Kapitel 9

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Die Ketten der silbernen Handschellen brannten sich in Ambers Haut. Sie hing schlaff in den schweren Ketten. Ihre feuerroten Haare klebten schweißnass an ihrem Körper und ihr Gesicht wirkte blass und eingefallen. Die Zeit schien hier langsamer zu vergehen, als überall anders auf der Welt. Wie lange war sie schon hier? Es fühlte sich wie Tage an. Aber es waren keine Tage, es konnten noch keine Tage sein. Schwerfällig hob sie den Kopf und starrte in die Dunkelheit. Krampfhaft versuchte sie sich daran zu erinnern, was mit ihr passiert war. Es war abends gewesen. Sie erinnerte sich daran, dass sie mit Mara telefoniert hatte. Sie hatte ihr von dem Gegenmittel erzählt, was sie entwickelte. Sie hatte fast den Durchbruch geschafft. Die Mixtur musste nur noch ein bisschen ziehen. Sie war müde gewesen und wollte nach Hause gehen. Sie hatte das Gespräch beendet, hatte ihre Sachen zusammengepackt und den Laden abgeschlossen. Danach herrschte absolute Leere in ihrem Kopf. Plötzlich nahm sie das leise Klacken von Schuhen auf dem Boden wahr. Sie fletschte die Zähne.
„Lasst mich gehen!", fauchte sie mit kratziger Stimme und riss an ihren Ketten. Ein alter Mann trat aus dem Dunkeln in das Licht der schwachen Glühbirne, welche von der Decke hing. In der Hand hielt er ein langes Messer. Seine silbrig grauen Haare hatte er zu einem chaotischen Dutt zurückgesteckt.
„Dich gehen lassen? Wieso sollte ich das tun? Du bist wertvoll für uns.", erwiderte er und fuhr mit dem Messer langsam über Ambers Dekolté. Diese konnte einen lauten Aufschrei nicht unterdrücken. Aus der Wunde tropfte dunkles Blut auf den Betonboden.
„Was wollen Sie von mir?", keuchte Amber und riss erneut an den Ketten. Der Mann säuberte das Messer an seiner verschmierten Schürze, die wohl einmal weiß gewesen sein musste, jetzt jedoch vor Schmutz und Blut nur so triefte.
„Ich will dein Blut.", entgegnete er. Amber keuchte auf. „Mein But? Warum das denn? Und warum meins? Fuchswandler sind nicht gerade selten. Sie könnten jeden haben. In mir ist noch nicht mal so viel Blut. Blut ist abhängig vom Körpergewicht und ich wiege nicht viel. Warum ich?"
Der Mann lächelte, wobei seine schiefen Zähne zum Vorschein kamen. „Nennen wir es eine Abrechnung. Du hast meinen Panther geklaut." Ambers Augen wurden groß. „Sie- Sie haben ihn auch gekauft."
Der Mann zuckte mit den Schultern. „Gekauft, ersteigert, gerettet. Nenn es wie du willst. Ich wollte ihn holen, nachdem ich mit dem Einhorn fertig bin."
„Also gerettet ganz sicher nicht. Das habe nämlich ich!", zischte Amber. Der Mann verdrehte die Augen und wandte sich von ihr ab. „Du redest mir entschieden zu viel.", meinte er, während er auf einen Tisch mit komisch aussehenden Instrumenten zuging und nach einer Spritze griff. „Wir werden dich jetzt erstmal etwas beruhigen." Mit diesen Worten kam er zu Amber zurück und stach ihr die Spritze in den Arm. Amber schrie auf. Der Mann zog die Nadel mit einem Ruck wieder aus ihrem Arm. „Um das klar zu stellen. Ich hätte deinen Freund retten können. Ich hätte ihm ein besseres Leben geboten, als das dahinvegetieren in diesem winzigen Käfig. Andere hätten ihm vielleicht das Fell abgezogen und daraus einen Bettvorleger gemacht, aber bei mir hätte er einer größeren Sache gedient. Er hätte etwas Großes vollbracht, weißt du? Ein Jammer, dass er verschwunden ist, bevor er dieser Sache dienen konnte. Ich kann ihn nicht mehr finden. Die Spur endete direkt vor deiner Tür kleine Fuchswandlerin. Und dein Blut liebe Amber ist noch so viel interessanter als das von dem Formwandler. Du trägst das Blut einer Fee in dir. Damit kann man arbeiten."
„Was sind sie?", murmelte Amber, darum bemüht die Augen offen zu halten.
Das Lächeln des Mannes wurde breiter. „Ich bin vieles mein Kind. Und nun schlaf und lass mich dein Blut abnehmen. Es wird einer großen Sache dienen, das verspreche ich dir."

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„Glauben Sie, dass Mara recht hatte?", fragte Cassandra leise und spannte einen Pfeil in ihre Armbrust. Sie befanden sich auf dem Vorplatz der kleinen Lagerhalle, der mit einem hohen Metallzaun abgesperrt worden war, den Jen jedoch mit Leichtigkeit hatte knacken können, sodass sie ohne große Schwierigkeiten auf das Gelände gelangen konnten.
Jen zuckte mit den Schultern. „Sie würde uns definitiv nicht zu einer verlassenen Lagerhalle schicken, wenn Amber sich nicht dort befinden würde. Sie ist sich sicher und somit bin ich es auch. Amber muss hier sein."
„Sind Sie sich auch sicher, dass es richtig war, dass Medusa nicht mitkommt? Wir wissen nicht mit wem wir es jetzt genau zu tun haben.", gab Cassandra zu bedenken. Gerade wollte sie um die Ecke eines Metallkontainers biegen, als Jen sie am Arm festhielt und sie gegen die Wand presste. Cassandra hielt die Luft an. Zwei Wachtmänner gingen an ihnen vorbei, lange Waffen in den Händen. Als sie außer Sichtweite waren, atmete Cassandra auf. „Also verlassen ist das ganz und gar nicht. Sollte ich nicht vielleicht doch Medusa anrufen?"
Jen schüttelte entschieden den Kopf und bedeutete Cassandra ihr zu folgen. „Das kommt gar nicht in die Tüte.", flüsterte sie, „Medusa muss ihre Strafe bekommen. Sie ist definitiv zu weit gegangen und das soll sie auch ruhig wissen."
„Ja, aber in einer so einer Situation..."
„Cassandra, ich sage, dass wir sie nicht brauchen. Wir schaffen das auch allein. Wir gehen rein, holen Amber raus und dann Abmarsch. Das schaffen wir auch ohne Ms. Troublemaker."
Cassandra verdrehte die Augen. „Wenn Sie Medusa nicht dabei haben wollen, rufe ich halt Fynn an. Ich will ihn zwar nicht sehen und er auch nicht mich, aber es geht um Amber."
„Fynn fällt auch raus. Er muss seinen Kater ausschlafen."
„Also wirklich nur Sie und ich.", murmelte Cassandra missmutig, „Dann hoffen wir mal, dass es gut geht."
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Medusa 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt