13. Kapitel: Whiskey und Zigaretten

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Die nächsten Tage verliefen für mich ruhiger und geordneter. Ich bemühte mich sehr darum, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen und hatte dabei das erste Mal in meinem Leben auch wirklich Erfolg.
Alle paar Tage telefonierte ich mit Mrs Doyle und erhielt so auch immer wieder Aufträge, die es zu erledigen galt. Natürlich hielt sich das Arbeitspensum in Grenzen, schließlich erforderte ein unbewohntes Haus deutlich weniger Pflege als ein bewohntes, aber ein wenig Gartenarbeit fand sich immer und auch der Staub, gegen den Mrs Doyle eine besonders starke Abneigung hegte, wollte hin und wieder beseitigt werden.

Es kam in diesen Tagen oft vor, dass ich mir deutlich sachlicher Gedanken über meine Zukunft machte, was für mich gewissermaßen ein Novum bedeutete. Wann hatte ich mir in den letzten Jahren schon einmal ohne allzu große Panik Gedanken über meinen späteren Lebensalltag gemacht?
Doch nun begriff auch ich endlich, dass ich nicht für immer Haushälterin für Mrs Doyle spielen konnte. Natürlich war es ein netter Job und über den Verdienst konnte ich mich nun wirklich nicht beklagen. Aber ich konnte nicht leugnen, dass mir die ganze Sache kaum etwas gab. Ich kümmerte mich gern um Mrs Doyle und es hätte mir leidgetan, sie einfach so alleinzulassen. Jedoch war es eben eine unleugbare Tatsache, dass ich mir für mein Leben trotz allem Vergangenen etwas anderes wünschte. Einige Jahre hatte ich ja trotz allem noch vor mir.
Wie diese andere Zukunft aussehen wollte, war natürlich noch eine andere Frage, schließlich hatte ich keinen blassen Schimmer, wie ich mit meiner fragwürdigen Vergangenheit einen ordentlichen Job finden sollte, für den meine tatsächlichen Qualifikationen auch wirklich nötig waren.

~°°°~

Am darauffolgenden Samstagabend erhielt ich einen höchst interessanten Anruf.
Ich hatte es mir seit Langem zum ersten Mal wieder in meinem Wohnzimmer bequem gemacht, um irgendeinen schnulzigen Film zu sehen. Am Nachmittag hatte ich mir extra Schokoladeneis gekauft und schämte mich nun kein bisschen dafür, dass ich deutlich mehr davon aß als normalerweise.

Ich hatte gerade meine Schüssel geleert und mich in meine Decke gekuschelt, als mein Handy klingelte, das ich unglücklicherweise in der Küche liegengelassen hatte.
Kurz spielte ich mit dem Gedanken, es einfach zu ignorieren, schließlich erwartete ich keinen Anruf und sorgte mich auch nicht darum, dass irgendwer etwas von mir wollen könnte.
Gerade deshalb schälte ich mich dann aber auch aus meiner Decke. Ein unerwarteter Anruf konnte immer böse Nachrichten bringen und ich wollte nun wirklich nicht daran schuldsein, dass jemandem, den ich kannte, etwas zustieß.

„Hallo?", meldete ich mich eher unwirsch und musste einige Sekunden auf eine Antwort warten, sodass ich schon dabei war, wieder aufzulegen, als eine mir nur allzu bekannte Stimme erklang.
„Ich hoffe, ich störe nicht."
Überrascht hielt ich inne, als ich Mr Holmes' Stimme erkannte, und braucht einen Augenblick, um mich auf die Situation einzustellen.
Die große Frage war natürlich, was er zu dieser Zeit noch von mir wollte und wieso er mich trotz unseres unangenehmen Abschieds vor ein paar Tagen anrief. Ich hatte es doch sicherlich deutlich gemacht, dass ich nichts mit der Sache zu tun haben wollte.
„Es ist schon recht spät", antwortete ich etwas ungelenk und räusperte mich einmal.
„Ja, das tut mir leid", entgegnete er zögerlich und sein Tonfall ließ mich die Stirn runzeln, während einen Augenblick lang Stille herrschte.
Mr Holmes klang so anders als gewöhnlich. Seine Sprache war nicht so gestelzt und auch seinem Ton fehlte die übliche Schärfe und Ironie.
„Sind Sie betrunken?", rutschte es mir heraus und ich war froh, dass Mr Holmes mein Erröten nicht sehen konnte.
„Ist das Ihr Ernst?", erwiderte er etwas schnippisch, womit dennoch sofort mein Kopfkino einsetzte:
Ich konnte mir Mr Holmes nur mit irgendeinem edlen Tropfen vorstellen, den er sich aus einer schönen Karaffe von einem Servierwagen in sein Kristallglas füllte, um sich dann in einen seiner Sessel zu setzen und hin und wieder an dem Getränk zu nippen, während er mit nachdenklichem Blick vor sich hin starrte.
Kopfschüttelnd vertrieb ich die Bilder aus meinem Kopf und atmete einmal tief durch, um mich wieder auf meine eigentlichen Fragen zu besinnen.
„Und womit verdiene ich diesen Anruf?", fragte ich also und hörte Mr Holmes am anderen Ende der Leitung seufzen.
„Ich weiß, dass Sie ungern mit mir reden würden", er zögerte kurz, „allerdings fürchte ich, dass ich Ihnen noch ein paar investigative Fragen stellen muss."

Ich ließ mir Zeit zum Überlegen, schließlich hatte er vollkommen Recht damit, dass ich überhaupt keine Lust dazu hatte, mit ihm über die ganze Sache zu sprechen. Andererseits zeigte mir sein Anruf doch wieder, dass ich für die Ermittlungen offenbar doch von gewisser Wichtigkeit war und es reizte mich tatsächlich, diese kleine Macht gegenüber Mr Holmes auszunutzen.
Zudem wäre es doch irgendwie ein wenig kindisch gewesen, würde ich weiterhin darauf herumreiten, dass wir offensichtlich nicht besonders gut miteinander auskamen. Die Dreistigkeit und Rücksichtlosigkeit, mit der er bei unserer letzten Begegnung mit mir gesprochen hatte, obwohl mir das Thema ganz klar sehr nahe ging, hatte ich zwar noch nicht vergessen, aber es ging eben eigentlich auch um eine viel größere Sache. Da sollte man kleine Antipathien beiseitelassen können.

„Gut, was wollen Sie wissen?", fragte ich also und lehnte mich gegen die Arbeitsplatte, um mich auf ein längeres Telefongespräch vorzubereiten. Dazu sollte es dann allerdings doch nicht kommen.
„Ich würde das ungern am Telefon besprechen", entgegnete Mr Holmes zögerlich. Vermutlich erwartete er daraufhin schon ein Sträuben meinerseits.
„Vor Ihrem Haus steht ein Wagen bereit und es wäre von großem Nutzen für uns alle, wenn Sie einsteigen würden", fügte er dann hinzu, was mich doch gereizt ausatmen ließ.
Natürlich hatte er wieder alles perfekt durchgeplant und sicherlich war ihm auch zuvor schon klar gewesen, dass ich zustimmen würde.
„Geben Sie mir zehn Minuten", meinte ich geschlagen und legte gleich darauf auf, um mir wenigstens noch etwas Ordentliches anzuziehen.

Lügenleben || Mycroft HolmesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt