1. Kapitel- Nacht ✔️

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Einige hundert Jahre später:

Im Augenwinkel sah ich den kleinen Schatten vorbei huschen, den ich jetzt schon seit einigen Minuten verfolgte. Der Wald war ruhig. Ab und zu hörte man das Knacken der Bäume, welche sich im Wind wiegten. Einige Sonnenstrahlen fielen durch das Blätterdach und ich zog tief die Luft ein.
Der Geruch des Hasen wehte mir erneut in die Nase und ich legte mich flach auf den Boden.

Zwischen zwei Büschen hockend, beobachtete ich das kleine Geschöpf, welches an einem Löwenzahn, auf der Lichtung, knabberte. Alles sah sehr friedlich aus, doch der Schein trügte.
Gut einen Kilometer hinter mir, war unsere Wolfshöhle und dort fanden die jährlichen Rangspiele statt.
Neue Krieger wurden so in mein Rudel aufgenommen.

Ich selbst wollte eine kleine Pause einlegen, da ich diese schwachen Geschöpfe nicht mehr ertragen konnte! So schwach und dann wollten sie auch noch in mein Rudel! Aber da alle das schwarze Blut in sich trugen, gab es diese Spiele oder Wettkämpfe.

Je nachdem wie gut oder schlecht sie abschnitten, wurden sie in einzelne Aufgaben unterteilt. Nur die Stärksten wurden danach als Krieger ausgebildet, Schwächere wurden in den Küchendienst oder in den Haushalt eingeteilt. Natürlich bekamen auch diese ein Training, nur anderes, sodass sie sich als Krieger hocharbeiten konnten. Jeder wurde bis jetzt ein Krieger, denn nur so blieb mein Rudel stark.


Plötzlich schoss der Kopf des Hasen in die Höhe. Auch ich konzentriere mich wieder stärker auf meine Umwelt. Das Gezwitscher der Vögel blendete ich komplett aus und spitzte die Ohren nach anderen Dingen.

Der Hase war schon im Unterholz verschwunden. Ich ärgerte mich, denn so ein kleiner Snack wäre jetzt ganz passend gewesen.

Meinen Körper noch enger an den Boden drückend, scannte ich die Umgebung mit meinen Augen ab. Ich verfluchte das Sonnenlicht, denn dort, wo die gleißenden Strahlen hinfielen, konnte ich nicht viel erkennen. Meine Augen reagierten empfindlich auf Licht. Als schwarze Wölfin und Kreatur der Finsternis, konnte ich einzig in der Dunkelheit gut sehen. Dann nahm ich selbst jede kleinste Bewegung eines Zweiges wahr.

In diesem Augenblick hörte ich ein Knacken auf der rechten Seite von mir.

Sofort schoss mein Kopf in diese Richtung und ich blickte geradewegs in zwei goldene Augen. Durch die Blätter der Büsche geschützt, sahen mich die fünf weißen Wölfe nicht, doch ich hatte sie perfekt im Blick.

Der eine schaute zwar genau in meine Richtung, konnte mich aber, wahrscheinlich weil ich tief im Schatten lag, nicht sehen. Die weißen Wölfe hatten zwar einen Vorteil, dass sie genau in die Sonne sehen konnten und auch alles erkennen konnten, wenn das Sonnenlicht auf eine bestimmte Stelle fiel, doch wir glichen dies ja wieder aus.

Langsam fragte ich mich, was die weißen Krieger hier suchten. Auch, wenn der große Kampf zwischen dunkel und hell schon vor hunderten von Jahren stattfand, waren die beiden Seiten noch immer verfeindet und trugen noch immer das Wort Krieger mit sich.

Aber das war jetzt erst einmal nicht wichtig, denn die fünf Wölfe pirschten sich an den kleinen Bach an, der an der Lichtung entlang floss. Dabei sahen sie so unerfahren aus, dass ich mir ein hämisches Grinsen nicht verkneifen konnte.

Es war unwahrscheinlich, dass sie mich rochen, denn wie immer, wenn ich unterwegs war, wälzte ich mich im Schlamm, damit niemand mich riechen konnte.

Außerdem gab es eine besondere Blumenart, die den Duft eines Tieres oder sogar Menschen verdeckte. Diese Blutblumen, wie sie hießen, da sie blutrot waren mit schwarzen Sprenkeln, züchtete mein Rudel schon seit Anbeginn, als sie von meinem Vorfahr entdeckt worden waren. Warum sie ausgerechnet blutrot waren? Wie gesagt, da der Geruch des Wolfes verdeckt wurde, konnte der Gegner so brutal, ohne eine Vorahnung, ermordet werden, deshalb blutrot.
Es soll sogar heißen, dass die Blume einmal weiß war und durch Menschenblut erst blutrot gefärbt wurde, doch dies hielt ich für unwahrscheinlich.

Weiterhin beobachtete ich nun die fünf Wölfe. Zwei von ihnen hielten Wache und die anderen drei tranken gerade an dem Bach.

Während der eine immer weiter in das kühle Nass ging, blieben die anderen beiden mit den Pfoten lieber auf dem Trockenen. Der im Wasser schien wohl der Jüngste zu sein, denn plötzlich fing er an im Wasser zu spielen. Kinder, pah! So unvorsichtig und unklug!

Ich selbst mochte Kinder noch nie. Sie brachten kaum Nutzen und waren zu verspielt, als dass sie in einen Kampf starten konnten. Sie waren die Schwächsten im Rudel-Rang, also nutzlos.

Ihn würde ich also in null Komma nichts umgebracht haben. Ja, ihr habt es erfasst! Ich werde diese Wölfe töten, denn sie gehörten zum Feind und würden sich gegen mich verbünden. Schade eigentlich, aus ihnen hätte etwas werden können.

Die beiden vorderen Wölfe schienen Geschwister zu sein und demnach noch zwei weitere Kinder.
Also schlussfolgere ich, dass die anderen beiden Wölfe, die immer noch Wache hielten und noch keinen Schluck Wasser getrunken hatten, die Eltern sein mussten.

Der Linke von beiden, schien das Weibchen zu sein, denn, auch wenn sie aufrecht stand, war ihre Statur zierlicher als die des anderen Wolfes. Außerdem ging von dem linken Wolf ein zarter, blumenartiger Geruch aus.

Der andere Wolf, das Männchen, besaß eine kräftig gebaute Statur und sah weit kampffähiger aus, als die anderen. Er hatte einige Blessuren am ganzen Körper und ein leichter Geruch von Blut ging von ihm aus, was darauf hinwies, dass ihre Reise bisher nicht gerade ohne Hindernisse verlaufen war.

Vielleicht wurden sie von Unstimmigen angegriffen, aber eigentlich interessierte mich dies gerade nicht wirklich. Sie waren auf meinem Territorium und wurden gleichzeitig somit zu meiner Beute.

Der jüngste Wolf schien sich ausgetobt zu haben und legte sich nun zwischen die Vorderbeine eines seiner Geschwister.

Die Geschwister schienen beide weiblich zu sein und der Kleine ein Männchen. Ich schätzte die älteren Geschwister beide als erwachsen ein. Der Kleine sollte dementsprechend also im jugendlichen Alter sein.

Dennoch frage ich mich, warum sie alle beim Anschleichen so unerfahren aussahen. Die Eltern müssen doch von irgendwoher trainiert worden sein? Obwohl, sie schienen auf dem Weg zu Eric zu sein. Vielleicht wollten sie lieber dort ausgebildet werden, als alleine klar zu kommen. Ich wusste es nicht und weitere Fragen würden nur sinnlos Zeit verschwenden.

Was ich auf jeden Fall wusste, sie waren auf unserem Gebiet, und nur durch unseres, kamen sie in Erics Gebiet. Zu den weißen Wölfen, ihrer eigentlichen Familie.

Dementsprechend war Eric der Anführer der weißen Wölfe, wie ich, die Anführerin der schwarzen Wölfe. Das wollte ich noch mal klarstellen, falls es noch nicht klar war.

Mittlerweile hatte sich das andere Geschwisterkind zu dem Kleinen dazu gesellt und leckte ihm über den Kopf. Der Kleine genoss diese Aufmerksamkeit und schloss genießerisch die Augen.

Die Eltern begaben sich nun zu dem Wasser. Sie schienen sich beide sicher zu sein, dass sie alleine waren und kein Feind in der Nähe war. Aber sie täuschten sich gewaltig, denn ich war hier und hatte alles genauestens studiert, sowie einen guten Plan aufgestellt, womit ich alle schleunigst umbringen konnte. Sie würden niemals lebendig im weißen Königreich ankommen, dafür würde ich schon sorgen. Weiße Wölfe waren mit uns verfeindet und müssen eliminiert werden.

Sobald beide Elternteile zu trinken begannen, war dies für mich das Signal zum Angriff.



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Die Zwillingswerwölfe- Sonne und FinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt