Herzlich willkommen zu dieser Ff,
damit es nicht zu Missverständnissen kommt, hier eine kurze Erklärung vorab:
Ich habe mir die Story ein wenig zurechtgebogen, sodass John mit Rosie bereits wieder bei Sherlock in der (renovierten) 221B wohnt. Wie in der Kurzbeschreibung bereits erklärt, beginnt die Geschichte noch während "Der lügende Detektiv", allerdings vor Johns abschließender Therapiesitzung, die dann ja die Ereignisse aus "Das letzte Problem" einläutet.
Ich lasse meine Handlung zwischen diesen zwei Ereignissen beginnen, wodurch die ganze Sache mit Eurus ein Stück nach hinten verschoben wird.
Viel Spaß beim Lesen!
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Das Vogelgezwitscher, das im herbstlichen Garten eine so idyllische Stimmung verbreitete, täuschte über das wilde Durcheinander, das in der Wut und Aufregung Mrs Doyles im Innern des überflüssig großen Hauses entstanden war, so gut hinweg, dass ich die Herrin des Hauses beinahe hätte ignorieren können.
Doch so einfach war das mit der älteren Dame nicht. Mrs Doyle war in jeder Hinsicht eine leidenschaftliche Frau und lebte ihre Gefühle so aus, wie es ihr beliebte, und beruhigte sich erst, wenn sie es für nötig hielt.
Daher hatte ich es an diesem Vormittag für unsinnig befunden, mich in ihre Schussbahn zu begeben und war nach dem Frühstück, bei dem sie in ihrer Post einen offenbar erschütternden Brief gefunden hatte, in den Garten geflüchtet, der zurzeit glücklicherweise einiges an Arbeit erforderte.
Obwohl ich heute Vormittag eigentlich die Gardinen hatte waschen wollen, war mir die Gartenarbeit nach den zahlreichen Flüchen, mit denen Mrs Doyle um sich geworfen hatte, doch um einiges wichtiger erschienen.
Die Herrin des Hauses hatte meine Flucht nur mit einem unwirschen Nasenrümpfen kommentiert und sich seitdem offenbar ihren Gefühlsausbrüchen gewidmet.
Es war bemerkenswert, wie eindrucksvoll diese Frau mit ihren neunundsiebzig Jahren noch sein konnte, und ich erwischte mich immer wieder dabei, wie ich sie dafür bewunderte.
Schließlich war sie nicht nur selbst eine Persönlichkeit, sondern schien in ihrem Leben auch so einiges erreicht zu haben, von dem andere nur träumen konnten: Sie hatte Mr Doyle in jungen Jahren geheiratet und die Liebe des Ehepaars war mit den vielen Jahrzehnten offenbar nur gewachsen. Bis zu seinem Tod vor etwas mehr als einem Jahr waren die zwei eines der dynamischsten Paare gewesen, die ich jemals erlebt hatte.
Zwar hatte ich den Politiker und seine Frau noch nicht immer so gut gekannt, doch ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie ich Mrs Doyle angehimmelt hatte, als ich sie mit damaligen frischen zwanzig Jahren das erste Mal getroffen hatte.
Mit einem kräftigen Hieb versenkte ich das Ende der kleinen Schaufel in dem Blumenbeet und richtete mich stöhnend auf. Ja, mit zwanzig Jahren hatte man doch noch eine ganz andere Sicht auf die Welt und vor allem weniger Sorgen.
Ich ließ mich kurzerhand auf dem grünen Rasen nieder, den ich erst diesen Morgen gemäht hatte, sodass noch immer dieser wunderbar frische Geruch in der Luft hing, und stieß ein tiefes Seufzen aus, als ich in Richtung des Cottages blickte.
Mrs Doyle begleitete mich nun schon mehr als zehn Jahre und dennoch hatte ich noch nicht alle Seiten ihres ehemals sehr aufregenden Lebens kennengelernt. Natürlich hatte Mr Doyle damals auch viele Geheimnisse für sich behalten müssen und seine Frau war bezüglich der ehemaligen Machenschaften ihres Politikergatten verschwiegener als ein Stein.
Das und die Tatsache, dass es in dem alten Cottage ganz offensichtlich recht fragwürdige Geheimverstecke gab, denen ich nicht einmal beim Putzen zu nahekommen durfte, machten mich nun schon seit dem Tod Mr Doyles misstrauisch.
Seitdem ich Mrs Doyle nun seit einem dreiviertel Jahr im Alltag unterstützte, hatte sie mich schon häufiger darauf hingewiesen, dass ich einige Dinge in ihrem Haus nicht anzufassen hatte, wobei sie hin und wieder sogar zu kontrollieren schien, ob ich nicht eine ihrer verschlossenen Schubladen aufgebrochen hatte oder in den vielen alten Dokumenten gestöbert hatte, die sich in zahlreichen Ordnern im ehemaligen Büro ihres Mannes befanden.
Natürlich reizte mich diese Geheimnistuerei auch sehr und einmal hatte ich tatsächlich einen der Ordner geöffnet, jedoch waren es zu meinem Bedauern nur alte Rechnungen gewesen und das schlechte Gewissen gegenüber Mrs Doyle war doch zu groß gewesen, als dass ich es noch einmal getan hätte.
Inwiefern dieses Verhalten jedoch vielleicht auch mit ihrem Alter zu tun hatte, konnte ich nicht einschätzen und ich hütete mich davor, ihr irgendwelche Fragen zu stellen. Das würde mir Mrs Doyle vermutlich wochenlang nicht verzeihen können.
Nachdem die Dame jedoch an diesem Morgen diesen scheinbar verhängnisvollen Brief geöffnet hatte und zuerst mit Schimpftiraden reagiert hatte, war sie zu einem der alten Wohnzimmerschränke gestürmt, hatte aus dem kleinen Beutelchen, das sie zumeist um den Hals trug, einen Schlüssel gezogen und war für zehn Minuten damit beschäftigt gewesen, verschiedene Schubladen zu durchwühlen.
Als ich ihr meine Hilfe angeboten hatte, hatte sie mir nur mit zusammengekniffenen Augen einen scharfen Blick über die Schulte zugeworfen, woraufhin ich mich still entfernt und das Haus seitdem nicht mehr betreten hatte.
„Julie", klang es mit einem Mal aus Richtung des Cottages und ich konnte tatsächlich Mrs Doyle auf der Terrasse stehen sehen. Ihrem einschmeichelnden Ton nach hatte sie sich beruhigt und würde nun irgendetwas von mir wollen. Sicherlich hatte sie in ihrer Wut auch das halbe Haus auseinandergenommen und ich durfte ihr nun wieder hinterherräumen. Aber dazu war ich schließlich auch da.
Trotz dessen, was mir bevorstand, schlich sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen und ich erhob mich, während ich noch einen Blick auf meine Armbanduhr warf. Tatsächlich war es auch bald Zeit für das Mittagessen.
Nachdem ich all meine Utensilien aufgesammelt und in der kleinen Gartenhütte verstaut hatte, stapfte ich in Richtung der Terrasse und fand mich gleich einer freundlich lächelnden Mrs Doyle gegenüber. Ja, diese Frau war eine Expertin darin, sich vor anderen Leuten im richtigen Licht darzustellen.
„Was gibt es, Mrs Doyle?", fragte ich, während ich mir die erdigen Schuhe auszog, um ihr dann in das Wohnzimmer zu folgen, das überraschenderweise gar nicht so schlimm aussah, wie ich erwartet hatte. Dennoch waren einige Schubladen und Schranktüren noch geöffnet und auf dem kleinen Tisch, der in der Mitte der Sitzgruppe stand, lagen zahlreiche Unterlagen herum, wobei es beinahe so aussah, als wären die Zettel auf eine gewisse Weise angeordnet worden.
Mrs Doyle ließ sich auf einer der ledernen Sofas nieder und klopfte auf die Sitzfläche neben sich, während ich meine Schuhe schnell vor die Terrassentür stellte. Ich würde sie später saubermachen müssen.
„Setz dich zu mir, Kind", forderte sie mich auf und ich bemühte mich sehr darum, keinen misstrauischen Gesichtsausdruck aufzusetzen, wobei ich mir jedoch recht sicher war, dass es mir gründlich misslang.
Die ältere Dame lächelte mir auf ihre typische antrainierte Weise entgegen, wobei mir das Lächeln gar nicht falsch vorgekommen wäre, würde ich nicht alle paar Tage mitbekommen, wie sie es benutzt, um sich bei jenen Leuten beliebt zu machen, die aufgrund ihres verstorbenen Mannes meinten, sich bei ihr durch Teebesuche einschmeicheln zu müssen.
Mrs Doyle machte mir gegenüber keinen Hehl daraus, dass sie die meisten dieser Leute nicht mochte, jedoch betonte sie auch immer wieder, wie wichtig Beziehungen waren. So konnte sie sich auch stundenlang mit den einfältigsten Menschen unterhalten, wenn es die Situation denn erforderte.
Ich ließ mich neben Mrs Doyle nieder, woraufhin sie sofort meine Hand ergriff. Ihre Augen huschten zwischen meinem Gesicht und unseren Händen hin und her und ich war überrascht darüber, wie viel Nervosität diese Frau doch zeigen konnte. Normalerweise ließ sich Anne Doyle nicht so einfach von irgendetwas beeindrucken und ich war mir recht sicher, dass ich sie noch nie so fahrig erlebt.
Leidenschaftliche Gefühlsausbrüche waren bei ihr keine Seltenheit, aber dabei behielt sie jederzeit diese Stärke und Würde, die ich immer an ihr bewunderte. Nun schien all das aber zu bröckeln, sodass sie mir beinahe leidtat.
„Also, wie kann ich helfen?", fragte ich nach einer Weile, in der Mrs Doyle offenbar noch immer nicht die richtigen Worte hatte finden können. Um ihr noch ein wenig mehr Unterstützung zu geben, erwiderte ich kurz den Druck ihrer Hände.
Als sie nun zu mir aufblickte, konnte ich kurz die Dankbarkeit in ihren dunklen Augen aufblitzen sehen, bevor dieser Ausdruck wieder der professionellen Miene wich.
„Du hast sicherlich mitbekommen, dass mich heute Morgen ein Brief von äußerst...heiklem Inhalt erreicht hat", begann sie dann zögerlich und unterbrach den Blickkontakt.
Ich nickte nur, da ich auf ihre nächsten Worte gespannt war, jedoch musste ich mich wieder einige Augenblicke gedulden.
Ich konnte genau beobachten, wie Mrs Doyles Blick kurz zu dem Foto ihres Mannes wanderte, das auf einem der Schränke stand. Dieses Verhalten hatte ich schon häufiger bei ihr beobachten können und fand es jedes Mal herzzerreißend. Der Tod ihres Mannes hatte für sie den größten Einschnitt in ihr Leben bedeutet.
Mit einem Mal entkam ihrem Mund ein tiefes Seufzen und ihren zierlichen Körper verließ jegliche Spannung. Das Lächeln verließ ihren Mund und zurück blieb ein erschreckend niedergeschlagener Ausdruck.
„Julie, ich werde es dir erzählen, aber ich erwarte äußerste Verschwiegenheit von dir", begann sie dann und warf mir ihren typischen warnenden Blick zu, der jedes Mal auch irgendwie etwas Mütterliches an sich hatte.
„Mrs Doyle, wem sollte ich schon irgendetwas erzählen?", stellte ich mit ironischem Unterton die rhetorische Frage, um die Situation auch für mich ein wenig aufzulockern, schließlich war ich mir sicher, dass das Folgende keine Kleinigkeit sein würde. Denn obwohl die ältere Dame zumeist doch recht gewöhnlich wirkte, war mir klar, dass sie schon allein durch ihren Mann viel mehr wusste als man ihr im ersten Moment zutrauen würde.
Mrs Doyle warf mir nur einen tadelnden Blick zu, woraufhin ich leicht lächelte.
„Sie haben mein Wort", versicherte ich also deutlich ernster als zuvor. Sie nickte nur, wandte den Blick ab und blickte dann beinahe apathisch in Richtung der Fensterfront.
„Du weißt, dass Richard schon lange vor seinem Ruhestand aktiv in der Politik war", setzte sie dann mit leiser Stimme an und ich nickte nur, wobei auch ich einen Blick auf Foto am anderen Ende des Raumes warf.
„Und du weißt, dass er damals beim Security Service tätig war", fügte sie hinzu und ging nun dazu über, meine Reaktionen aus ihren aufmerksamen Augen zu beobachten.
„Ansonsten hätte ich ihn niemals kennengelernt", entgegnete ich nur und musste bei den Erinnerungen, die das Gespräch hervorrief, doch den Blick für eine Weile senken.
„Richtig", stimmte Mrs Doyle mir nur langsam zu. Es fiel ihr offenbar tatsächlich sehr schwer, die richtigen Worte zu finden. Ob es nun daran lag, dass sie nicht wusste, wie viel sie mir erzählen konnte, oder daran, dass sie das alles tatsächlich so sehr mitnahm, konnte ich in diesem Augenblick noch nicht sagen.
„Richard war in dieser Zeit weniger ein bedeutender Politiker. Das ist er erst später geworden", setzte sie nun wieder an. „Es ging in seinen ersten Jahren viel mehr darum, dass er so entscheidende Verbindungen zum Geheimdienst hatte und den vielen Zuspruch, den er bekommen hat, hat ihn ganz übermütig werden lassen, obwohl er sich jederzeit im Hintergrund hielt."
Ich beobachtete Mrs Doyle dabei, wie sie den Blick zu Boden senkte und ihre Hände dann langsam aus meinen zog, um sich ein Stück von mir wegzudrehen. Das gefiel mir ganz und gar nicht. Ich hasste es, wenn ich Menschen bei so wichtigen Unterhaltungen nicht ins Gesicht sehen konnte. Dazu vertraute ich viel zu gern auf Mimik und Gestik anstatt auf das gesprochene Wort.
Dennoch musste es für Mrs Doyle schwer sein, mir dieses Geheimnis, in das offenbar so viele Jahrzehnte lang nur wenige Menschen eingeweiht gewesen waren, zu offenbaren. Das zeigte mir auch ereneut das Seufzen, das sie nun wieder ausstieß.
Ich hatte sie selten so niedergeschlagen und völlig ohne jegliche Spannung erlebt. Normalerweise war die Frau so energiegeladen und streitlustig, dass man meinen könnte, sie wäre mindestens zwanzig Jahre jünger.
„Richard hat sich damals von...bestimmten Leuten umgarnen lassen, die ihn mit Schmeicheleien und Lob gelockt haben. Er war noch so jung und hatte keine Ahnung davon, wie genau das alles in der Politik funktionierte", fuhr sie nun fort und warf mir einen kurzen flehenden Blick zu, als würde sie von mir Verständnis für ihren Mann einfordern.
Ich musste zugeben, dass ihre Erzählung mich langsam doch recht unruhig werden ließ.
Auch mir war klar, dass Richard Doyle Dinge gewusst haben musste, die nicht jeder Bürger Großbritanniens erfahren hatte. Allerdings ließen mich Mrs Doyles Wortwahl und ihre Reaktion auf den Brief nun deutlich Schlimmeres vermuten als ein kleines politisches Geheimnis oder die Unterschlagung von ein paar Pfund Steuergeldern.
„Es ging damals um die Durchleuchtung der verschiedensten Minister und Staatssekretäre. Richard und einer seiner Kollegen waren vom Verteidigungsminister ein ums andere Mal eingeladen worden und ich bin mir bis heute nicht sicher, was bei diesen zahlreichen Abendessen besprochen worden ist. Aber Richard war so stolz auf sich und natürlich haben wir das Ganze damals nicht so sehr hinterfragt, schließlich geht man nicht davon aus, dass man etwas Falsches tut, wenn man vom Verteidigungsminister persönlich beauftragt wird", sprach Mrs Doyle dann so schnell weiter, dass ich sie teilweise kaum verstand. Ihre Nervosität hatte sich ganz offensichtlich noch weiter gesteigert, was sich nun auch in dem Friemeln an ihrem Rocksaum äußerte.
„War er denn nicht mal ein bisschen misstrauisch?", fragte ich vorsichtig, denn die ganze Sache erschien mir nun doch ein wenig komisch.
Sofort hob Mrs Doyle wieder den Kopf und warf mir einen scharfen, beinahe verletzten Blick zu, der mir gleich zeigte, dass meine Frage eindeutig ihren Stolz und den ihres verstorbenen Mannes angriff.
„Natürlich waren die beiden unsicher. So blauäugig war Richard nun wirklich nicht!", antwortete sie bissig, schien sich dann jedoch wieder ein wenig beruhigt zu haben.
„Die beiden gingen sehr vorsichtig vor. Hätten sie nicht gewusst, wie man mit solchen Informationen umgeht, wären sie schließlich nicht beim MI5 gewesen", sie warf mir einen vielsagenden Blick zu, „und sie trauten dem Mann zuerst kein Stück."
Hier stoppte sie und rang offenbar erneut mit den Worten, wobei sich ihre geschminkten Lippen ein paar Mal leicht öffneten und wieder schlossen. Dann verzog sie ihr Gesicht ein wenig und schürzte die Lippen, bevor sie weitersprach.
„Die meisten Abgeordneten begegnete dem Verteidigungsminister schon vorher mit Misstrauen, aber nachdem Richard und Carl, sein Kollege, tatsächlich recht schnell etwas entdeckt hatten, glaubten sie dem Mann natürlich. Für sie gab es plötzlich Gut und Böse im Parlament und sie verstanden diese Feindschaften zwischen den Abgeordneten völlig falsch", erzählte sie, wobei langsam ein verzweifelter Unterton in ihren Worten mitschwang.
Mrs Doyle wandte sich mir nun wieder ein Stück zu und blickte mir ernst ins Gesicht. Offenbar würde jetzt erst der große Teil der Geschichte folgen.
„Peter Gardener, der damalige Verteidigungsminister, hatte den beiden zu Anfang Namen gegeben, bei denen er sich sicher sein konnte, dass man irgendwelche Ungereimtheiten finden würde. Der Kerl war schlau. Er wusste, dass er dadurch ihr Vertrauen gewinnen würde. Aber was darauf folgte, war nichts als illegale Spionage", fuhr sie fort und langsam aber sicher begann ich zu verstehen, worauf diese Erzählung hinauslaufen würde.
„Der hat Ihren Mann also das gesamte Kabinett durchleuchten lassen", stellte ich perplex fest und spürte, wie mein Griff um die Sofalehne beinahe automatisch ein wenig fester wurde. Mit meinen eigenen Worten wurde mir nämlich bewusst, was dieses Wissen für mich bedeuten könnte.
Mrs Hoyle stieß aber nur ein leicht verächtliches Schnauben aus und wandte nun deutlich wütender den Blick von mir ab.
„Es wäre eine wahre Erleichterung, wenn es nur das Kabinett gewesen wäre, aber Mr Gardener", den Namen sprach sie voller Verachtung aus , „hielt es für nötig, Informationen über sämtliche Abgeordnete zu sammeln und hatte hin und wieder auch Interesse an ganz normalen Bürgern, die mit Politik rein gar nichts am Hut hatten. Er schaffte es nur leider jedes Mal, Carl und Richard davon zu überzeugen, dass etwas daran war. Tatsächlich machte er ihnen weis, dass sie an einer großen Sachen dranwaren, was die zwei natürlich auch zur Geheimhaltung ansporne."
Mrs Doyle endete hier vorerst. Sie schien mein Entsetzen und meine Befangenheit bemerkt zu haben, sodass sie mir offenbar einen Moment der Ruhe gönnte.
Wir sahen beide in den Garten hinaus und ganz leise drang das Vogelgezwitscher zu uns hinein, was mir in diesem Augenblick beinahe unwirklich vorkam. Wie wünschte ich mir nun die idyllischen Morgenstunden mit Mrs Doyles Wutausbruch zurück!
„Was ist mit den gesammelten Informationen passiert?", fragte ich wie von selbst und war einen Moment über mich selbst überrascht. Obwohl ich immer geglaubt hatte, dass ich auf Erzählungen dieser Art nicht allzu empfindlich reagierte, wurde mir nun klar, wie es sein konnte, wenn es tatsächlich eine Person betraf, der man sehr nahesteht.
„Mr Gardener wurde noch vor Beendigung des Projekts aufgrund von Steuerhinterziehung seines Amtes enthoben und konnte so nie alle Informationen erhalten, die gesammelt worden waren. Richard und Carl haben sich damals darum gekümmert, dass jegliche Daten, die er hatte, vernichtet wurden", antwortete Mrs Doyle und ließ mich somit ein wenig aufatmen.
Ich fühlte mich beinahe wie ein Kind, dass einer spannenden Geschichte lauschte, in der am Ende doch noch der Held siegte.
Als die Erleichterung komplett von mir Besitz ergreifen zu schien, kam mir jedoch der eigentliche Auslöser unseres Gesprächs in den Sinn und ich wandte mich wieder ruckartig der Frau neben mir zu.
„Was hat der Brief damit zu tun?", fragte ich beinahe misstrauisch und bemerkte, wie Mrs Doyle meinem Blick auswich. Es war ein eigenartiges Gefühl, diese Frau mir gegenüber so eingeschüchtert zu sehen.
„Na ja...", begann sie stammelnd und warf mir kurz ein versöhnliches Lächeln zu, das noch falscher aussah als das Lächeln, das sie für ihre Bekannten reserviert hatte und alle paar Tage seine Anwendung fand.
„Mrs Doyle!", sagte ich drohend und legte mit hochgezogener Braue den Kopf ein wenig schief. Doch tatsächlich wich sie mir erneut aus.
„Julie, meine Liebe, es geht darum, dass du etwa für mich tun könntest. Es ist nämlich so, dass es gewisse Unterlagen gibt, die an einen anderen Ort gebracht werden müssten", begann sie nun in freundlichem Plauderton, was mich gereizt die Lippen zusammenpressen ließ. Natürlich hatte sie es mir nicht einfach sagen können.
„Ihr Mann hat alles behalten", schlussfolgerte ich ruhig, ohne auf ihre Bitte einzugehen und schüttelte ungläubig den Kopf.
Da dachte man, man kenne ein nettes älteres Ehepaar, das einem so viel im Leben geholfen hat, und bekommt nach Jahren offenbart, dass diese zwei Personen offenbar in staatliche Intrigen verwickelt gewesen waren – wenn die Sache denn überhaupt vorbei war.
Bei dem erneuten Überdenken des vergangenen Gesprächs kam mir jedoch ein etwas gemeiner Gedanke und ich richtete meinen Blick entschlossen auf Mrs Doyle.
„Warum sollte ich mich von Ihnen in die ganze Sache mit hineinziehen lassen?", fragte ich in sachlichem Ton und konnte genau sehen, wie sehr sie das verunsicherte. Ihr Kopf arbeitete offensichtlich auf Hochtouren, was ich an dem schnellen Herumhuschen ihres Blicks erkannte. Dann sah sie mich jedoch wieder mit diesem mütterlichen, flehenden Ausdruck an, der mich schon sooft zu etwas bewegt hatte, was ich eigentlich nicht hatte tun wollen.
„Aber Julie, du bist doch-"
„Lassen Sie das!", unterbrach ich sie barsch und meine Unfreundlichkeit tat mir gleich darauf leid. Ich war Mrs Doyle gegenüber noch nie respektlos geworden, doch meine Taktik erforderte das nun einmal.
Sofort wandelte sich Mrs Doyles Miene und ihr Gesichtsausdruck wurde härter und beinahe ein wenig diabolisch.
„Weißt du, Schwarzarbeit macht sich nirgendwo besonders gut", begann sie dann, wobei sich ein selbstsicheres Grinsen auf ihrem Gesicht ausbreitete.
Ich schüttelte nur kurz den Kopf, bevor ich ihr wieder entgegenblickte und meinen Gegenangriff startete.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Bisschen Geld dem Richter im Vergleich zu dem Umfang an geheimen Daten, den sie hier vermutlich versteckt haben, ziemlich egal sein wird", sagte ich und lehnte mich nun in dem Sofa zurück.
Die Anspannung, die Mrs Doyles Erzählung in mir ausgelöst hatte, fiel langsam ab und ich begann, mich mit dem Gedanken an ein kriminelles Ehepaar Doyle anzufreunden. Es hatte doch schließlich jeder seine Leichen im Keller.
„Sicherlich! Aber so ein paar plötzlich auftauchende Lücken im Lebenslauf könnten den ein oder anderen auch interessieren, wenn es dazu kommen sollte, dass du hier nicht mehr arbeiten kannst und wohlmöglich etwas machen musst, was mit deinem Studium oder gar deiner Ausbildung zu tun hat", entgegnete sie dieses Mal, wobei mich ihre Worte tatsächlich überraschten. Dass Mrs Doyle so persönlich werden würde, hätte ich ihr nicht zugetraut und so war ich kurz zwischen den verschiedensten Emotionen hin und hergerissen, bis sich unbewusst ein amüsiertes Grinsen auf meinem Gesicht ausbreitete.
„Dass Sie mich noch einmal erpressen würden, hätte ich nun wirklich nicht gedacht", gab ich amüsiert zu und auch Mrs Doyles Züge wurden nun entspannter, bis auch ihre Lippen ein Lächeln bildeten.
„Ohne meine geheimen Fähigkeiten wäre ich im Leben niemals so weit gekommen", erwiderte sie nur mit einem Schulterzucken, woraufhin ich mich mit einem kleinen Lachen schwungvoll erhob.
„Es ist Zeit für das Mittagessen", sagte ich nur und wollte mich schon in Richtung Küche begeben, wobei ich jedoch noch einmal stehenblieb, um mich umzudrehen.
„Mrs Doyle, Sie wissen, dass ich es auch nur für Sie zwei getan hätte", sagte ich zögerlich und warf erneut einen kurzen Blick auf das Portraitfoto von Mr Doyle.
Das warme, ehrliche Lächeln, das mir nun geschenkt wurde, wäre mir schon Antwort genug gewesen.
„Natürlich", nickte Mrs Doyle und tatsächlich erwärmte ihr beinahe gerührter Gesichtsausdruck mein Herz.
Ich wollte mich schon wieder umdrehen, als ich doch wieder einen zögerlichen in Richtung des Sofas machte, was Mrs Doyle mit neugierigem Blick registrierte.
„Sie werden mir doch erzählen, was es mit dem Brief auf sich hat?", fragte ich, woraufhin sich ein verschmitzter Ausdruck auf Mrs Doyles Gesicht ausbreitete, der sie häufig um so viele Jahre jünger wirken ließ. Dieser Ausdruck wurde aber schnell von einer Strenge ersetzt, die über das amüsierte Glitzern in ihren Augen allerdings nicht hinwegtäuschen konnte.
„Vielleicht findet sich ja beim Tee ein wenig Zeit", sagte sie nur und zwinkerte mir kurz zu, womit ich mich endlich auf den Weg in die Küche machte.
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Lügenleben || Mycroft Holmes
FanficJulie ist baff, als ihr offenbart wird, dass das nette ältere Ehepaar Doyle, das sie seit Jahren kennt, in staatliche Intrigen verstrickt ist. Aber viel Zeit bleibt ihr nicht, um diese Information zu verdauen, schließlich will nicht nur ein geheimni...