4. Kapitel: Ein Holmes kommt selten allein

140 7 1
                                    

Als es am darauffolgenden Montagmorgen an Mrs Doyles Haustür klingelte, wunderten wir uns beide zwar sehr, dachten uns jedoch nichts Böses dabei.

Besuch war zwar erst für den Nachmittag angemeldet, allerdings kam es häufig vor, dass die Herrin des Hauses unangemeldeten Besuch bekam. Zudem war sie an diesem Morgen erst aufgestanden, nachdem ich bereits angekommen war. Dementsprechend spät saß sie nun am Frühstückstisch im Wohnzimmer, allerdings war das keine Seltenheit. Gerade am Wochenende verbrachte nämlich auch sie gern mal einen langen Abend vor dem Fernseher, wobei ich mir insgeheim sicher war, dass sie in diesen Stunden auch die Sehnsucht nach ihrem Mann sehr plagte.

Während ich mich erhob, warf ich noch einen Blick auf meine Armbanduhr und es war tatsächlich bereits nach neun Uhr. Kurz ärgerte ich mich darüber, dass ich an diesem Morgen noch kaum etwas geschafft hatte, bevor ich den Flur in Richtung Haustür hinunterging.
„Wenn es die Leute von der Kirche sind, fang gar nicht erst ein Gespräch an. Die wirst du nie wieder los", rief Mrs Doyle mir noch hinterher, was mir tatsächlich ein kleines Grinsen auf das Gesicht zauberte. In den letzten Wochen war es immer wieder vorgekommen, dass die Leute nach Spenden gefragt hatten, obwohl Mrs Doyle ihnen großzügigerweise bereits zweimal etwas gegeben hatte.

Als ich die Tür voller Schwung geöffnet hatte, verflüchtigte sich mein Lächeln jedoch sehr schnell wieder. Nein, es standen nicht die freundlich lächelnden Leute von der Kirche vor mir. Eher im Gegenteil.

Ich fand mich etwa zehn schlichtgekleideten Menschen gegenüber, die mir alle nicht besonders freundlich entgegenblickten. Kein einziges Gesicht verriet mir dabei, was diese Leute von Mrs Doyle wollte, bis mir ein Blatt Papier entgegengestreckt wurde.
„Der Durchsuchungsbefehl", lautete die kurze Erklärung, woraufhin ich auch schon unsanft zur Seite geschoben wurde und dabei zusehen musste, wie eine ganze Mannschaft in das Haus einfiel. Am Rande bemerkte ich auch, dass sich niemand von ihnen die Füße abtrat, was mich wütend schnauben ließ.
Nur kurz warf ich einen Blick auf den Zettel in meinen Händen, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm und daraufhin tatsächlich Mr Holmes den Weg zur Haustür hinabschlendern sah.
Das selbstgefällige Grinsen ließ mich wütend die Augen verengen und ich hielt es nicht für nötig, auch nur ein einziges Wort an ihn zu wenden, bevor ich dem Großteil der Truppe ins Wohnzimmer folgte, wo bereits ein heilloses Chaos ausgebrochen war.
Mrs Doyle reagierte genauso, wie ich es erwartet hatte: Sie versuchte fünf Leute gleichzeitig daran zu hindern, ihre Sachen anzufassen, wobei sie es auch noch schaffte, mir das Schreiben aus der Hand zu reißen und es zerknüllt auf den Tisch zu werfen.
Das Team war bereits ins ganze Haus ausgeschwärmt, weshalb ich es für völlig sinnlos hielt, einen Versuch zu starten, irgendjemanden an der Durchsuchung zu hindern. So blieb ich mit hängenden Schultern und abwesendem Blick am Esstisch stehen und beobachtete das Treiben eher unbeteiligt.
Ich war mir meiner Gefühle in diesem Moment sehr unsicher, schließlich musste ich mir teilweise ein verzweifeltes Lachen verkneifen, während andere Teil aus Wut und Resignation bestand.

Als sich Mr Holmes neben mich stellte und seinen Blick langsam durch den Raum schweifen ließ, wandte ich mich ihm nur langsam zu.
Sein Blick blieb an dem noch vollen Tisch vor uns hängen und er zog langsam seine Augenbrauen in die Höhe.
„Mrs Doyle frühstückt also jeden Tag pünktlich um sieben", sagte er nur und blickte mich daraufhin vielsagend an.
Auf die Anspielung auf unsere Begegnung auf der Hauptversammlung am vergangenen Wochenende konnte ich ihm nur einen gehässigen Blick zuwerfen, den er mit einem kalten Lächeln erwiderte, bevor er sich wieder auf den Rückweg begab. Offenbar hielt er es nicht für nötig, die Durchsuchung noch länger zu beaufsichtigen.
Gott, wie mich dieser Mann in Rage brachte.

Nach ein paar Sekunden eilte ich ihm schnellen Schrittes hinterher und holte ihn ein, als er gerade wieder durch die offene Haustür gehen wollte.
„Sie wissen genau, dass Sie hier nichts finden werden", fuhr ich ihn an, woraufhin er stehenblieb und sich langsam zu mir umdrehte. Das selbstgefällige, zufriedene Lächeln auf seinem Gesicht war mir dabei Antwort genug und steigerte meine Wut tatsächlich so weit, dass meine Gedanken für einen Moment aussetzten.
„Mrs Doyle würde Sie nie etwas finden lassen", fügte ich mit einem ähnlich selbstbewussten Gesichtsausdruck wie er hinzu und verschränkte zur Unterstreichung meiner Worte die Arme vor der Brust, wobei ich mir entgegen meinen Erwartungen recht albern dabei vorkam.
Meine Worte waren natürlich nicht mit Bedacht gewählt worden, gab ich Mr Holmes so nur eine Angriffsfläche für weitere Verdächtigungen und Anschuldigungen. Jedoch war ich mir andererseits auch sicher, dass man ihm ohnehin nichts vormachen konnte. Er hatte von Anfang an gewusst, dass er mit seiner Vermutung richtiglag.
„Es geht hier nicht um Mrs Doyle", entgegnete er nur knapp und schien sich riesig über meinen kleinen emotionalen Ausbruch zu freuen.

Lügenleben || Mycroft HolmesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt