Star Wars || Shadows

S01 E04: Alte Bekannte

Für einen kurzen Moment konnte Lyn nicht anders, als Cyris anzustarren. Die hohen Wangeknochen, die spitze Nase, die wahrscheinlich in einem Kampf einmal gebrochen wurde und nun kaum erkennbar schief war. Die schmalen Lippen, die sich zu einem ausdruckslosen Strich verzogen hatten. Die dünne Narbe, die sich über ihr halbes Gesicht und die mirialanischen Markierungen auf ihrem Kinn zog.

Nie hatte Cyris so nah, so greifbar für den humanoiden Verstand gewirkt, weniger wie ein schattenhaftes Phantom. Und nie waren die bedrohlichen, von einer dunklen Macht erfüllten Züge in ihrem Gesicht so deutlich erkennbar gewesen.

Dann begegnete Lyns Blick dem von Cyris, welche sie argwöhnisch mit einer hochgezogenen Augenbraue musterte.
"Was glotzt du so, Fenrys?", fragte die Söldnerin schneidend. Lyn zuckte zusammen und schaute wieder hinüber zu Talzin, auf deren Lippen nun ein berechnendes Lächeln tanzte.

"So ist es doch viel einfacher", ertönte die unheimlich tiefe Stimme der obersten Nachtschwester. "Von Angesicht zu Angesicht. Eine Söldnerin, die einst einem Sohn von Dathomir diente, kommt voll Rachedurst zurück zu den Wurzeln ihres Meisters. Du folgst den Traditionen der Sith, Mädchen, als wären es deine eigenen."

Lyn behagte diese Unterhaltung ganz und gar nicht. Es war, als wäre sie eine Marionette, deren Fäden man zog, ohne dass sie selbst es wirklich mitbekam - und dieses Gefühl kannte sie gut, vielleicht zu gut. Wahrscheinlich war das der Grund warum sie nun die Geduld verlor und die Hand an ihren Blaster legte.
"Genug Höflichkeiten ausgetauscht", meinte sie voller Zynismus, "Sagt Cyris, was sie wissen will, und wir verschwinden hier."

Lyn hatte sich alles erhofft, nur nicht ein noch breiteres Lächeln von Talzin. "Sicher."
Damit wandte sie sich Cyris zu, und grüner Nebel wandte sich aus den blassen Fingerspitzen der Dathomirhexe. Lyn bewegte die Finger keinen Millimeter von ihrem Blaster weg, obwohl sie sich ziemlich sicher, dass jeder Schuss, den sie abgeben könnte, vergebens wäre.

Die Hexe schloss die Augen, die unter den geschlossenen Lidern jedoch zuckten, als würde sie weiterhin sehen.
"Darth Maul ist vor vielen Jahren von der Bildfläche verschwunden. Ein Jedi war es, der ihn in sein Verderben schickte, ein Jedi namens Kenobi ... Maul überlebte seinen Sturz in den Tod, doch er verlor viel dabei. Er dachte damals, er könne seinen Verlust mit einer talentierten Schülerin ausgleichen, jemandem, der das Erbe der Sith antreten würde, wenn es soweit war. Er sponn seine Pläne in den Schatten, und als Lehrling und Meister sich gegenseitig in den Verrat stürzten, gab es niemanden, der nach ihm gesucht hätte ... Und nun tauchst du hier auf, um dich an ihm zu rächen."

"Das weiß ich alles", murmelte Cyris giftig, doch ohne die Maske konnte Lyn sehen, dass diese Geschichte aus ihrer Vergangenheit sie zu treffen schien.

Talzin beachtete sie nicht und legte mit geschlossenen Augen den Kopf in den Nacken, während der grüne Dunst aus ihren Händen langsam etwas zu bilden schien - eine Art Amulett.

"Was wird das?", wollte Lyn unverhohlen neugierig wissen.

Talzin öffnete die Augen. Der Nebel verblasste, das Amulett fiel und Lyn fischte es mit einer etwas ungelenken Bewegung aus der Luft, ehe es auf dem Boden ankam.

"Dieser Anhänger wird euch zu ihm führen", erklärte Talzin, "Mit seinem Leuchten wird er euch durch die Galaxie bis hin zu seinem Aufenthaltsort leiten."

"Und was versprecht Ihr euch davon?", forschte Cyris nach, während Lyn den Anhänger in ihrer Hand argwöhnisch musterte. Er ähnelte der skelettartigen Gesichtsbemalung der Nachtschwestern, und zwischen den einzelnen, knochigen Streben glühte grünes Licht hervor.

"Mein Preis ist nicht hoch. In Wirklichkeit habt ihr beide ihn sogar schon längst bezahlt."

"Was hat das zu bedeuten?", hakte Cyris weiter nach, wobei Lyn sah, wie sie nach dem Griff ihres Lichtschwertes tastete. Nachdem ihr großes Geheimnis gelüftet wurde, schien sie die Vorsicht fallen gelassen zu haben.

Das große Geheimnis. Lyn hatte es so gut wie möglich verdrängt, doch nun drängte sich ihr auf, was sie eben erfahren hatte. Cyris war die Schülerin eines Sith Lords - Darth Maul war sein Name. Sie hatte nie von ihm gehört, doch die Sith hatten Jahrtausende im Untergrund gelebt - Count Dooku, Darth Tyranus, hatte mit dieser Tradition gebrochen, indem er sich wieder der Politik gewidmet hatte. Indem er einen Krieg vom Zaun gebrochen hatte, wo es keinen hätte geben dürfen.

Doch so waren die Sith wieder ins Rampenlicht getreten. Es wussten nicht viele, aber es waren genug, um das Geheimnis am Leben zu erhalten - und auf Lyns ewiger Jagd nach mehr Wissen gehörte sie zu dieser Minderheit. Sie kannte die Regel der Zwei, die alten Philosophien und Kampftechniken.

Doch nun stellte sich heraus, ihre Begleiterin war das, was die Sith früher eine Akolythin nannten. Eine Schülerin - die nun Rache an ihrem Meister nehmen will.

Lyn wusste nicht, was sie davon halten sollte. Dunkle Jedi, insbesondere solche, die den Lehren der Sith folgten, waren gefährlich und tödlich. Und dank Talzin war nun Cyris' Geheimnis ausgeplaudert worden. Nichts würde sie davon abhalten, Lyn zu töten, um ihre Vergangenheit nicht ans Licht kommen zu lassen.

Lyn brauchte also eine Absicherung.

Sie widmete ihre Aufmerksamkeit wieder Talzin, die sich gerade mit einer Nachtschwester unterhielt. Cyris derweil wurde ungeduldiger und tippte mit dem Fuß auf den sumpfigen Untergrund.
"Ich habe euch etwas gefragt, Talzin", zischte sie irgendwann.

"Übe dich in Geduld", antwortete die Hexe emotionslos, doch das unheimliche Echo ihrer Stimme hörte sich beinahe voll Genugtuung an.
"Du wirst es herausfinden, wenn der Zeitpunkt reif ist."

Cyris Hand zuckte, und kurz darauf hatte sie den Griff ihres Lichtschwertes in der Hand. Sie erinnerte sich noch gut an die blutrote Klinge, auch, wenn sie gerade nicht zusehen war. Dann ging alles schnell, und die Nachtschwestern um sie herum hatten ihre Klingen in Millisekunden gezogen. Mit einem kaum merkbaren Zähnefletschen hing Cyris den schwarzen Griff wieder an ihrem Gürtel ein und hob die Hände leicht.

"Ich glaube, es ist an der Zeit, zu gehen", versuchte Lyn, die Initiative zu ergreifen. Cyris schnaubte nur leise, gab aber nach und machte Anstalten, zurück zum Schiff zu laufen.

"Ich danke Euch für Eure Hilfsbereitschaft", zischte sie Talzin zu, ehe sie sich umdrehte und zwischen den verzerrten Konturen des Sumpfes verschwand.

Lyn nickte Talzin dankend zu, was diese mit einem schmalen Lächeln quittierte. Dann rannte Lyn los, um Cyris noch einzuholen, ehe sie irgendetwas in der Trust vor Frustration kaputt schlagen konnte.

Im Schiff angekommen beobachtete Lyn erst, wie Cyris - an ihrem üblichen Platz im Cockpit - die Maske wieder anlegte. Ein wenig bedauerte sie, nicht mehr von Cyris menschlicher Seite sehen zu können, aber ihr war klar, dass diese Menschlichkeit in erster Linie von Emotionen wie Wut und Hass rührten. Emotionen, denen Lyn lieber nicht in die Quere kommen wollte.

Also machte sie sich daran, das Amulett von Talzin mit dem Boardcomputer zu verbinden. Die meisten Computer waren hoch genug entwickelt, um auch mit der Macht betriebene Funktionen analysieren und die Daten auswerten zu können.
Und wenn das funktionierte, hätte Lyn ihr Druckmittel gegenüber Cyris.

Angespannt beobachtete sie die Monitore. Die Verbindung war so gut wie aufgebaut, es fehlte noch ein kleines Stückchen -

Plötzlich brach der Ladebalken ab. Lyn sah hoch, zu Cyris, die die Hand auf den Knopf gelegt hatte, der den Upload abbrach.

"Was hattest du mit dem Ding vor?", zischte sie mechanisch verzerrt.

Lyn reckte das Kinn. "Ich habe die Daten in den internen Computer übertragen. Warum einem flackernden Leuchten nachjagen, wenn man sich stattdessen an feste Wegpunkte und Koordinaten halten kann?"

Cyris zog eine Augenbraue hoch.