4. Kapitel- Nacht

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Noch vor der Morgendämmerung hörte man im ganzen Wald Pfotengetrommel, eingeschlossen mein eigenes. Das allbekannte Vogelgezwitscher war zu vernehmen und wir passten uns diesem an, um unentdeckt zu bleiben.

Wie jeden Morgen war eine Frühjagd angesetzt, denn meine Krieger hatten Hunger. Hunger nach zarten, leckerem Fleisch zwischen ihren Kiefern und Durst nach frischen Blut.

Es herrschte warmes Wetter, auch noch bevor die Sonne aufgegangen war, welches die Waldbewohner aus ihren Verstecken lockte, genauso wie uns. Doch während einige Tiere warteten, bis die Sonne ihre Körper wärmen würde, waren wir hier um zu töten.

Bald würde der Pfad vor uns auftauchen, wo wir alle auseinander stoben würden. Jeder hatte so seinen eigenen Platz zum jagen, außer die neuen. Die die gestern erst durch die Rangspiele aufgenommen worden waren. Diese müssten dann älteren Kriegern folgen, die den Wald gut kannten. So lernten sie auch gleich ihre erste Lektion kennen: das Jagen.

Oft kam es dann dazu, das es kleine Rangeleien oder Kämpfe gab, wer welches Tier jagen und anschließend fressen durfte. Dies wurde dann durch die beiden Streithähne untereinander ausgetragen, denn mich sollten Sie da nicht mit hineinziehen. Für mich war schließlich das Fressen nicht gedacht, da ich meinen eigenen Platz hatte, um zu jagen.

Einmal ist es sogar vorgekommen, dass ein Dritter, während zwei sich stritten, das Tier jagte und erledigte.
Bei uns war es Pflicht, wenn einer ein Tier getötet hatte, es fressen zu dürfen und dass niemand etwas von dem Tier weg nahm.
Außer ein anderer bekam ein Stück Fleisch zugesteckt, aber das war bisher noch nie passiert, denn meistens nahmen sie den Rest mit und verstauten das Fleisch zu Hause, da wir ja immer noch Werwölfe waren und keine richtigen Wölfe.

Das Jagen in der Gruppe war bei uns auch häufiger vertreten, doch das hielt man lieber am Mittag oder Abend statt. Dann, wenn auch der Fuchs sich raus traute und eine wilde Jagd passend war.

Gerade rannte ich über den Pfad weiter ins Gestrüpp. Niemand würde mir bis hierhin folgen, denn hier war mein Jagdgebiet.
Ich kannte jeden Zentimeter unseres Territoriums auswendig und wusste somit, wo die besten Stellen zum Jagen waren.
Wenn man Glück hatte, fand man auch an den Stellen wo kaum Wild unterwegs war, den einen oder anderen Hasen, aber das brauchte Zeit und Geduld, die ich nicht besaß.

Der beste Wald zum Jagen war der Nordwald.
Ja richtig, der Wald, indem ich gestern die fünf Werwölfe getötet hatte (ich war deswegen noch immer unglaublich stolz auf mich) und auch der Wald, der die meiste freie Fläche bot.
Somit war es ein leichtes, Tiere aus dem Unterholz zu jagen, sie auf freier Fläche einzuholen und dann genüsslich zu fressen.
Die Vorfreude darauf endlich etwas fressen zu können, ließ mich noch schneller werden.

Bald schon war ich tief im Wald drin und verlangsamte meine Schritte. Ich wollte die Tiere nicht gleich aufschrecken, sonst würde ich sie verjagen und nicht jagen. Denn die richtige Jagd würde gleich beginnen.

Ich spitzte die Ohren und senkte meinen Kopf gen Boden, um eine Spur zu finden. Und tatsächlich, nach wenigen Sekunden, fand ich eine Spur.

Noch bevor ich die Hufabdrücke gesehen hatte, hatte ich den Geruch von dem Tier in der Nase.
Es war ein Reh, was ich nicht nur an den Geruch, sondern auch an den Hufspuren erkennen konnte.
Die Spur war noch ganz frisch, was daraufhin wies, dass das Reh meinen Weg vor einigen Minuten gekreuzt hatte.
Außerdem schien es allein zu sein, da nicht viele Spuren zu sehen waren, sondern nur die eine. Der Wind blies mir ins Gesicht und trug den Duft des Reh's gleich mit. Es ist weiter nach Westen gelaufen, stellte ich fest. Direkt auf freie Fläche. Eine gute Chance, die ich gleich nutzen könnte.

Doch ich wusste auch warum das Reh geradewegs auf die Wiese zu lief. Denn dort gab es saftiges Gras, was Rehwild nur so anzulocken schien, denn so oft ich hier schon jagen war, ich hatte immer Erfolg.

Die Geräusche, die ich vorher ausgeblendet hatte, ließ ich nun zu mir durchdringen und das war gut so, denn einerseits hörte ich das Reh, einige Meter vor mir (da ich dieselbe Richtung eingeschlagen hatte) und anderseits hörte ich direkt hinter mir einen anderen Wolf. Er war ziemlich nah und unglaublich schnell.

Ich lieb stehen, aber drehte mich nicht um, als ich wusste, dass er genau hinter mir stand.
>>Was tust du hier? Du solltest doch bei Janosch bleiben!<<
Er hatte nicht hier zu sein, vor allem nicht in meinem Jagdgebiet!

>>Entschuldigt, meine Königin, doch ich wollte das Jagen von den Besten lernen<<, schleimte er, doch in seiner Stimme hörte ich Ehrlichkeit.
Ich drehte mich endlich zu ihm um und sah in seine leicht Gold schimmernden Augen. Auch diese strahlten die pure Ehrlichkeit aus. Ehrlichkeit und Entschlossenheit.
Entschlossenheit, um zu zeigen was er kann. Ein wenig zu viel Selbstbewusstsein, nach meinem Geschmack.

Ich überlegte einige Sekunden, in denen er geduldig wartete. Er schien keineswegs besorgt, nervös oder unentschlossen zu sein. Er stand wie ein Fels in der Brandung vor mir und wartete.
Wartete darauf, ob ich zulassen würde, dass er mit kommen dürfte oder nicht.

Ich hatte mich entschlossen.
>>Gut, komm mit, aber nur dieses eine Mal.<<
Ich wartete keine Antwort ab, auch wenn ich nicht wusste, dass er auch keine hatte, drehte mich wieder Richtung Westen und folgte weiter der Spur.

An seiner Präsenz konnte ich spüren, wie er mir folgte. Noch war er hinter mir, aber er wurde schneller, bis er schlussendlich neben mir her lief.
Das war mir zu viel! Er war immer noch Ränge weit unter mir und durfte nicht gleichen Schrittes mit mir laufen.

Mit gefletschten Zähnen und einem warnenden Knurren, schoss mein Kopf nach rechts. Hätte er nicht so gute Reflexe gehabt und wäre nicht ausgewichen, hätte ich ihm am Hals getroffen. Dass hätte eine schöne, große Fleischwunde werden können.
Er war sofort in die geduckte Haltung hinunter gegangen und winselte entschuldigend.

>>Bleib hinter mir!<<, knurrte ich ihn dennoch mit derselben Wut in der Stimme an, die ich schon hatte, als mein Geduldsfaden gerissen war und er mich überholt hatte.

Meine Flanken bebten, aber nicht vor Wut, sondern vor der Jagdgier. Denn ganz deutlich konnte ich gerade die Gelassenheit und Nähe des Reh's spüren, sowie riechen.

>>Und vor allem, erste und wichtigste Regel: sei leise!<<, donnerte ich ihm entgegen.
Ich wusste selbst, dass ich gerade diejenige war die laut geknurrt hatte, doch die Überlegenheit, die ich hatte, war größer und stärker als die Wiedersprüche von den anderen schwarzen Wölfen.
Meine Alpha-Stimme war die stärkste und natürlich auch die von Eric, doch den will ich jetzt nicht erwähnen.

Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, denn ich musste meine volle Aufmerksamkeit jetzt aufs Jagen legen, sowie meine ganze Konzentration, schlichen wir nun durch den Wald.

Wir schlichen nur, weil wir gleich die freie Fläche, welche nur aus Wiese bestand, erreicht hatten und das Reh uns nicht wittern durfte, sonst würde es weg laufen. Meine Aufregung und der kleine Ausbruch hatten mich noch hungriger gemacht und da mein Magen noch zusätzlich knurrte, wurde es auch nicht besser.

Die wieder fröhliche Stimmung von Cody ließ meine Laune wieder sinken.

>>Sei nicht so ungeduldig<<, schnauzte ich ihn an, um meiner schlechten Laune Luft zu machen.
>>Bin ich nicht.<< Sogleich hatte ich seine Lüge erkannt, doch ich hatte jetzt keine Lust auf eine sinnlose Diskussion.

Das Reh, was wir jetzt schon eine Weile beobachtet hatten, fing an zu grasen. Das war meine Gelegenheit.

Doch bevor ich los springen konnte, wehte mir ein fremder Geruch in die Nase. Hätte der Wind mir den Duft nicht hinüber getragen, hätte ich ihn, wild vor Hunger, gar nicht bemerkt.

Sofort presste ich mich auf den Boden, was Cody verwirrt zur Kenntnis nahm, meinem Beispiel aber gleich folgte. Der Geruch verbiss sich in meiner Nase und ließ mich zornig knurren. Nicht schon wieder!

Als ich kurz zu Cody blickte, der bisher keinen Ton von sich gegeben hatte, fielen mir fast die Augen aus dem Kopf. Ich konnte kaum an mich halten. Auch noch das! Sein Anblick ließ mich laut knurren und einen Aufschrei, der gegen meine Kehle drückte, konnte ich mit höchster Anstrengung zurückhalten.

***

Ein weiteres Kapitel! Auch, wenn es etwas zu spät kommt, aber ich habe sehr viel Stress in letzter Zeit und komme kaum zum schreiben!

Lg

Die Zwillingswerwölfe- Sonne und FinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt