Kapitel 46 - Ziele

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Mit wild hämmernden Herz folgte ich dem Flur zum Direktorat. Während eben noch der Gedanke an das mysteriöse Mädchen meinen Puls in die Höhe gejagt hatte, war es nun die Angst vor dem bevorstehenden Gespräch. Hatte ich noch eine Chance oder war das das Ende meiner Schullaufbahn? Für einen Moment hielt ich inne und atmete tief durch, dann klopfte ich an. Meine Hände waren eiskalt.

„Herein!"

Die mächtigen Vorhänge waren zur Seite gezogen und Tageslicht flutete den Raum. Wie gewohnt saß Eleanor mit gefalteten Händen hinter ihrem Schreibtisch und beobachtete mich dabei, wie ich die Tür hinter mir schloss und mit einem „Hallo, Miss Adams" den Stuhl ansteuerte.

„Darf ich mich setzen?", fragte ich vorsichtig.

Eleanor nickte. Ihr warmen Augen schimmerten eisig, was mich nervös mit meinen Händen spielen und zu Boden blicken ließ. Ich brauchte einen Moment, bevor ich mich bereit fühlte, ihren Blick zu erwidern.

„Wir müssen reden", läutete sie das Gespräch ein. „Du kannst dir sicherlich denken, worum es geht."

Ich nickte schuldbewusst. Ein dicker Kloß hatte sich in meinem Hals gebildet. Ich versuchte ihn herunterzuschlucken, doch als ich antwortete, war meine Stimme nicht mehr als ein heiseres Krächzen. So viel zu dem Wunsch selbstsicher ins Gespräch zu gehen.

„Es geht um den unerlaubten Ausflug zu mir nach Hause und um den Zettel, schätze ich."

Eleanor nickte. Mit der Hand gebot sie mir, anzufangen. Scheinbar wollte sie es mir überlassen, wo ich begann und wie viel ich erzählte. Wohl die letzte Chance, die sie mir gab, ehrlich mit ihr zu sein. Also begann ich zu reden. Ich berichtete ihr von dem Zettelfund und wie unser Gespräch danach mein Misstrauen gegenüber der Nachtwache befeuert hatte. Erklärte, dass ich aufgrund der Drohung und dem Nichterreichen meines Vaters Angst um diesen bekommen hatte und führte aus, wie ich mich mit Hilfe von Ashers Karte in Corrans Zimmer geschlichen hatte, um ihm nach meinen Erschaffer zu befragen, obwohl Eleanor jeglichen Kontakt untersagt hatte. (Marijans und Mishas Namen ließ ich hierbei geflissentlich aus!) Zu guter Letzt schilderte ich noch den Ausflug zu mir nach Hause, zu dem Corran überraschend dazu gestoßen war, und merkte an, dass es meinem Dad gut ging und wir uns ausgesprochen hatte. Den letzten Teil sprach ich hauptsächlich an, weil sie sich nach meiner Erzählung ebenfalls Sorgen um meinen Vater gemacht zu haben schien. Nur worüber Dad und ich im Detail gesprochen hatten, ließ ich aus. Das musste ich erst einmal für mich verarbeiten, bevor ich bereit war darüber zu sprechen.

Als ich das Ende erreicht hatte, hatte sich die Atmosphäre im Raum verändert. Eleanor hatte zwischen drinnen mehrfach den Kopf geschüttelt, sich zurückgelehnt oder ungläubig geseufzt, doch nun war sie still geworden. Ich bildete mir ein, ihr Blick wäre weicher als zuvor, trotzdem war ihre Strenge geblieben. Um ehrlich zu sein, war ihr unentschlossenes Schweigen schlimmer als jede Rüge, die sie mir hätte geben können. So kam es mir wie eine Ewigkeit vor, bis sie endlich zu sprechen begann.

„Colin, ich bin zutiefst enttäuscht von dir. Du hast meine Worte missachtet, mehrfach die Schulregeln gebrochen und einen Mitschüler bestohlen. Was mich jedoch am meisten schockiert, ist das berechnende Verhalten, welches du an den Tag gelegt hast, um deine Freunde dazu zu bringen, mit dir gemeinsam die Regeln zu brechen, wohlwissend welcher Gefahr sie sich damit aussetzen. Aber anstatt sie darüber aufzuklären oder dich direkt an mich zu wenden, hast du geschwiegen. Hast du zu irgendeinem Zeitpunkt an deine Freunde und die Folgen gedacht, die dein Handeln für sie haben könnte?

Geschockt blickte ich sie an und fühlte im nächsten Moment eine Welle der Schuld über mich hereinbrechen.

„Ja, habe ich", entgegnete ich zögerlich. War ich wirklich ein gefühlloses Monster? Es fühlte sich gerade verdammt so an.

Ashwood MinorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt