Kapitel 13 - Verzweiflung

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Urplötzlich hatte sich die Atmosphäre verändert. Die eben noch belebend frische Nachtluft war dem Schwall eines nur allzu vertrauten Geruchs gewichen. Ängstlich suchte ich den Blick der anderen. Alle waren sie in ihren Bewegungen erstarrt, als hätte sie eine unbekannte Krankheit befallen. Ich drehte mich um. Ein Wolf so groß wie ein Mensch, eben noch in Schmerzen zusammengekauert, richtete er sich nun zu seiner vollen Größe auf. Eine Welle aus Verwirrung und Angst schlug mir entgegen und entfachte Mitleid in mir. Von den fremden Gefühlen abgelenkt, unterlief mir eine folgenschwere Unachtsamkeit.

„Colin?", ich hatte einen Schritt nach vorne gemacht. Als mir mein Fehler bewusst wurde, war es bereits zu spät. Das Tier hatte den Kopf gewandt und mich mit seinen gelben Iriden fixiert. Die Lefzen nach oben gezogen, bleckte das Tier die Zähne. Ein tiefes Knurren entfuhr seiner Kehle. Terror überkam mich. Corran war einen Schritt nach vorne getreten und hatte sich mit aufgerichteten Schultern vor die zitternden Geschwister gestellt.

„Bleibt ruhig", gebot er mit fester Stimme. Sofort schnellten die Augen des Untieres zu ihm. Corrans Körpersprache interpretierend, veränderte sich die Haltung des braun-schwarzen Wolfes. Eine falsche Bewegung und er würde angreifen. Wie gebannt betrachtete ich die Szene. Corran bewegte sich nicht. Ganz ruhig sah er den Wolf an. Mied den Blick in dessen Pupillen, um das verängstigte Tier nicht zu provozieren, welches von Sekunde zu Sekunde nervöser wurde. Ich spürte Tränen in mir aufsteigen. Verzweifelt versuchte ich sie mitsamt meinen Gefühlen zu unterdrücken. Vergebens.

Corran wird sterben!, das war der einzige, ernüchternde Gedanke in dem Abyss meines Verstandes. Würde das Tier seiner inneren Panik beigeben und attackieren, hatte Corran keine Chance. Er konnte sich nicht verwandeln, das einzige was ihm blieb, war uns Zeit zu verschaffen, zurück zum Gebäude zu rennen, auch wenn das bedeutete er musste zurückbleiben.

Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen. Der mächtige Körper setzte zum Sprung an. Wie in Zeitlupe bewegten sich die kräftigen Muskel unter dem dicken Fell um uns unserem Schicksal zuzuführen. Just in der Sekunde schoss ein weißer Schatten an mir vorbei aus dem Gebüsch und stellte sich schützend vor Corran. Asher! Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich die weiße Wolfsgestalt des Seniors an, die sich wie eine Mauer zwischen uns und Colin aufgebaut hatte. Mit erhobener Rute und aufgestellten Ohren fletschte er die Zähne. Asher war ein Alpha, das spürte auch sein verängstigtes Gegenüber. Mit eingezogener Rute wich das braune Tier immer weiter zurück. Dann wirbelte es urplötzlich herum und wollte über die Ebene davon stürzen, doch Asher war schneller. Er sprang ihm in den Weg und biss zu. Colin schrie auf und versuchte in die andere Richtung zu entkommen, genau wie der Senior es geplant zu haben schien.

„Wir müssen ihnen nach", schrie ich Corran an, kaum dass die beiden Wölfen im Dickicht verschwunden waren. Mein Verstand war plötzlich so klar wie nie zuvor. Corran reagierte ebenfalls.

„Pete, du informierst die Nachtwache. Lyddie, du gibst Eleanor Bescheid", wies er die noch immer zitternden Kinder ruhig und bestimmt an. „Beeilung!"

Seine Worte durchbrachen ihre Starre und erfüllten die zarten Gestalten mit neuem Leben. Ohne eine weitere Sekunde zu verlieren, stürzten sie in Richtung der rettenden Lichter. Mit dem Wissen, dass die beiden in Sicherheit waren, setzten auch wir uns in Bewegung. Ohne Rücksicht auf Unversehrtheit stürzten wir durch das dichte Buschwerk, schlitterten den Abhang hinunter und rannten geradewegs in das schwarze Nichts im Herzen der Ruine. Immer tiefer hinab folgten wir der schmalen, glitschigen Treppe, bis das Licht der Dämmerung endgültig von einem Labyrinth aus Tunneln verschluckt wurde. Augenblicklich ummantelte uns der modrige Gestank der Gewölbe.

„Hier lang", raunte Corran und schlug den linken Weg ein, welcher in mehreren Windungen direkt zum Schloss führte. In der Ferne vernahm ich das Knurren und Wimmern der Wölfe, dann waren sie mit einem Mal verstummt. Plätschernd hallten unsere Schritte von den kahlen Wänden wider. Ich traute mich nicht, meine niederschmetternden Gedanken auszusprechen. Die plötzliche Stille machte mir Angst. Instinktiv lief ich schneller, was angesichts der Schmerzen in meiner Seite nicht so einfach war. Just als ich glaubte aufgeben zu müssen, zerriss ein Schrei die eisige Luft. Ein Schrei so voller Panik, dass sich mir der Magen umdrehte.

Ashwood MinorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt