Kapitel 4.2

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Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Immer noch fühlte sich diese Realität wie ein Traum an. Doch mittlerweile verdaute mein Magen den nicht weichen wollenden Schock und es glich nicht mehr dem Alptraum, der mich anfangs ereilt hatte. Vielleicht war es auch die bestimmte Anwesenheit einer Person, die das Blatt zum Guten wenden ließ. Cian bemühte sich stets, seine Freizeit in mich zu investieren. Wir entdeckten gemeinsam die tausend Räume dieses Schlosses. Gingen auf Schatzsuche, nach dem wertvollsten und schönsten Besitz, dass es uns zu bieten hatte. Doch ich hatte mich schon längst für einen Raum entschieden. Der liebste unter allen. Wenn Aelyn mich nicht gerade suchte, verbrachte ich die meiste Zeit dort.

Aelyn hatte es nicht leicht mit mir. Sie war es nicht gewohnt, dass man vor ihr flüchtete oder eher gesagt vor all dem, was sie mit sich brachte. Die Frauen hier, stürzten sich auf Kleider. Liebten es, sich zur Schau zu stellen. Prunkvoll und ohne Aussichten auf Selbstbestimmung zu leben. Doch ich kannte es anders. Lebte anders. Und Aelyn war die Leidtragende unter ihnen. Sie bemühte sich mit Leib und Seele, mir die Etiketten dieses Hauses näher zu bringen, zumindest nur das Grundwissen, welches ich unbedingt können musste. Doch der Kopf war längst in anderen Welten, als bei ihren mahnenden Worten.

Noch immer lief ich den meisten Frauen gekonnt aus dem Weg. Ich mied die Auseinandersetzung mit ihnen und solang ich das noch aufschieben könnte, würde ich dies auch tun.

Das Trappen des Pferdes ließ mich aufblicken. Durch die Bäume, die eine Symphonie mit den Sonnenstrahlen spielten, lugten meine neugierigen Augen auf der Suche nach versteckten Waldbewohnern. Immer mal wieder verlor ich das Gleichgewicht auf dem Pferd und grub meine Finger fester in die Jagdausrüstung der vor mir sitzenden Gestalt. Wir waren vom Weg abgekommen und durchforsteten nun endlos grüne Wälder. Es war als wären wir Abenteurer auf der Suche nach großen Schätzen.

Ein Handzeichen von Cahal lenkte meinen Blick fernab, von den Sonnenstrahlen, die die gefrorene Erde aufgebrochenen hatte und kleine Blüten sprießen ließ. Er stieg vom Ross und ich tat es ihm gleich.

Er hatte lange Überzeugungsarbeit geleistet, damit ich nun mit ihm hier war. Die Jagd war etwas, was mir noch nie Freude bereitet hatte. Zudem war es eine halbe Ewigkeit schon her gewesen, dass ich ein letztes Mal, den Griff fest um Pfeil und Bogen hatte. Der Gedanke gefiel mir nicht, Richter über Leben und Tod eines Lebewesens zu sein. Doch Cahal versicherte mir, dass nur Tiere geschossen werden mussten, die es zu viel gab. Sie würden nicht genug Nahrung finden und qualvoll verhungern. Außerdem noch mehr Raubtiere anlocken, die sich bereit machten, sie zu verspeisen.

Konnte das mein Handeln entschuldigen, die Pfeilspitze auf ein grasendes Reh zu richten?

Stille umwarb uns. Das knacksen der Zweige unter der festen Sohle durchschnitt sie wie ein scharfes Messer, das Gefahr hervorrief. Warnte das ahnungslose Tier vor den Bösewichten. Machten die gewollten unsichtbaren Fußspuren sichtbar und enttarnten uns als Täter. Doch dort hinten. Cahal deutete mit einem nicken hinter die Fichten.

Sie verbargen hinter ihren Stämmen das braunbefleckte Reh. Mit der dunklen Schnauze roch es an der feuchten Erde. Dem grünen Moos, welches unter dem sonst so erdfarbenen Bild fast schon blendete. Es war der Bruchteil einer Sekunde, indem es mich sah. Mir direkt mit ihren Hasselnussbraunen Augen in die meine sah. Unschuldig leuchteten sie im Glanz der Sonnenstrahlen.

Den Bogen bis auf das Maximum gespannt, spürte ich die Sehne an meine Lippe. Messerscharf, als könne sie ohne Mühe alles in zwei spalten. Jede Faser meines Körpers tat es ihr gleich. Fühlte Anstrengung und den Strom, der durch sie floss. Würde ich diese Spannung lösen und den Pfeil seinen Weg machen lassen?

Konnte ich dieses Tier wirklich töten?

Noch ein letzter Blick in die Augen der Unschuldigkeit, ließen es mich wissen.

Nein.

Meine Augen glitten über das Tier. Erkundeten jede noch so winzige Stelle. Abrupt blieben sie hängen. Weiße Masse, die Wolken glichen, kroch langsam aus der Schnauze. Ließ mich wissen, dass dieses Tier ein Urteil schon längst erhalten hatte. Es würde leiden, wenn es das jetzt nicht schon tat.

Die zwei Finger fest um das Ende des Pfeils geschwungen, stieß ich die angehaltene Luft unter zusammengepressten Lippen hervor. Ich ließ den Pfeil aus meinen Fingern entgleiten, gab nun meine Macht an ihn ab. Erlaubte ihn die Luft zu zerschneiden und sein Ziel anzupeilen.

Er durchdrang mit der scharfen Spitze, das noch lebende Fleisch. Erschuf eine klaffende Wunde und sog die Kraft und damit all das Leben aus diesem Tier. Erliegend brach die Hirschkuh zusammen. Mein Herz schlug nun noch lebendiger in meiner Brust. Das schlechte Gewissen rügte mich, verpasste mir ein flaues Gefühl. Langsam nährte ich mich dem verwundeten Tier. Behutsam kniete ich mich zu ihr. Hoffte das unsere Anwesenheit, ihr den Übergang in eine andere Welt leichter gemacht hatte. Für mich war der einsame Tod, der qualvollste. Und auch wenn wir ihres beendet hatten, waren wir stets an ihrer Seite. Traurig ließ ich meinen Blick über sie schweifen und versuchte die Tränen zurückzuhalten, die wie Säure in meinem Augen brannten.

„Tollwut. Du hast sie erlöst." Sagte Cahal, der mir leise gefolgt war und sich nun neben mir niederließ. Wieso fühlte es ich dann so falsch an, wenn es doch das Richtige war?

Ich hatte Gott gespielt und das Leben eines Lebewesens beendet. Ich fühlte mich schrecklich, es so reglos im Moos liegen zu sehen. Das Blut bildete ein Bächlein aus tiefrotem Gewässer. Ich hatte die Entscheidung diesem Tier genommen, weiter leben zu dürfen. In Gedanken entschuldigte ich mich. Es tat mir leid, Leben beendet zu haben. Die wärmende Hand an meiner Schulter beruhigte die angespannte Muskulatur. Ich wandte mich von dem nun toten Tier ab und schaute in ein freundliches Braun, welches mich direkt an hellbraune Schokolade denken ließ.

„Nicht du hast über den Tod entschieden. Du hast ihren Leidensweg verkürzt." Ich nickte. Er hatte recht. Auch wenn diese Einsicht schwer war. Dieses Lebewesen war dem Tode schon vor unserer Begegnung geweiht.

Dennoch das Jagen hatte mir die Freude des Tages geraubt. Die wenige Lust, die ich davor verspürt hatte, war nun gänzlich verschwunden.

Selbst als wir auf den Pferden saßen und zurückritten, schweiften die Gedanken immer wieder ab. Nicht einmal die Blicke von Cahal bemerkte ich oder wollte es vielleicht auch nicht. Ich wollte nicht auch noch, dass er sich schlecht fühlte. Er hatte es gut gemeint. Wollte mich in eine andere Welt entführen, in der es nicht um die Realität ging.

Es hatte jedoch dazu geführt, dem Schießen endgültig abzuschwören. Machte mich das nun noch mehr zur Außerirdischen?

Schließlich war das hier eines der normalsten Freizeitbeschäftigungen.

Am Schloss angekommen, half mir ein Diener vom Ross. Er blickte mich besorgt an, doch seine Gedanken blieben mir im Verborgenen. Scheinbar sah man mir meine Seltsamkeit an.

Cahal hatte schließlich genau diesen Blick auch auf mich gerichtet. Mit einem wortkargen Gestammel, versuchte ich dennoch ihm zu sagen, dass dieser Ausflug nicht ganz eine Katastrophe war. Vergebens.

Aelyn kam wie ein Blitz herbeigeilt und war wieder einmal die zehntausendste Hand, die ich brauchte, um mich wieder einer Frau angemessen in ein abschnürendes Kleid zu werfen. Immer noch konnte ich kaum in den Spiegel blicken. Zu schwer war der Anblick, den ich dort entdeckte. Seltsame Gefühle kamen auf, mit denen ich nicht umgehen konnte. Wir starrten uns fragend an, doch beide hatten keine Antworten. Sprachen nicht den so offensichtlichen Fehler an. Nein, wir blieben stumm. Doch schaute ich in unsere Augen, erkannte ich einen kleinen Hauch Ana darin. Ich war hier. Irgendwie. Vielleicht wollte ich sie mit allen Mitteln sehen. Glauben das da immer noch ich bin. Doch dies verhalf mir, dem ganzen Anblick stand zu halten. Nicht wieder gleich in Tränen auszubrechen. Für eine Gewisse Zeit würden wir nun eins sein. Wir mussten lernen zu akzeptieren, was nun die Wahrheit war. Ich betrachtete mich. Der sonst so makellos perfekte Körper, war von blauen Flecken übersäht. Meine Seele zeichnete sich auf der ebenen Haut nieder. Immer wieder wechselte Aelyn die Binde um meinen Bauch. Kontrollierte die Wunde.

Und tatsächlich, sie heilte. Das vor ein paar Tagen noch rotstechende Fleisch, wirkte dunkler. Und auf der offenen Stelle bildete sich ein Schorf. Begann das vor noch ein paar Tagen Offene zu verschließen und als Erinnerung mit sich zu tragen. Ob ich das auch könnte?

Heilen?

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 17, 2023 ⏰

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