| Harry |
Ich war schlecht darin, Stille auszuhalten. Vielleicht lag es also an mir, doch ich war mir sicher, dass mich diese Ruhe im Wagen jeden Moment erdrücken konnte.
Ich hatte mich nur mit Mühe durchsetzen und Emma dazu bewegen können, sich in meinen Wagen zu setzen. Emma hätte ich nur ungern das Steuer überlassen wollen. Bei ihrer Laune hatte ich ernsthafte Sorge, sie könnte uns direkt um den nächsten Baum wickeln — obwohl mir das bei der momentanen Stimmung in diesem Wagen als gar keine üble Alternative erschien.
Emma versuchte, gedankenverloren zu wirken und starrte aus dem Beifahrerfenster. Ihr angespannter Kiefer verriet sie allerdings. Sie war keineswegs gedankenverloren, stattdessen jagte sie gerade sämtlichen Geistern hinterher.
„Kannst du für die paar Stunden vergessen, dass du mich hasst?", sagte ich das Erste, das mir durch den Kopf schoss. Zum einen, weil mich diese Frage tatsächlich umtrieb, zum anderen, um endlich diese Stille zu durchbrechen.
„Wahrscheinlich hast du Glück. Immerhin kann ich nicht alle gleichzeitig hassen", erwiderte Emma missmutig. Das war nicht ganz das, was ich mir erhofft hatte, doch immerhin kein Nein. Allerdings hatte sich die erdrückende Stille sofort wieder ausgebreitet.
Sie war ohnehin schon mies gelaunt. Mir hingegen kam immer wieder der Gedanke, dass ich wohl kaum mehr etwas zu verlieren hatte. Es gab hier keine richtigen Fragen, entsprechend gab es auch keine falschen. Somit konnte ich all das aussprechen, was mir im Kopf herumgeisterte.
„Was ist denn mit deiner Mum passiert, wenn ich fragen darf?"Ich spürte, dass Emma einen kurzen Blick zur Seite warf, um mich prüfend anzusehen. Sie wusste selbst nicht, wie sie zu mir stand. Das fühlte ich.
„Sie ist tot", antwortete sie knapp, mit einem Unterton, der deutlich machte, dass ihr bewusst war, dass ich das längst geahnt hatte.„Und woran ist sie gestorben?"
Wieder sah sie mich zwiegespalten an, entschied sich aber einmal mehr dazu, mir zu antworten.
„Am Telefon sagte man etwas von Organversagen. Aber simpel gesagt, war es wohl eben einfach ihr Lebensstil."Verstehend nickte ich. Auch das überraschte mich nicht. Zu gerne hätte ich gefragt, wie es ihr damit geht, doch das wusste Emma bestimmt selbst nicht.
„Und du bist also die Einzige —"
Dieses Mal fiel sie mir sogar wutgeladen ins Wort.
„Die Einzige, die dumm genug war, Spuren zu hinterlassen, die mich mit ihr in Verbindung bringen, ja. Und deswegen sitze ich jetzt schon wieder hier neben dir in diesem drecks Schlitten und fahr zu diesem gottverdammten Haus."Ich behaupte gerne, dass ich ein geduldiger Mensch bin. Doch sobald Emma wieder still und diese erdrückende Ruhe wieder eingekehrt war, hörte ich meinen Geduldsfaden laut und deutlich reißen.
Ich konnte ihre Aggressionen nicht länger aushalten. Nicht, wenn ich sie abbekam, obwohl ich ausnahmsweise nicht das Geringste damit zu tun hatte, dass Emma gerade kurz vor dem Zusammenbruch stand.Abrupt lenkte ich den Wagen also in die nächste ruhige Seitenstraße und kam dort am Straßenrand zum Stehen.
„Was soll das denn? Ich weiß, eure Hoheit bewegt sich selten in dieser Gegend, aber wir sind noch nicht —"„Herrgott, ich weiß, Emma. Wir sind noch ein paar Blocks entfernt, aber dir wird es bestimmt nicht schaden, ein kleines Stück zu laufen. Dann kannst du vielleicht endlich Mal tief Luft holen."
Mit diesen Worten hievte ich mich aus dem Wagen und warf die Tür hinter mir zu.
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Big Tip || h.s. ✓
Fanfiction»Mein ganzes Leben besteht aus Erwartungen! Nicht aus meinen Eigenen, ich erwarte längst nichts mehr von mir. Aber jeder Andere sieht mich an und glaubt zu wissen, was er von mir verlangen kann. Du denkst vielleicht, es wäre schlimm, dass die Leute...