2. Kapitel- Sonne ✔️

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Heftig fiel die Doppeltür hinter mir zu. Ich brauchte dringend frische Luft! Der Besprechungsraum war stickig gewesen, auch, wenn wir die Fenster auf hatten. Dieses Mal hatte mich das Vogelgezwitscher, das von draußen zu hören war, nicht beruhigt.

Im Gegenteil. Am liebsten hätte ich laut aus dem Fenster gebrüllt und meinen inneren Wolf heraus gelassen, damit die Vögel leise waren. Was ich aber nicht unterdrücken konnte, war ein kleiner Wutausbruch.

Wütend schlug ich vor mir auf den schweren Eichentisch. Dieser ächzte unter meiner Kraft kurz auf und einige Splitter hatten sich bei dem Schlag gelöst.

Es war warm in dem Raum, aber durch die hitzigen Gemüter, der anwesenden Leute, wurde diese Wärme unerträglich. Wir hatten die Fenster schon geöffnet, damit die stickige Luft gereinigt werden konnte. Doch das Vogelgezwitscher klingelte wie ein nervender Wecker in meinen Ohren und beruhigte mich kein bisschen. Die frische Luft von draußen drang kaum zu mir hindurch.

Ich blickte in die Runde. Jeder der Anwesenden hatte einen erschrockenen Gesichtsausdruck aufgesetzt.
Alle, außer Felix. Dieser schaute mich mitfühlend an. Er wusste, dass ich überfordert war, dass alle durcheinander sprachen.

Es gab zwei Parteien, die unterschiedliche Ideen und Vorschläge hatten, wie wir die Grenzen sicherer machen konnten. Diese zwei Parteien hatten gerade schon eine Weile diskutiert. Sie hatten sich die Köpfe eingeschlagen, welche von ihnen die bessere Idee hatten.

Doch statt wie zivilisierte Menschen, und vor allem als Erwachsene, zu diskutieren, haben sie sich wie kleine Kinder bei einem Bauklötze-Krieg regelrecht gestritten.
Die am Anfang geordnete Diskussion ist schnell ausgeartet und führte anschließend zur Eskalation, bis ich schließlich eingreifen musste.

Nur wusste ich nicht, warum sie mich jetzt so schockiert ansahen. Ich wollte lediglich, dass sie sich nicht so anschrien und geordnet diese Besprechung fort fuhren.
Außerdem sollten sie leise sein, denn wenn ich gereizt war, nahm ich alles doppelt so laut war, auch, wenn ich als Werwolf sowieso verstärkt hörte.

Plötzlich merkte ich etwas warmes über meine Hand laufen, die noch immer auf dem Tisch verweilte. Ich legte mein Augenmerk auf meine rechte Hand und sah, aus der geschlossenen Faust, Blut rinnen. Goldene Fäden zog es mit sich und eine kleine, glänzende Blutlache breitete sich vor mir aus.

Langsam öffnete ich meine verkrampfte Hand. Dabei bemerkte ich, dass sich meine Fingernägel in meine Wolfskrallen verwandelt hatten. Genauso fühlte ich, dass meine Adern pulsierten und mein Mund leicht geöffnet war. Statt, dass meine Adern blau waren, wie bei Menschen, glühten sie geradewegs golden auf.

Mein Mund war deswegen leicht geöffnet, weil meine Zähne sich vergrößert hatten. Meine oberen Eckzähne spürte ich auf meine Unterlippe drücken.

Ich sollte mich wieder beruhigen, denn mein kleiner Wutausbruch würde uns nicht weiterhelfen. Ich atmete tief ein und entspannte meine Muskeln. Meine Krallen zogen sich wieder ein, bis sie wieder meine Fingernägel waren. Außerdem leuchteten meine Adern kurz auf, ehe sie wieder blau waren. Der Druck auf meiner Unterlippe verschwand, was darauf hinwies, dass auch meine Zähne wieder ihre normale Größe besaßen.

Dort, wo meine Wunde war, die ich mit meinen Krallen verursacht hatte, zog sich die Haut zusammen, was einen kleinen Schmerz mit sich brachte, mir aber nicht wirklich weh tat. Es war eher so ein pochender Schmerz, wie wenn man gerade hingefallen war – den man aber ignorierte.

Mir wurde ein nasses Taschentuch gereicht, damit ich mit diesem das Blut wegwischen könnte.

„Danke", sagte ich an Doktor Qualston gerichtet, welcher mir das Tuch gereicht hatte.
Er war unser Rudel-Arzt und immer sofort zur Stelle, wenn man ihn brauchte. Auch bei so einer kleinen Verletzung. Außerdem saß er bei jeder Besprechung mit im Raum, denn er bewahrte immer einen kühlen Kopf und war ein guter Ratgeber.

Ich selbst verstand nicht wie man nur so ruhig bleiben konnte und dass in jeder Situation. Wahrscheinlich genau deswegen waren seine Vorfahren nicht immer Arzt gewesen, aber das ist etwas anderes.







Erneut hörte ich die Türen hinter mir zu fallen. Ich drehte mich auf dem Absatz um und erblickte Felix, der mir wohl gefolgt war. Milde lächelte ich ihm entgegen, bis er neben mir stand.

Nun standen wir beide vor dem Rudelhaus, welches als ein Herrenhaus erbaut wurde und überblickten die restlichen Vorbereitungen, die noch gemacht werden mussten.

Zur Begrüßung hatten wir ein kleines Fest vorbereitet. Tische und Stühle waren bereits aufgestellt. Das Essen wurde bereits gemacht und nach einem kurzen Blick auf meine Armbanduhr, die ich immer trug, sah ich, dass es bald Zeit war. Dabei sah ich kurz auf meine Handinnenfläche. Die Wunde war verheilt und nicht mehr zu sehen.

In ungefähr zwei Stunden würden sie ankommen.
Weshalb ein Fest gefeiert wurde? Es war Tradition, dass es ein Fest gab, wenn neue weiße Krieger sich uns anschlossen. Selten gab es so ein Fest, da die meisten weißen Wölfe als Rudelmitglieder geboren wurden und alle anderen zu den Unbestimmten gewechselt hatten. Ich kann es Ihnen nicht verübeln, da ihre Familienmitgliedern getötet wurden. Durch die vielen Angriffe die Coleen gestartet hatte, waren nicht gerade wenige gestorben.

„Lass uns doch noch einmal eine Runde drehen. Die Zelte stehen ja auch schon, also wieso nicht noch einmal alles überprüfen?", schlug Felix vor und ich nickte einverstanden.

Beide gingen wir die wenigen Treppen vor dem Gebäude hinunter.

Als wir in die Zelte traten, begutachtete ich die Dekoration. Ich staunte wieder mal nicht schlecht. Die kleinen Blumensträuße, die auf den langen Tischen verteilt waren, waren farblich zwar so unterschiedlich, aber passten dennoch gut zusammen. Die dunkelrote Tischdecke harmonierte perfekt in die Umgebung.

Ein wunderbarer, blumenartiger Geruch lag in der Luft und es fühlte sich an als würde man in einer Blumenwiese stehen, die gerade mitten in der Blütezeit erstrahlte.

„Wow", brachte ich ehrlich überrascht hervor und strahlte übers ganze Gesicht. Es war einfach toll und es übermittelte das Gefühl, dass alles ruhig und sorglos war. Doch hätte ich gewusst, was für eine schreckliche Nachricht mir gleich übermittelt werden würde, dann hätte ich dieses Gefühl von Frieden niemals zugelassen, welches mich gerade erfüllte.

„Ja, da haben Mary und ihre Freundinnen wieder gute Arbeit geleistet", pflichtete mir Felix bei. Mary war die Mate von Felix und als diese gerade um die Ecke gelaufen kam, fing sie an breit zu grinsen und kam auf uns zu. Also eigentlich ging sie eher auf Felix zu, als auf mich.

Ich konnte zwar immer noch nicht nachvollziehen, wie dieses innere Band zwischen Seelengefährten funktionierte (da ich meine Mate noch nicht gefunden hatte), aber ich freute mich riesig für die beiden und wünschte ihnen alles Glück der Welt.

Um ihnen ein wenig Zweisamkeit zu schenken, drehte ich mich weg und ging ins nächste Zelt. Alle vier Zelte waren miteinander verbunden, damit sich jeder frei bewegen konnte.

Im nächsten Zelt standen einige Rudelmitglieder eng zusammen und ich wollte diese gerade grüßen, als ich ihre, teils geschockten, teils aufgebrachten Gesichter sah. Ich hörte ihren Herzschlag, der leicht erhöht war. Einer der sechs Personen wedelte wild mit den Armen und schien den anderen aufgeregt etwas zu erzählen.

„Was ist hier los?", fragte ich mit einem leicht strengen Unterton. Alle drehten sich erschrocken zu mir um.

Ich schaute fragend in die Runde. Zusätzlich wurde dies mit einem Hochziehen einer meiner Augenbrauen verstärkt. Der, der vorher so mit den Armen umher gewedelt hatte, ließ die Arme kraftlos fallen. Als er versuchte zu erklären was los war, war er so aufgeregt, dass ich ihn unterbrach.

„Noch einmal langsam", sagte ich freundlich zu ihm und er holte noch einmal tief Luft.


***

Die Zwillingswerwölfe- Sonne und FinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt