Entgegen meinen Befürchtungen nach diesem doch sehr interessanten Besuch, kehrte in den darauffolgenden Wochen tatsächlich wieder Ruhe bei Mrs Doyle und mir ein.
Natürlich hatte ich sie fragen müssen, wer dieser Mr Holmes denn nun war, worauf sie mir nur schweigend den verhängnisvollen Brief in die Hand gedrückt hatte.
Als ich dann tatsächlich den Namen Mycroft Holmes mit einer – natürlich gedruckten und nicht handgeschriebenen – Unterschrift am Ende des Zettels fand, fühlte ich mich für einen Augenblick tatsächlich recht unwohl. Wir hatten doch tatsächlich dem Direktor des Secret Intelligence Service ins Gesicht gelogen.
„Er bestimmt also darüber, was beim MI6 so läuft?", fragte ich, während ich den Brief wieder in den Umschlag schob. Mrs Doyle schüttelte jedoch nur den Kopf.
„Oh nein, Mycroft Holmes bestimmt darüber, was in ganz Großbritannien so läuft", griff sie meine Formulierung mit ironischem Unterton auf, gab mir daraufhin jedoch keine Möglichkeit, um weiter nachzufragen.
Das Einzige, was ich wusste, war also, dass ich einen der entscheidungsmächtigsten Männer des Landes verärgert und belogen hatte. Das musste man erst einmal schaffen!
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Trotz der Ereignislosigkeit der nächsten Tage und Wochen hielt Mrs Doyle es offenbar für nötig, den USB-Stick weiterhin versteckt zu lassen. So bat sie mich darum, ihn weiter außerhalb ihres Hauses aufzubewahren, womit ich nun langsam wirklich kein Problem mehr hatte.
Ich schleppte ihn nicht mehr mit mir herum, sondern ließ ihn einfach in meiner Wohnung liegen, wo er mir doch sehr sicher vorkam.
Mrs Doyles Paranoia erschien mir zu diesem Zeitpunkt völlig übertrieben und mit der Zeit vergaß ich sogar immer häufiger, dass ich für jemanden arbeitete, der doch tatsächlich die Dreistigkeit besaß, den Staat zu belügen und wichtige Daten vorzuenthalten.
Aber na ja, ich konnte mich nun wirklich nicht beschweren.Dennoch kam es mir jedes Mal unwirklich vor, wenn mein Blick auf dieses kleine silberne Ding fiel. Vermutlich würde Mrs Doyle es vorerst gar nicht mitbekommen, würde ich den Stick bei einem meiner Einkäufe in der Londoner Innenstadt einfach in der Themse versenken.
Aber die Tatsache, dass diese Daten in bestimmten Situationen vielleicht sogar Leben retten konnten, hielt mich zurück. Mr Doyle hatte nie willkürlich oder unüberlegt gehandelt, also sollte ich ihm vertrauen.
Tatsächlich musste ich auch immer wieder dem Drang danach widerstehen, mir die vielen Dokumente, die sich auf diesem Speicherstick befinden mussten, einfach einmal anzusehen. Es würde natürlich niemandem schaden, aber der Gedanke daran, dass jemand das Gleiche mit meinen Daten tun könnte, hielt mich dann doch immer wieder davon ab.So wurde der USB-Stick auf meinem Schreibtisch zu einem der vielen Gegenstände, die in meinem Alltag kaum Beachtung fanden.
Mrs Doyle schien es nach diesen nervenaufreibenden Tagen jedoch für nötig zu halten, mir so viel Freiheit wie möglich zu ermöglichen. Unser lockeres Arbeitsverhältnis machte dies möglich.
So verließ ich sie immer häufiger schon am Nachmittag, wenn sie noch Besuch von ihren Freundinnen hatte, oder teilte mit ihr ein Taxi, das sie zu einer Abendverabredung und mich nach Hause brachte.
Jedoch konnte natürlich auch das nicht einfach so geschehen.
Nein, Mrs Doyle hielt es für ein Unding, dass ich mich mit Anfang dreißig in keiner Beziehung befand.
So beauftragte sie mich mehrmals die Woche damit, abends etwas zu unternehmen und hielt es dann auch noch für angebracht, mir regelmäßig Karten für bestimmte Unternehmungen zu besorgen, bei denen sie scheinbar Singles in meinem Alter vermutete.Die meisten Abende blieb ich natürlich zu Hause und genoss die freie Zeit, die ich nun plötzlich hatte, mit Filmen und gutem Essen, das ich tatsächlich nur für mich zubereitete.
Die letzten Monate über war es für mich völlig normal gewesen, von morgens bis abends bei Mrs Doyle zu bleiben. Ich hatte damit keinerlei Probleme gehabt, schließlich traf ich mich ohnehin selten mit einer Freundin und mein Haushalt ließ sich innerhalb weniger Stunden in der Woche bewältigen.
Als sie mir nun aber tatsächlich Karten für Theaterbesuche, Filmvorstellungen oder etwas ausgefallenere Veranstaltungen gab, überwand ich mich doch, abends wieder häufiger wegzugehen.
Auf meine Versuche, Mrs Doyle die Karten zurückzugeben oder sie davon zu überzeugen, dass ich sie nicht brauchte, reagierte sie immer nur mit Schweigen und tadelnden Blicken.
So nutzte ich die Chance einfach dafür, wieder einmal ein wenig mehr Kultur zu erleben und tatsächlich gefiel es mir teilweise recht gut.
Hin und wieder verließ ich eine dieser todlangweiligen Hauptversammlungen, zu denen Mrs Doyle mich an ihrer statt schickte, zwar frühzeitig und genoss nur die gute Verpflegung, während irgendwelche Leute im Hintergrund wirklich uninteressante Vorträge hielten, aber meistens genoss ich es entgegen meinen Erwartungen tatsächlich, wieder häufiger unter Leuten zu sein.
Tatsächlich lernte ich auch einige Männer kennen, jedoch war mir keiner von ihnen sympathisch genug, sodass es für mehr als ein weiteres Treffen ausreichte.
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Lügenleben || Mycroft Holmes
FanficJulie ist baff, als ihr offenbart wird, dass das nette ältere Ehepaar Doyle, das sie seit Jahren kennt, in staatliche Intrigen verstrickt ist. Aber viel Zeit bleibt ihr nicht, um diese Information zu verdauen, schließlich will nicht nur ein geheimni...