Ich stand auf, schnappte mir die Leine und ging raus aus der Tür. Die leichte Brise, welche meine Haut berührte, kühlte den glühenden Körper herunter. Ich atmete tief ein um die Anspannung abzuschütteln, die sich in den letzten Wochen angesammelt hatte. Die Luft war klar und frisch, dennoch ziemlich kalt für die späten Märztage. Automatisch kuschelte ich mich noch mehr in meine pelzige Winterjacke und schnallte mit der Zunge um Cassie das Zeichen zu geben, das wir loslaufen. Natürlich ließ sie sich das nicht zweimal sagen und sprang herum wie ein kleines Reh, welches die Freiheit für sich neu gewonnen hatte.Um uns herum war nichts außer Natur. Die großen Birken, ragten strotzend aus der nassen Erde heraus und erhoben sich zu einem grünen Blätterdach, durch das die feinen Sonnenstrahlen hindurch schienen. Die Farbenpracht, stimmte einen unmittelbar ruhig und ebneten mich.
Ich wollte den ganzen Stress meiden, den die heutige Technik zusätzlich verursachte. Großstädte waren nicht mein Ding. Haus an Haus mit Menschen auf kleinstem Raum leben, war nicht meine Definition von Glück. Ständig angerempelt zu werden, wenn ich auf dem Weg in den Supermarkt war, versetzte mich unweigerlich in eine Stimmung, der negativen Gefühle.
Aber hier... Das hier war die perfekte Umgebung für mich. Viele Felder, Berge, Flüsse, Wälder, majestätische Klippen, wo das Auge auch hinreichte.
Meine Füße lenkten mich, immer weiter in den Wald, immer näher an die Klippen heran, wo das Rauschen des Meeres lauter und stärker in meine Ohren drang.
Die Klippen von Irland waren magisch. Gigantisch ragten sie aus den Meeren heraus und verschlungen einen. Das Gefühl der Winzigkeit machte sich bemerkbar. Die Natur konnte so unheimlich gewaltig sein, dass meine Ehrfurcht wuchs.
Cassie tollte mehrere hunderte Meter hinter mir mit einem Stock herum. Sie machte sich nichts aus besonderen Orten. Wichtig waren diesem kleinen Wesen die Dinge, mit denen sie spielen und herumtollen konnte.
Es entspannte mich, den Wellenschlag hart am Stein abprallen zu hören und ich setzte mich nieder. Ich schloss die Augen und hörte dem Naturschauspiel zu.
Doch die Kälte schlich sich schon bald ein und ich beschloss etwas weiter zu laufen, um meinen Körper wieder in Fahrt zu bringen. Ich lief entlang der Klippen und konnte kaum meinen Blick abwenden, von dieser Szenerie. Ich konnte es immer noch nicht fassen. Das war jetzt meine Heimat!
Das hatte ich nun jeden Tag vor der Tür!
Cassie gab ein laut von sich und ich hob den Kopf, der sich widerwillig dem Wasser abwandte. Doch als ich nach vorne blickte, klappte die Kinnlade herunter. Ein altes, fast komplett zerfallenes Gemäuer, dicht umschlossen von den Birken, erhob sich vor mir. Die alte Ruine war ein einziges Labyrinth, so riesig musste sie damals gewesen sein. Die alten, erhalten gebliebenen großen Fensterbögen waren nach Westen ausgerichtet, so dass man den perfekten Sonnenuntergang jeden Tag, zu jeder Jahreszeit begutachten konnte. Die unterschiedlichsten Rottöne, die sich auf dem klaren, blauen Wasser spiegeln und ineinander verschmolzen, muss ein Gemälde der reinen Schönheit darstellen.
Die Türme, die nicht mehr viele Steine aufeinander trugen, ragten wohl damals kraftvoll aus dem Wald heraus. Ich stellte mir das alte Bauwerk vor. Ich sah es vor meinen Augen, wie die mächtigen Fenster, das Licht der Sonne aufsogen und sein Inneres mit einem Leuchten erhellte. Es muss wunderschön gewesen sein. Hier hat sicher das pure Leben stattgefunden. Wie viele Menschen, wohl dies als zu Hause betrachtet haben!?
Egal ob Magd oder König, sie alle haben diese Steine als Heimat angesehen.
Stillschweigend stand ich nun hier. Sprachlos von dem, was mir hier dargeboten wurde. Die Vergangenheit faszinierte mich. Wie schafften es die Menschen, trotz keinerlei Technik, Medizin oder Sozialer Hilfe zu überleben und glücklich zu sein?
Wie schafften es Frauen, sich nicht erniedrigen zu lassen, obwohl ihr alle Rechte verweigert und sie als Handelsgut angesehen wurden?
Ich weiß nicht, ob ich den Mut gehabt hätte, Rechte die jedem Menschen zustehen, einzufordern. Mich gegen alles und jeden aufzulehnen der mir im Weg stand, um frei sein zu dürfen. Über die Gefahren hinauszugehen. Auch wenn es bedeuten könnte, dabei im wahrsten Sinne des Wortes, den Kopf zu verlieren.
Bewunderung machte sich in mir breit. Es sind sicherlich keine einfachen Zeiten damals gewesen und wir sollten alle dankbar sein, dass diese vorbei sind und nun die Frau auch endlich vor dem Gesetz frei sein darf.
Da kam sie wieder, die unersättliche Kälte. Verdammt, ich musste mir wirklich noch dickere Kleidung besorgen.
Der Heimweg gestaltete sich schwieriger als erwartet, da ich absolut keine Ahnung mehr hatte, welchen Weg ich gegangen war, um hier her zu gelangen. Und da nun auch die Sonne fast vollständig hinter dem Horizont verschwand, kam zu allem Übel auch noch die Dunkelheit dazu, die es mir nicht gerade einfacher machte. Doch nach längerem herumirren, fand ich dann endlich das kleine Häuschen am Wegesrand, welches das erste Haus war, an dem man vorbeimusste, wenn nach Malin Head wollte.
Die Jacke und Schuhe vom Körper gestreift, stiefelte ich in die Küche um mir einen heißen Tee zu machen. Ja, in diesem Bezug war ich wirklich durch und durch Irin. Ohne Tee, gab es kein Leben für mich. Als ich zwölf Jahre alt war, hatte ich sogar einen eigenen kleinen ‚Teegarten', wo all meine Kräuter für die unterschiedlichsten Teesorten von mir gezüchtet wurden. Doch ich musste schon nach ein paar Monaten feststellen, dass mir ein grüner Daumen nicht vererbt wurden ist und ich lieber bei den einfachen Teesorten bleiben sollte.
Mit einem guten Buch und dem Tee in der Hand fläzte ich mich auf meine Fensterbank und kuschelte mich in die rosagepunktete Kuscheldecke ein.
Und da war sie auch schon, die Märchenwelt, in die ich es liebte abends vor dem Schlafengehen hineinzutauchen. Bücher hatten so eine Wirkung auf mich, dass ich komplett die äußeren Einflüsse, ausblenden konnte, um die Welt der Fantasie und Träume zu betreten, auch dann wenn dabei die Augenlider schwer wurden und gar die Kraft verloren.
DU LIEST GERADE
Geister der Seele
RomanceErwachsenwerden verlangt einiges ab. Der Aufbruch in das Neue und Unbekannte beginnt. Doch wie ist es, wenn das Schicksal ohne Vorwarnung zuschlägt und dich in eine Zeit zurückversetzt in der Tod, Liebe und Rache, dein engster Begleiter sind!? Wirs...