem Quitschen nach hinten rutschte. „Mara? Warum sollte sie zum Zentrum kommen?"
Jen zuckte mit den Schultern und drehte sich von dem Computer weg. „Ich habe keine Ahnung, aber sie sieht nicht so aus, als wäre sie aus einem erfreulichen Grund hier.", entgegnete sie und ging schnellen Schrittes auf die Eingangstür des Zentrums zu.
Als sie diese wenige Minuten später öffnete, schob sich Mara aufgeregt an ihr vorbei. „Endlich! Das hat viel zu lange gedauert.", sagte sie aufgeregt. Jen verschloss die Tür wieder. „Komm erstmal mit in den Missionsraum und beruhige dich."

Cassandra sah auf, als Mara in den Raum stürmte. „Was ist los?"
Mara wollte gerade etwas erwidern, als ihr ein leiser Aufschrei entwich. Entsetzt fasste sie sich an ihr Schlüsselbein. Cassandra trat einen Schritt auf sie zu und entdeckte die lange Schnittwunde an Maras Dekolté, die langsam wieder zu verschwinden begann. „Was zur Hölle...", murmelte sie und schaute Mara in die Augen. In ihnen spiegelte sich pure Angst wieder. „Was ist los?"
„Es ist Amber. Sie- sie ist weg. Und sie hat Schmerzen. Sie ist verängstigt."
Cassandra packte Mara an den Schultern. „Beruhige dich."
Mara schüttelte ihre Hände ab. „Ich werde mich ganz sicher nicht beruhigen. Sie braucht Hilfe, aber ich habe keine Ahnung, wo sie sein könnte." Sie biss die Zähne zusammen und schob ihrem Ärmel hoch. Darunter kam eine weitere Schnittwunde zum Vorschein. Jen sog scharf die Luft ein. „Das sieht gar nicht gut aus.", murmelte sie. Mara wirbelte zu ihr herum. „Natürlich sieht das nicht gut aus! Sie hat Schmerzen. Sie wird gefoltert und wir stehen hier nur rum wie Idioten! Wir müssen doch etwas tun."
Jetzt packte Jen Mara an den Armen, schob sie zum Missionstisch und drückte sie auf einen der Stühle. „Beruhige dich. Wir werden eine Lösung finden."
Mara schaute sie aus glasigen Augen an. „Und wie bitteschön?", schluchzte sie und vergrub ihr Gesicht in den Händen.
Jen und Cassandra wechselten einen unwissenden Blick. Sie beide wussten nicht, was sie darauf antworten sollten. In diesem Moment sog Mara scharf die Luft ein und schob ihren Ärmel wieder hoch. Auf ihrem Arm zeichnete sich eine kleine Einstichstelle ab, die wie die anderen Wunden wieder langsam zu verschwinden begann. Cassandras Augen wurden groß. Vor ihren Augen blitzte das Bild von den Einstichwunden der Mordopfer auf. „Jen, ich habe eine Vermutung wer Amber haben könnte.", sagte sie leise. Mara hob ruckartig den Kopf an. „Wer? Sag mir wer Cassandra!"
Jen verschränkte die Arme. „Du meinst denjenigen, der die Wesen..." Sie wagte es nicht den Satz zu beenden. Cassandra nickte. „Genau den meine ich. Wer sollte sonst-"
„Könnt ihr mal aufhören so zu tun, als wäre ich nicht hier? Ich will Amber helfen, aber das geht nicht, wenn ihr so tut, als hätte ich mit der ganzen Sache nichts zu tun. Ich weiß nicht was ihr da redet und ich bin mir nicht sicher, ob ich es überhaupt wissen will, aber ich muss es wissen! Also was zum Teufel geht hier vor sich?!", schrie Mara verzweifelt. Jen seufzte. „Wir bearbeiten im Moment einen Fall, in dem es um verstümmelte und durchgedrehte Wesen geht. Und wir denken jetzt, dass Amber den Tätern ebenfalls zum Opfer gefallen ist.", sagte sie leise. Mara starrte sie fassungslos an. „Und ihr steht hier noch immer rum? Ihr müsst doch einen Hinweis haben. Irgendwas! Irgendwas, was uns verdammt nochmal weiterhelfen kann." Jen senkte den Blick. Dabei streiften ihre Augen einen Zettel, der auf dem Missionstisch lag. Es war der Zettel mit dem Namen der GmbH. Daneben waren in geschwungener Schrift einige Notizen gekritzelt worden. Ihr Gesicht hellte sich auf. Claas hatte also tatsächlich etwas darüber herausgefunden. Sie griff nach dem Zettel und überflog ihn. „Hier haben wir unseren Hinweis!", rief sie triumphierend. Cassandra nahm ihr den Zettel aus der Hand. „Die GmbH hat ein paar Lagerhallen.", murmelte sie. Mara riss ihr den Zettel aus der Hand. „Die fliegt raus und die ist es auch nicht." Aufgeregt tippte sie auf einen Standort, der in eine Ecke des Zettels gekritzelt worden war. Jen hob eine Augenbraue an. „Bist du dir sicher?"
Mara verdrehte die Augen. „Ja, ich bin mir sicher verdammt. Nur neben dieser Halle steht etwas davon, dass sie eigentlich nicht mehr benutzt wird. Würde ich jemanden foltern wollen, würde ich es dort tun. Wer lesen kann ist klar im Vorteil. Worauf wartet ihr bitte noch? Schmeißt euch in eure Kostüme und rettet meine Cousine. Wird's bald?"

****

„Wo wollt ihr hin?",rief Medusa Jen und Cassandra nach, die mit schnellen Schritten über den Flurliefen, der sie von der Waffenkammer zum Missionstraum führte. Jen verdrehte die Augen und blieb so ruckartig stehen, dass Medusa fast in sie hineingelaufen wäre. „Wir haben zu tun.", entgegnete sie kühl. Medusa verschränkte die Arme. „Darf ich fragen was?"
Jen schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, darfst du nicht.", antwortete sie. Medusa sog scharf die Luft ein. „Was soll das jetzt bitte heißen?"
Jen trat einen Schritt auf sie zu. „Du hast Hausarrest.", zischte sie und wandte sich von ihr ab. Sie griff nach Cassandras Arm und zog sie weiter in den Missionsraum. Medusa blieb für einen kurzen Moment sprachlos auf dem Flur stehen, bis sie sich endlich aus ihrer Schockstarre lösen konnte. Mit schnellen Schritten, die ihre Locken auf und abwippen ließen, lief sie den beiden hinterher. „Hausarrest?! Jen, das kann doch nicht dein Ernst sein."
Jen stand jetzt vor dem Missionstisch und kontrollierte noch ein letztes Mal die Munition ihrer Schrotflinte. „Nuschle ich etwa?"
„Jen, ich bin eine erwachsene Frau. Du kannst mir kein Hausarrest erteilen!"
„Oh, wenn du wüsstest, was ich alles kann.", meinte Jen und schulterte ihreWaffe. „Du bleibst hier. Du hast dir in letzter Zeit zu viel erlaubt. Außerdem brauchen wir jemanden, der auf Mara, Fynn, Claas und Alexander achtet."
Mara, die bis dahin abwesend auf ihrem Stuhl gehockt hatte, hob ruckartig den Kopf und stand auf. „Nichts da! Ich komme mit."
Medusa drehte ihr den Kopf zu. Sie hatte sie in dem Durcheinander gar nicht wahrgenommen. „Was machst du bitte hier?"
„Ich bin hier, weil Amber verschwunden ist und sie gequält wird und ich die Hilfe von euch Pappnasen brauche.", antwortete Mara scharf und wandte sich wieder an Jen. „Ich komme mit und damit Basta."
Medusa starrte Jen sprachlos an. „Sie darf mitkommen und ich nicht? Jen, ihr könnt meine Hilfe gebrauchen. Ich hab zwar keine Ahnung worum es hier genau geht, aber es gefällt mir ganz und gar nicht, dass ihr allein geht."
Jen wollte gerade etwas erwidern, als Mara sich an den Kopf fasste und leicht zu schwanken begann. Medusa hielt sie schnell fest, als Maras Beine nachgaben und sie in sich zusammensank.
Jen straffte die Schultern. „Ich wiederhole mich nicht gerne."
„Das wäre ja mal was ganz neues.", murmelte Medusa, die Mara half sich wieder hinzustellen."
Jen funkelte sie wütend an. „Du und Mara bleibt hier! Das ist ein Befehl!"
Sie drehte sich um und ging hoch erhobenen Hauptes auf den Ausgang des Zentrums zu. Cassandra sah Medusa und Mara entschuldigend an und folgte der Leiterin des Londoner Zentrums. Medusa sah dabei zu wie die Tür mit einem Krachen ins Schloss fiel und schüttelte den Kopf. „Unglaublich. Einfach unglaublich."
„Und was machen wir jetzt?", murmelte Mara, die sich langsam auf einem der Stühle niederließ. Ihr Kopf dröhnte. Medusa kratzte sich am Kopf. „Du machst gar nichts und ich missachte Befehle, was denkst du denn?"
„Ich will aber helfen!", protestierte Mara lautstark.
„Du bist nicht in der Verfassung zu kämpfen. In diesem Fall muss ich Jen leider zustimmen."
In diesem Moment stürmte Claas in den Raum. Sein Gesicht war rot vor Aufregung. Bevor er etwas sagen konnte, ergriff Mara das Wort. „Und wer ist das?"
„Mara, Claas. Claas, Mara.", stellte Medusa die beiden einander vor. Claas nickte Mara schnell zu. „Jaja, sehr erfreut.", stammelte er, „Aber das ist jetzt egal. Medusa, es geht um Alexander. Er rührt sich nicht mehr und seine Atmung ist schwach. Ich- ich weiß nicht, was ich tun soll." 

Medusa 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt