34 | Erklärungsversuche

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| Harry |

Ohne zu wissen, wo ich überhaupt hinwollte, jagte ich wieder aus dem Konferenzraum.
„Harry?", hörte ich Jessicas Stimme hinter mir den Flur entlanghallen. „Falsche Richtung", pfiff sie mich auffordernd zurück. „Du solltest endlich mal beim Interview auftauchen."

Genau das hatte ich auch vorgehabt. Jede Minute, die ich Emma allein ließ, war gefährlich — oder womöglich war es sogar schon zu spät. Ich konnte dieses Interview unmöglich überstehen, ohne dass Emma Wind von irgendetwas bekommen würde, was ich dringend von ihr fernhalten wollte.

„Plötzlich hast du's also doch eilig?", wunderte sich Jessica, als ich eine Kehrtwende eingelegt hatte und nun an ihr vorbeirauschte.
Schnell stöckelte sie mir hinterher.

„Ist Christopher hier?", wollte ich hektisch wissen. Das dieser Mistkerl fügte ich nur in meinem Kopf hinzu.

„Ja, schon seit ein paar Stunden. Er hat sich mit den Journalisten noch abgesprochen, wie immer", antwortete Jessica irritiert. „Stimmt was nicht?"

„Bring mich einfach nur dahin", raunte ich. Jessica kannte mich gut genug, um zu wissen, dass Einiges nicht stimmte, wenn ich solche Töne anschlug.



Die Journalisten in dem Hotelzimmer mussten mich für den egozentrischsten und neurotischsten Kerl der Welt gehalten haben, als ich die Türe aufdonnerte und mich sofort fordernd umsah. Ich wusste noch nicht einmal, nach wem ich zuerst Ausschau halten sollte — nach Christopher, um ihn mir vorzuknöpfen oder doch nach Emma, um sie am Besten auf der Stelle aus diesem Raum zu schaffen. Anders sah ich keine Möglichkeit, dass mir diese ganze Sache hier nicht direkt um die Ohren fliegen würde.

„Wo ist Emma?", fragte ich hektisch, als ich sie nirgends sehen konnte.
Dafür schob sich nun Christopher in mein Blickfeld.

„Die wurde abgeholt für ein kurzes Briefing", antwortete er unbekümmert und hatte sich wohl gerade an den bereitgestellten Snacks bedient.

Lässig stand er da und kaute seinen Donut, während ich gar nicht wusste, was ich zuerst sagen sollte. Ich hatte selten Aggressionen in mir, ich wollte auch nie für solche Negativitäten empfänglich sein. Aber im Moment brodelte eine Menge in mir, obwohl ich wusste, dass ich im Grunde selbst schuld daran war.

Schnell schob ich Christopher in eine etwas ruhigere Ecke des Raumes.
„Was hast du dir dabei gedacht?", fuhr ich ihn harsch an. Während es in meinem Kopf gerade kein anderes Thema mehr gab, als dass Christopher Emmas Vergangenheit und ihre Herkunft medienwirksam vermarkten wollte, wusste dieser nicht im Geringsten, wovon ich sprach.
„Hä?", gab er mit vollem Mund von sich.

„Ich hab dir bei dem Meeting und bei jeder Gelegenheit in Malibu gesagt, dass Emmas Vergangenheit für die Öffentlichkeit tabu ist! Und doch hast du nichts besseres zu tun, als in der ersten freien Minute alles umzuwerfen?"

Hektisch schluckte Christopher sein Essen hinunter. „Bitte? Ich hab dich doch extra nochmal gefragt und über Jeff kam das Go!"

Dem konnte ich noch nicht einmal widersprechen, doch einsehen wollte ich es nicht.
„Hättest du dir nicht denken können, dass das ein Kommunikationsfehler war?"

„Nein, ich dachte, du wärst endlich zur Besinnung gekommen! Die Geschichte verkauft sich wie von selbst und ihr Kollege war durchaus gesprächig, das sag' ich dir. Am Ende wird Emma als Paradebeispiel des Amerikanischen Traums dastehen. Sie wird nichts verlieren", rechtfertigte sich Christopher sofort.

„Ihr Kollege?"

„Der Kerl, der damals deine Rechnung, oder viel eher dein Trinkgeld im Netz gepostet hat", erklärte Chris, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

Big Tip || h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt