8. Kapitel: Narben im Dämmerlicht

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Die Zubereitung des Pies hatte mich doch mehr Anstrengung gekostet als ich zuvor gedacht hatte. Im Laufe des Tages ging es mir zwar immer besser und ich hatte mich dazu gezwungen, wenigstens noch ein paar Stunden auf dem Sofa zu verbringen, allerdings brummte mir doch wieder der Kopf, als der Pie dann im Ofen war.

Erschöpft ließ ich mich auf einem der Stühle nieder und seufzte laut, als ich mich gegen die Rückenlehne lehnte. In meinem Kopf schienen wieder hunderte Hämmer am Werk zu sein und ich schloss einen Moment lang die Augen, um das Dröhnen vielleicht wenigstens ein bisschen beruhigen zu können.

Ich wusste noch immer nicht ganz, was ich mir bei der Sache eigentlich dachte.
Irgendwie wollte ich Mr Holmes einerseits dafür danken, dass ich in seinem Haus Zuflucht finden konnte. In meiner Wohnung hätte ich es keine Nacht lang ausgehalten und ob ich tatsächlich bei Sherlock und John unterkommen wollte, wusste ich nicht recht.
Natürlich hatte ich schon längst geplant, das Anwesen am nächsten Morgen zu verlassen, aber die Stunden nach dem Einbruch hätte ich nun wirklich ungern in meinen eigenen vier Wänden verbracht. Zudem hatte ich durchaus gemerkt, wie sehr es mir plötzlich widerstrebte allein zu sein: Den ganzen Nachmittag über hatte ich mich in Helens Nähe aufgehalten, die zwar kein Problem mit meiner Anwesenheit zu haben schien, allerdings hatte ich sie doch merklich von ihren eigentlichen Aufgaben abgelenkt.
Trotzdem würde ich das Haus verlassen müssen, schließlich konnte ich mit meinem Stolz nicht vereinbaren, einen mir bisher nur durch seinen Stil sympathischen Mann anzuflehen, noch ein paar Tage länger bei ihm unterzukommen. Das würde vermutlich das erste Mal werden, dass ich Mycroft Holmes lachen hörte.

Mit dem Kochen oder auch dem gemeinsamen Essen verfolgte ich aber auch das Ziel, endlich mehr über den USB-Stick herauszufinden. Die Einbrecher waren mir nicht sehr professionell vorgekommen und eigenartigerweise verstärkte sich bei mir immer mehr der Verdacht, dass es da noch vieles gab, was ich nicht wusste.
Ein gemeinsames Abendessen würde Mr Holmes da vielleicht ein wenig kooperationsbereiter stimmen, wobei ich eigentlich keine großen Hoffnungen daraufsetzte. Er schien niemand zu sein, der sich von einem netten Abendessen umstimmen ließ.
Tatsächlich musste ich aber auch zugeben, dass es mich reizte, mehr über diesen Mann herauszufinden. Ich wusste noch nicht recht, ob er wirklich so ein großes Mysterium war, wie er allen zu vermitteln versuchte, oder ob er vielleicht nur ein Mann war, der nicht das kleinste bisschen Privatleben hatte und einem daher so fremd vorkam.
Sein Job schien ihn schließlich Tag und Nacht zu beanspruchen und es war sicherlich eine Ausnahme gewesen, dass er mir so viel seiner wertvollen Zeit hatte schenken können.


~°°°~



Ich saß schon seit einer ganzen Weile in dem geräumigen Esszimmer in einem der Sessel und wartete. Mittlerweile war es nach elf Uhr und langsam gab ich die Hoffnung auf, dass Mr Holmes überhaupt noch nach Hause kommen würde.
Helen hatte mir zwar gesagt, dass es durchaus vorkam, dass er an manchen Abenden überhaupt nicht oder erst weit nach Mitternacht nach Hause kam, allerdings hatte ich mich in Gedanken so sehr auf dieses gemeinsame Abendessen vorbereitet, sodass ich es sehr schade gefunden hätte, wenn ich nicht wenigstens noch eine Weile gewartet hätte.
Nun waren aus der Weile allerdings schon mehrere Stunden geworden und ich fand den ledernen Sessel, dessen Material zu Anfang noch so kalt gewesen war, mittlerweile so bequem, dass ich schon mehrmals kurz eingenickt war. Mittlerweile fand ich es auch überhaupt nicht mehr albern, dass ich in einem Pyjama zu Abend essen würde, schließlich hatte er es mir sehr erleichtert, es mir in dem Sessel bequem zu machen.
Das Glas Wein, das ich getrunken hatte, nachdem Mr Holmes nicht vor acht Uhr nach Hause gekommen war, hatte mich zudem ein wenig schläfrig gemacht. Gemeinsam mit den restlichen Wirkungen des Anästhetikums wirkte sich die geringe Menge Alkohol wirklich beeindruckend auf meinen Körper aus und ich war froh, dass ich es geschafft hatte, den übrigen Wein wieder zurückzustellen. Mr Holmes hätte mich noch weniger ernstnehmen können, hätte ich ihm mitten in der Nacht in angetrunkenem Zustand ein Abendessen angeboten. Nun spürte ich bis auf die Schwere in den Gliedern und die Schläfrigkeit schon bereits nichts mehr von dem Wein, worüber ich doch ganz froh war.

Langsam war ich mir sicher, dass es das Beste wäre, wenn ich einfach schlafen gehen würde. Vermutlich würde Mr Holmes gar keine Lust mehr auf ein Essen haben, wenn er so spät kam. Andererseits hatte ich mir doch auch so viel Mühe mit dem Herrichten des Tisches gemacht. Helen hatte mir noch erklärt, wo ich alles finden konnte und ich hatte tatsächlich recht viel Spaß daran gefunden, alles vorzubereiten.
Den Pie hatte ich außerdem extra für Mr Holmes gebacken. Er sollte eine Anspielung auf unsere Unterhaltung in der Baker Street sein, was er zweifellos verstehen würde. Ob er es mit Humor nehmen oder albern finden würde, konnte ich allerdings nicht recht einschätzen.

Mein vieles träges Nachdenken wurde jäh unterbrochen, als ich plötzlich doch hörte, wie die Haustür aufgeschlossen wurde. Es war eigenartig, nun endlich dieses Geräusch die Stille des Hauses durchbrechen zu hören.
Komischerweise lauschte ich dem Ganzen auch völlig ruhig und blieb weiterhin in dem Sessel sitzen, bis ich das Rascheln von Kleidung wahrnahm und mir sicher sein konnte, dass Mr Holmes bald den Raum betreten würde. Er musste schließlich sehen, dass Licht brannte, wobei ich mit den Kerzenständern auf dem Tisch eigentlich für eine intimerer Atmosphäre hatte sorgen wollen. Die Kerzen wären in den vielen Stunden allerdings schon längst heruntergebrannt.
Ich erhob mich vorsichtig aus dem Sessel und ging auf den Wollsocken, die Helen mir auch bereitgelegt hatte, in Richtung des Esstisches.
Nun kam ich mir doch wieder völlig bescheuert in dem gestreiften Pyjama vor, vor allem da mir nun gleich tatsächlich ein feingekleideter Mr Holmes gegenüberstehen würde.

Er kam um die Ecke und blieb mit einer guten Entfernung zum Esstisch stehen, als er mich erblickte. Sein Blick wanderte langsam an mir hinunter, wobei ich ihm den unzufriedenen Ausdruck, der dabei auf seinem Gesicht lag, nicht einmal übelnehmen konnte. Er selbst hätte mir vermutlich niemals etwas von seiner Kleidung gegeben.

„Guten Abend, Mr Holmes", brachte ich bemüht fröhlich hervor und versuchte, meine Unsicherheit mit einem breiten Lächeln zu überspielen.
„Guten Abend, Ms Ferrars", entgegnete er langsam, wobei seine Worte beinahe fragend klangen. Die Situation traf ihn offenbar sehr unvorbereitet und ich tat mein Bestes, um irgendwelche passenden Worte zu finden, was jedoch nur darin resultierte, dass wir uns ein paar unangenehme Sekunden lang schweigend gegenüberstanden.
„Ich hoffe, Sie haben Hunger. Ich habe Ihnen einen Pie gebacken", brachte ich dann endlich hervor und ich meinte sogar so etwas wie Belustigung in seinem Blick zu erkennen, als er mir wieder in die Augen sah und dann tatsächlich ein paar Schritte auf mich zukam. Ich sah dies als Aufforderung und machte mich beinahe aufgeregt auf den Weg in die Küche.
„Setzen Sie sich schon mal", sagte ich noch schnell, als ich schon an ihm vorbeirauschte und sich tatsächlich ein zufriedenes Lächeln auf meine Lippen stahl. Immerhin hatte ich ihn scheinbar schon so weit, dass er sich an den Tisch setzte. Wie der Rest ablaufen würde, konnte ich noch nicht sagen.

Mit dem aufgewärmten Pie und der Flasche Wein machte ich mich nach ein paar Minuten wieder auf den Weg zum Esszimmer. Mr Holmes saß tatsächlich am Tisch und ich musste meine Augen von seinem Anblick losreißen, als ich erkannte, dass er sein Jackett abgelegt hatte.
Es war eigenartigerweise etwas ganz anderes, ihn ohne Jackett zu sehen. Die Situation wirkte nun um einiges privater und vertrauter, wobei ich mir noch nicht ganz sicher war, wie ich das finden sollte.
Andererseits konnte es mir auch relativ egal sein, schließlich befanden wir uns hier in seinem Haus und es kümmerte ihn sicherlich wenig, ob ich mich besonders wohlfühlte. John und Sherlock hatten mich bestimmt ohnehin hierhergebracht, ohne ihn vorher zu fragen.

„Ich hoffe, der Pie schmeckt auch aufgewärmt noch gut", sagte ich nun nervös, als ich die Form auf dem Tisch abgestellt hatte und begann, uns etwas aufzufüllen.
„Ich vertraue da ganz Ihren haushälterischen Fähigkeiten, Ms Ferrars", entgegnete Mr Holmes etwas abwesend, während er nach dem Wein griff, um das Etikett zu betrachten. Er schien mit meiner Wahl offenbar zufrieden zu sein, wobei es tatsächlich nicht ganz einfach gewesen war, bei dem großen Weinregal, das er besaß, eine Wahl zu treffen.
Es war schon allein schwierig gewesen, einen Wein auszuwählen, bei dem ich nicht fürchten musste, dass er mehrere hundert Euro gekostet hatte.
Mr Holmes warf mir nur einen kurzen Blick zu, als er bemerkte, dass die Flasche bereits geöffnet war.

„Sie hätten das wirklich nicht tun müssen", sagte Mr Holmes, nachdem wir den ersten Bissen gegessen hatten.
„Schmeckt es so schlecht?", meinte ich scherzend und warf ihm nur einen kurzen Blick zu. Ich fand tatsächlich, dass mir der Pie ganz gut gelungen war, wobei man das selbst vermutlich immer am wenigsten beurteilen konnte.
„Ich wollte mich eben bei Ihnen bedanken", fügte ich hinzu, „schließlich haben Sie mich hier mehr oder weniger freiwillig aufgenommen."
„Sie werden es kaum glauben können, aber ich hatte Sherlock angeboten, Sie hierher zu bringen, nachdem er mich benachrichtigt hatte. Mrs Doyles Haus liegt schließlich nicht weit entfernt", entgegnete Mr Holmes spitz, sodass ich mein Besteck auf dem Teller ablegte und dann zu ihm aufsah, nachdem ich ungewollt in mir zusammengesunken war.
Ich fühlte mich schuldig, schließlich hatte ich nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet, dass er es vielleicht von sich aus angeboten hatte.
„Ich dachte, nur-"
„Was Sie von mir denken, haben Sie schon oft genug gezeigt", unterbrach Mr Holmes meine Rechtfertigung bissig und bedachte mich wieder einmal mit diesem falschen Lächeln, bevor er sich wieder dem Essen auf seinem Teller widmete.
Ich betrachtete ihn noch kurz, bevor ich mit einem leisen Seufzen wieder nach meinem Besteck griff. Was hatte ich denn auch erwartet?
„Der Pie schmeckt trotzdem hervorragend", äußerte Mr Holmes da doch noch leise, was mich erneut kurz aufblicken ließ. Seine Worte wirkten bei mir tatsächlich wie eine kleine Entschuldigung, obwohl ich ja genau wusste, dass er irgendwie recht hatte. Ich war von Anfang an nicht besonders freundlich ihm gegenüber gewesen und hatte ihm von Anfang an einen Stempel aufgedrückt.
„Danke", entgegnete ich dennoch etwas entmutigt und musste mit großem Missfallen feststellen, das von dem Mut, den ich vor Beginn des Essens gehabt hatte, kaum noch etwas übriggeblieben war. Ich hatte doch ein wenig mit Mr Holmes plaudern wollen, damit er mich so vielleicht mochte und mir mehr von dem USB-Stick und der ganzen Sache drumherum erzählte. Nun konnte ich mich kaum noch dazu überwinden, ihn anzusehen.

„Wie ich sehe, hat Ms Thoroton Ihnen Kleidung gegeben", durchbrach Mr Holmes die Stile plötzlich wieder und ließ mich mit seinen Worten in der Bewegung innehalten. Langsam ließ ich die Gabel wieder nach unten sinken und blickte dann vorsichtig zu ihm auf. Tatsächlich merkte ich nun, wie die Hitze in mir aufstieg und ich war mir sicher, dass sich meine Wangen wenigstens ein bisschen rot färbten, was mir schon so lange nicht passiert war.
Mir kam jetzt erst wieder richtig in den Sinn, wie ich ihm eigentlich gegenübersaß: Meine Haare hatte ich nach dem Duschen nur mit den Fingern durchkämmen können, weshalb sie nun ganz kraus waren und ich vermutlich so aussah, als wäre ich gerade aus dem Bett gestiegen. Außerdem trug ich natürlich Mr Holmes' Pyjama, der mir auf jede erdenkliche Weise zu groß war und daher nur albern aussehen konnte. Ein kurzer Blick nach unten verriet mir zudem, dass der Ausschnitt in diesem Moment etwas viel preisgab, weshalb ich schnell an dem Oberteil zupfte.
Mr Holmes hingegen saß da mit Krawatte – wohlbemerkt mit Krawattennadel – Einstecktuch und Ärmelhaltern. Eigenartigerweise fiel mir zudem auf, dass das Hellblau des Pyjamas ungefähr die gleiche Farbe hatte wie seine Krawatte und das Einstecktuch, was mir sehr unpassend erschien.

„Ich wollte nur duschen und hatte logischerweise nichts zum Anziehen. Da war Helen so nett und hat mir etwas gegeben", erklärte ich nervös und legte dabei das Besteck ab, um unter dem Tisch mit meinen Fingern zu spielen. Ich führte mich wirklich auf wie ein kleines Mädchen.
„Ich hoffe, dass ist kein Problem für Sie", fügte ich noch schnell hinzu und blickte ihn beinahe etwas zerknirscht an. Sein Blick wanderte kurz über den Teil meines Körpers, der oberhalb des Tisches zu sehen war.
„Oh nein, es steht Ihnen ausgezeichnet", brachte er dann hervor und in meiner Verdutztheit vergaß ich für eine Sekunde tatsächlich die Kontrolle meiner Gesichtszüge, weshalb sich ungewollt ein beinahe erleichtertes Grinsen auf mein Gesicht stahl.
Überraschenderweis lächelte aber auch Mr Holmes mir entgegen und ich war einen Augenblick lang wirklich fasziniert davon, wie schön ein ehrliches – wenn auch verhaltenes – Lächeln diesen Mann machen konnte, wobei ich gleichzeitig über meine Gedanken erschrak.
Mr Holmes wusste dieses kleine Lächeln jedoch auch geschickt wieder zu verbergen, indem er sich schnell die nächste Gabel Pie in den Mund schob.

Ich wusste nicht ganz, was mich ritt, als ich die nächste Frage ohne viel Nachdenken stellte. Vielleicht fühlte ich mich durch die fast heitere Stimmung wieder ermutigt und so sprach ich die Frage mit fast unbeschwertem Unterton aus, was so gar nicht passen wollte: „Sind Sie ein einsamer Mann, Mr Holmes?"

Erst mit seinem Innehalten bemerkte ich, wie diese Frage, die bei der kleinen Hausbesichtigung am Vormittag in meinem Kopf aufgetaucht war, eigentlich auf ihn wirken musste.
Nur langsam zogen sich seine Augenbrauen zusammen, während ich tatsächlich meinte, einen Augenblick lang die wahren Gefühle hinter Mr Holmes' allzeit kontrollierten Gesichtsmuskeln erkennen zu können.
Als er jedoch mit fragendem Blick und diesem bitteren Zug um seinen Mund zu mir aufsah, wusste ich, dass ich mir mit meiner Frage ein Eigentor geschossen hatte.
„Ich dachte nur", stammelte ich, „dass Ihr Haus recht groß für eine einzige Person ist. Ich habe mich nur hier unten ein wenig umgesehen und..." Ich konnte meine etwas verzweifelte Rechtfertigung nicht zu Ende führen. Der kalte Ausdruck, der mit mehr Stärke als zuvor auf sein Gesicht zurückgekehrt war, verschreckte mich so sehr, dass ich tatsächlich erneut in mir zusammensank. Dieses Abendessen war eine sehr, sehr schlechte Idee gewesen.
„Ms Ferrars", er klang, als würde er mit einem kleinen Kind sprechen, „sicherlich hat Ms Thoroton Ihnen bereits erzählt, dass ich hier nicht sehr viel Zeit verbringe. Normalerweise verschwende ich meine Zeit nicht damit, in meinem Esszimmer zu sitzen." Er machte eine kurze Pause und wusste wahrscheinlich ganz genau, dass mich seine Worte trafen; er hielt das Abendessen für unnötige Zeitverschwendung.
„Für meine Arbeit ist es erforderlich, rund um die Uhr Kontakt mit zahlreichen Menschen zu haben. Sie können sich vermutlich gar nicht vorstellen, wie viele Menschen ich an einem Tag treffe", fügte er dann hinzu und stützte sich mit seinen Unterarmen auf dem Tisch ab, um mir weiterhin selbstbewusst entgegenzublicken.
Ich zwang mich dazu, seinem Blick standzuhalten, obwohl ich spürte, wie meine Finger unter dem Tisch vor Nervosität und Anspannung zitterten. Es konnte doch nicht sein, dass ich unter seinem kalten Blick und ein paar nicht so freundlichen Worten jedes Mal einknickte!
„Nur weil Sie nicht allein sind, heißt das nicht, dass Sie auch nicht einsam sind", entgegnete ich bemüht entspannt, kam mir dabei jedoch sehr albern vor. Ich hörte mich an wie die Protagonistin eines verdammten Kitschromans!
Mr Holmes lächelte nur über meine Worte und seufzte leise, bevor er den letzten Schluck aus seinem Glas trank.
„Und das sagen Sie mir?", stellte er dann die rhetorische Frage und blickte mich noch einmal mit hochgezogener Augenbraue an, bevor er sich erhob.
Tatsächlich nahm er sein Jackett von der Stuhllehne und ging dann langsamen Schrittes um den Tisch herum, wobei ich meinen Blick auf meinen Teller gesenkt hielt. Für ihn schien die Unterhaltung also zu Ende zu sein.

Als er hinter mir allerdings noch einmal stehenblieb, spitzte ich die Ohren.
„Vielleicht sollten Sie sich tatsächlich mal den Stick anschauen. Er würde Ihnen bestimmt bei der Beschäftigung mit ihrer Vergangenheit helfen", sagte er nur und ging gleich darauf weiter.
Mit zusammengebissenen Zähnen lauschte ich seinen verklingenden Schritten, während ich mich langsam wieder von dem nervenaufreibenden Gespräch erholen konnte.
Aber hätte ich mit etwas anderem rechnen können? Ich hatte seine Grenze überschritten, also überschritt er auch meine. Wobei Mr Holmes genauer als ich zu wissen schien, wo diese lagen.
Nein, dieses Essen hatte mir außer einem sinkenden Selbstwertgefühl und störenden Erinnerungen rein gar nichts gebracht.

Lügenleben || Mycroft HolmesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt