7. Kapitel: Unbekanntes Terrain

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Als ich das erste Mal aufwachte, ging es mir genauso elend wie nach einer Nacht mit viel zu viel Alkohol.
Die Übelkeit war größtenteils verschwunden und durch ein flaues Gefühl im Magen ersetzt worden. Der Raum um mich herum drehte sich jedoch noch ein wenig und das Schwindelgefühl ließ mich erschöpft aufstöhnen. Was auch immer dieser Kerl mir in meinen Körper gejagt hatte, es war unglaublich unangenehm und ich würde mich allein schon deshalb darum bemühen, dass diese Einbrecher, die ja auch noch Mrs Doyle so schrecklich behandelt hatten, irgendwie gefangen würden.

Der Raum um mich war ein wenig abgedunkelt, wobei ich mit einem Blick auf eines der Fenster erkannte, dass es draußen noch hell war. Ich hatte also nicht allzu lange geschlafen.
Neben dem Licht nahm ich das zweite Sofa, den Sessel und den Tisch vor mir nur am Rande war, da mich das Umsehen wieder so sehr anstrengte, dass ich lieber schnell wieder meine Augen schloss, um meinen beschleunigten Atem wieder zu beruhigen.

Bei meinem zweiten Erwachen ging es mir schon deutlich besser. Dennoch hatte ich noch immer das Gefühl, als würde in meinem Kopf nur noch eine Brühe schwimmen, die mir kein wirklich intensives Nachdenken ermöglichte.
Als ich meine Augen blinzelnd öffnete, fiel mir gleich auf, dass der Raum nun von künstlichem, warmen Licht erleuchtet wurde, weshalb ich mich langsam nach der Lichtquelle umsah und sie in einer Stehlampe erkannte, die hinter einer mir bekannten menschlichen Gestalt aufragte.

Mr Holmes saß einige Meter entfernt von mir auf dem braunen Ledersessel und las in einer Zeitung. Dabei hatte er die Augenbrauen ein wenig zusammengezogen und sein ernster Blick ließ mich vermuten, dass er sich gerade nicht unbedingt mit einem Sudoku beschäftigte. Aber in dem Kopf eines solchen Mannes gingen vermutlich jederzeit irgendwelche Sorgen umher.
Seine Anwesenheit rief mir die Erkenntnis, die ich schon vor dem Einschlafen gewonnen hatte, zurück ins Gedächtnis: Ich befand mich in seinem Zuhause, wo auch immer das war.

Der Raum hatte zwar wenig persönliche Einrichtung, wenn man einmal von dem typisch Britischen absah, was bei diesem Mann wohl sein musste. Allerdings würde er wohl kaum seelenruhig in diesem Sessel sitzen, wenn er sich nicht in seinem eigenen Wohnzimmer befand, oder?
Ich wandte den Blick wieder ab und sah in Richtung der Decke, die mit dunklen hölzernen Paneelen verkleidet war. Einen Augenblick lang wollte ich zwar noch die Ruhe genießen, jedoch machte ich mir selbst einen Strich durch diese Rechnung, als mir ein trockenes, schwaches Husten entkam, was Mr Holmes beinahe erschrocken die Zeitung sinken ließ.

Ich blickte weiterhin an die Decke, schließlich war ein so eintöniges Bild bei dem Flimmern vor meinen Augen eindeutig angenehmer für meinen noch immer brummenden Schädel. Dabei hörte ich, wie Mr Holmes die Zeitung zusammenfaltete, weglegte, um mich daraufhin so aufmerksam wie eh und je zu betrachten.
„Ich hoffe, es geht Ihnen besser?", äußerte er nach einer Weile, wobei in seinen Worten tatsächlich ein wenig Mitgefühl schwang. Ob er sich nun wirklich sorgte oder wieder einmal nur so tat, konnte ich dabei jedoch nicht sagen.
Langsam drehte ich meinen Kopf ein Stück, um ihn ansehen zu können und erwiderte seinen Blick ruhig, während ich angestrengt nach den richtigen Worten suchte. Es war mir nun, da ich wirklich voll und ganz realisiert hatte, dass ich hier auf Mr Holmes' Sofa lag und dabei vermutlich sehr elend aussah, unglaublich peinlich, mich nun auch noch darüber unterhalten zu müssen, dass ich mich von zwei Einbrechern überwältigen lassen hatte, obwohl ich ihnen doch theoretisch ganz einfach hätte entkommen können, wenn ich nun im Nachhinein darüber nachdachte.
Es hätte mir schon viel verdächtiger vorkommen müssen, dass Mrs Doyle noch nicht aus ihrem Zimmer gekommen war. Aber auch so viele andere Anzeichen hatte ich einfach so ignoriert, während ich doch viel geschickter und schneller hätte handeln können.

„Es geht schon, danke", entgegnete ich nur, wobei meine Stimme unangenehm kratzte, was mich noch ungeschickter fühlen ließ.
Langsam wandte ich den Blick wieder ab und zog die Wolldecke, die meinen Körper bedeckte, bis zu meinem Kinn hoch. Mir war eiskalt.
„Sie haben Glück gehabt", durchbrach er die unangenehme Stille wieder, woraufhin ich wieder zu ihm sah. Mr Holmes nickte in Richtung des zweiten Sofas im Raum und erst jetzt fiel mir meine Handtasche auf, die darauf lag. Der Stick war also tatsächlich noch da.
Etwas erleichtert atmete ich auf, begegnete gleich darauf jedoch schon wieder Mr Holmes' Blick, der plötzlich eine gewisse Feindseligkeit angenommen hatte.
„Ihre Ausbildung hat offenbar gereicht, um die Einbrecher einigermaßen abzuwehren", sagte er dann, was mich die Zähne angespannt zusammenbeißen ließ. Ein unangenehmer Schauder lief über meinen Körper und unter Decke verknotete ich meine Finger miteinander.
„Welche Ausbildung?", fragte ich und zog die Augenbrauen zusammen, wobei mir schon vor dem Aussprechen der Worte bewusst war, dass meine Scheinheiligkeit völlig übertrieben klang.
Mr Holmes verengte nur ein wenig die Augen und griff wieder nach seiner Zeitung.
„Halten Sie mich nicht zum Narren", zischte er noch, bevor er sich wieder abwandte und somit unser Gespräch beendete, das ohnehin von der Person unterbrochen worden wäre, die nun den Raum betrat.

Lügenleben || Mycroft HolmesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt