Kapitel 12 - Erwachen

18 2 1
                                    

Vollkommen gerädert und mit etwas Verspätung erschien ich an diesem Abend im Aufenthaltsraum. Die Geschwister rutschten bereits ungeduldig auf den Polstern herum, während Noore ungewöhnlich abwesend aus dem Fenster starrte. Einzig Corran war gänzlich bei der Sache. Er hatte sich in der Mitte des Raums positioniert und deutete mir stumm, mich zu setzen.

„Wie ihr wisst, sind wir heute wieder dran mit Patrouille", verkündete Corran, doch ich hörte ihm nur halbherzig zu. „Wir werden das Gelände bis zehn Uhr abgehen, dann lösen uns Asher und sein Team ab. Am heutigen Morgen haben ein paar Schüler der unteren Stufe bei der Ruine herumgeschnüffelt. Allie O'Hara kam zufällig vorbei und hat sie davon abgehalten weiter hinein zu gehen, indem sie ihnen verständlich machte, die Ruine sei einsturzgefährdet. Sie meinte, die Jungen wären äußerst hartnäckig gewesen, es handelte sich wohl um eine Art Mutprobe. Wir wurden gebeten ein Auge nach den Jungs offen zu halten. Vor Vollmond betritt niemand den Gang. Ich werde heute den Wald übernehmen. Noore, du übernimmst die Nordseite, Pete die Westseite und Lyddie, du den Osten. Colin", seine dunklen Augen wanderten zu mir, „du rotierst zwischen uns und hältst mich auf dem Laufenden."

„Okay."

„Hat noch jemand eine Frage? Sonst gehen wir jetzt runter."

Ein einvernehmliches Kopfschütteln unsererseits beendete das Briefing und leitete die Wache ein. Nachdem wir uns die Blazer besorgt hatten, machten wir uns auf den Weg nach draußen. Während die Geschwister wie so oft vorneweg liefen, trödelte ich etwas und wartete auf den passenden Moment, welcher sich kurze Zeit später ergab. Corrans Senkel hatten sich gelöst und er kurz innegehalten, um sie zu binden.

„Corran, warte!", ich hatte einen Satz nach vorne gemacht und ihn gepackt, als er gerade aufstehen wollte. Überrascht drehte er sich um.

„Was ist –?"

Er stoppte. Sein Blick war auf unsere Hände gefallen. Ich folgte ihm und erschrak. Durch seine Bewegung hatte ich nicht sein Handgelenk, sondern seine Hand selbst erwischt, welche ich noch immer festhielt.

„Entschuldige", peinlich berührt ließ ich ihn los. „Kann ich kurz mit dir reden?"

„Was ist los?" Die Sorge stand ihm ins Gesicht geschrieben.

„Es geht um meinen Erschaffer", flüsterte ich.

„Hat sich was geändert?", er hatte seine Stimme nun ebenfalls gesenkt und ich kam nicht umher zu bemerken, dass Noore uns interessiert musterte.

„Ist er hier?"

Ich nickte.

„Ja! Er ist hier."

Nervös wartete ich, bis Corran sein Gespräch mit Velma Lysander, welche die Schicht vor uns gemacht hatte, beendet hatte und in meine Richtung kam.

„Gibt sie Eleanor Bescheid?", fragte ich, kaum, dass er in Hörweite war.

Corran nickte. Ein Seufzen entfuhr ihm. „Eleanor wird alles in die Wege leiten. Ich verspreche dir, dir wird nichts geschehen. Komm!"

Willig folgte ich ihm. Wie üblich zogen wir uns zum kleinen Wäldchen nahe des Tors zurück, nur dass Corran dieses Mal sicher ging, dass niemand in unserer Nähe war, bevor er mir zu verstehen gab, zu erzählen.

„Ich war heute Morgen laufen und als ich das Wäldchen beim Friedhof erreicht hatte, habe ich auf einmal seine Stimme in meinem Kopf gehört. Sie hat meinen Namen gesagt. Erst dachte ich, jemand spielt mir einen Streich, aber ich bin mir zu 100% sicher, dass die Stimme ausschließlich in meinem Kopf war."

„Verstehe!", Corran kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Und ist noch was anderes geschehen?"

Ich zuckte zusammen. Ich hatte mit ihm über meinen Traum sprechen wollen, aber nun, wo ich die Chance, fehlte mir der Mut. Was, wenn er mich für einen Feigling hielt, oder gar für eine Gefahr? Es war nur ein Traum gewesen, aber es hatte sich so verdammt real angefühlt. Ich hatte mich aus tiefstem Herzen gefreut, den Rotäugigen zu sehen. Was, wenn ich tatsächlich eine Gefahr darstellte? Würde man mich rauswerfen? Würde sich Corran von mir abwenden, oder Noore? Ich kannte die beiden noch nicht lange, doch sie waren mir ans Herz gewachsen. Sie waren die ersten richtigen Freunde, die ich seit Jahren gefunden hatte. Corran betrachtete mich ruhig, aber bestimmt.

Ashwood MinorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt