Schilde über Schilde

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In der Dunkelheit der Toilette ist nichts zu hören, außer dem schweren Atmen der beiden Jungs. „Hast du deinen Zauberstab griffbereit?" fragt Jay leise und ertastet die Türklinke.

„Ich habe ihn in der Hand."

„Gut. Dann gehen wir jetzt. Kein Geräusch. Zauber so lautlos wie möglich und am besten keine. Bleib dich hinter mir."

„Du hast es mir jetzt schon dreimal gesagt. Ich werde es nicht vergessen. Und jetzt mach. Die anderen verlassen sich darauf, dass wir Hilfe für sie holen." drängelt Nevio.

Jay öffnet die Tür einen Spaltbreit und eine schmaler Streifen Helligkeit fällt in die Toilette. Vorsichtig öffnet er die Tür weiter, beide lauschen angespannt, und Jay schaut sich auf den dimmen Gang um. Er kann niemanden entdecken und schleicht sich auf der Toilette, Nevio direkt hinter ihm. Lautlos schließt Nevio die Tür und selbst das leise Klicken der Tür lässt beide den Atem anhalten. Aber niemand hat es gehört und sie sind noch immer allein.

„So still ist es hier fast noch unheimlicher." haucht Nevio und Jay sieht ihn an, einen Finger an den Lippen. Nevio nickt und zieht den Kopf ein. Gegen die Wand gepresst schleichen sie weiter und bei jedem noch so kleinen Geräusch zucken sie zusammen. Jay hebt eine Hand, als sie einer Abzweigung näherkommen und späht um die Ecke, ehe er Nevio weiterwinkt.

Ein paar Gänge schleichen sie unbemerkt durch das Ministerium und Jay geht im Kopf durch, wann sie wo abbiegen müssen, um zu Lucius Büro zu kommen. Mit einem Mal legt Nevio eine Hand auf seine Schulter und gestikuliert nach vorne. Jetzt hört Jay es auch.

Stimmen, Geschrei, immer wieder durchbrochen von Zaubern und kleineren Explosionen. Buntes Licht scheint immer wieder aus dem Gang vor ihnen und erhellt die anderen Gänge. Jay sieht Nevio an und nickt auf die andere Seite der Abzweigung.

„Wir müssen da hinter, oder?" Nevio spricht so leise er kann, ganz knapp neben Jays Ohr. Er gestikuliert zu der anderen Seite der Abzweigung. Jay nickt und beide sehen nach vorne, wo ein Zauber aus dem Gang fliegt und ein Gemälde von der Wand schleudert. Jay zieht vorsichtig seinen Zauberstab und konzentriert sich.

Lautlos murmelt er die Formel für eines seiner stärksten Schilde. Aber er weiß, dass es keine perfekte Absicherung ist. Lucien hat das Schild wieder und wieder zerrissen. Es sei perfekt für ein Duell in seiner Altersklasse, aber er dürfe sich nicht darauf verlassen, wenn es gegen Erwachsene gehe. Er beißt sich auf die Lippe, um das Wimmern zurückzuhalten, dass sich einen Weg aus seinem Mund bahnen will. Er wünscht sich, dass Lucien oder Lucius hier wären, aber er muss sich zusammenreißen.

Das Schild legt sich um Nevio und um Jay selbst, wie eine schillernde zweite Haut. Nevio sieht seine Arme an und starrt Jay dann bewundernd an. „Das ist höhere Schildmagie. Und du kannst das?" wispert er beeindruckt.

„Es ist nicht so stark wie das eines Erwachsenen. Ich kann dir nicht garantieren, dass es viele Treffer abhalten kann. Also pass auf. Am besten wäre es, wenn sie uns nicht sehen würden, aber... den Zauber kann ich nicht." murmelt Jay zurück und zupft an einem losen Faden an seinem Ärmel.

Nevio nickt. „Okay. Wir beeilen uns, da vorbeizukommen und dann holen wir Hilfe." Sie sehen sich an, nicken sich zu und gehen weiter. Direkt vor dem abzweigenden Gang bleiben sie erneut stehen, linsen um die Ecke und sehen einen Kampf. Die Personen können sie nicht gut erkennen, immer nur wenn ein Zauber den Gang erhellt.

Beide teilen einen Blick und rennen an dem Gang vorbei. Für einen Moment glauben sie, alles sei in Ordnung, dann hören sie schwere Fußschritte, die ihnen nacheilen. Beide lassen jeden Vorsatz hinter sich, leise und unauffällig zu sein und rennen um ihr Leben. Nevio packt Jay und zerrt ihn um eine Ecke, aus dem Weg eines Zaubers, der nun wirkungslos den Gang weiter hinunterfliegt.

„Nicht gerade aus rennen. So oft abbiegen wie möglich." keucht Nevio zwischen heftigen Atemzügen hervor und rutscht beinahe weg. Jay packt ihn und zerrt ihn weiter. Sie schliddern um die nächste Ecke und Jay bemerkt, dass sie ganz woanders sind, als sie wollten. Vor ihnen ist eine Wand. Eine Sackgasse. Jay Herz rutscht ihm in die Hose.

Er presst sich mit dem Rücken zu der Wand, bewegt fieberhaft seinen Zauberstab und spricht Schildzauber über Schildzauber. Jeder einzelne, der ihm einfällt. Ohne zu zögern, schiebt er Nevio hinter sich und murmelt weiter Schildsprüche. Wann immer er einen beendet, flimmert ein Schild vor ihnen auf.

„Was kann ich tun?"

„Bereite dich darauf vor, dich zu verteidigen. Sie sind..." Er muss nicht weitersprechen, denn im nächsten Moment biegen zwei Erwachsene um die Ecke und beginnen sofort Zauber nach ihnen zu werfen. In grellen Lichtern fällt ein Schild nach dem anderen. Jays Hand zittert als er versucht, Schilde in der Zeit zu wirken, in der die beiden seine zerstören. Aber er weiß eigentlich, dass er weder schnell noch stark genug dazu ist.

Das letzte Schild fällt und scheint in Scherben aus Licht zu explodieren. Dem Zauber danach kann Jay nicht ausweichen und nur sein zuvor gewirktes Schild, lenkt den Zauber gegen die Wand. Der Explosionszauber reißt einen Teil der Wand und der Decke ein. Jay schubst Nevio in den winzigen Raum dahinter, zwängt sich dazu und sie feuern über den Haufen an gebrochenen Steinen.

Ein Zauber erwischt Nevio und er sinkt in sich zusammen. Jay spürt Panik in sich aufwallen und er kämpft sie hinunter. Ein Gedanke blitzt in seinem Kopf auf. Eine elegante Gestalt aus silbernem Licht, die um seine Beschützerin stalkt und sich an ihr reibt. Ein aufgeweckter Rabe, der mit Luciens Haaren spielt. Er hat sie dabei beobachtet, wie sie den Zauber gewirkt haben. Er selbst hat es noch nie gewirkt.

Aber er weiß, dass diese Gestalten Nachrichten tragen können und niemand sie aufhalten kann. Und er weiß, wie er sie heraufbeschwören kann. Er versucht vor seinem inneren Auge das Gefühl einer Umarmung Jills, eines Abend im Kreis seiner Familie heraufzubeschwören. In seinem Inneren wird es warm und er nutzt das Gefühl. Schnell beugt er sich hinter den Haufen und spricht die Worte leise aus. Vor ihm formt sich ein Hase.

„Wir sind im Ministerium. Brauchen Hilfe. Kommt mit Hilfe. Finde Jill und Lucius." murmelt er dem Tier zu, das eine solche Wärme und Sicherheit ausstrahlt, dass er es am liebsten in die Arme schließen würde. Der Hase aber kratzt sich hinter einem Ohr und springt dann durch die nächste Wand. Jay hofft mit allem, dass er hat, dass der Hase ihnen Hilfe bringen wird.

Er atmet tief durch, festigt seinen Griff um seinen Stab und beginnt wieder Zauber zu werfen, bereit sie zu verteidigen, bis Hilfe sie erreichen wird.

Gerüchte im Haus der SchlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt