Kapitel 14

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"I'm sorry for being like this. I'm sorry for being such a failure."

                           ~Simon

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Simons Sicht:

Sobald Julia das Zimmer verlassen hatte, stiegen mir die Tränen in die Augen. In meinem Inneren kribbelte alles. Doch es war kein schönes Kribbeln, es war wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Ich kannte dieses Kribbeln nur zu gut und ich wusste auch genau was passierte, wenn ich jetzt nicht sofort eine Tablette zur Beruhigung nahm.

Doch ich konnte nicht. Ich konnte nur an Julia denken. An ihr erschrockenes Gesicht. Ich wollte es ihr selbst erzählen. Dann, wenn ich bereit war, wenn wir beide so weit waren. Gestern war definitiv zu früh, soviel stand fest. Ich kannte sie noch zu schlecht. Verlässt sie mich jetzt? Ich konnte sie in einer solchen Situation einfach nicht einschätzen.

Vorhin hatten wir uns beide verstellt. Wir hatten das Thema gemieden und uns normal verhalten. Doch wahrscheinlich ging es ihr jetzt in diesem Moment nicht gerade gut. Heute Nachmittag würde ich ihr alles erklären müssen. Über alles reden müssen. Sonst würde ich sie verliehren. So viel wusste ich. Doch war ich bereits bereit dazu? Konnte ich über alles reden, als ob alles bereits Geschichte war? Es fühlte sich nicht an, als ob alles schon lange vergangen war, es fühlte sich an, als ob alles erst Gesten geschehen war.

In meinem Inneren waren so viele Fragen, die ich nicht beantworten konnte. Mit schnellen Schritten lief ich in meinem Zimmer auf und ab. Ich wollte und durfte sie nicht verliehren. Ich wusste nicht, was es war, aber wenn sie mich ansah, gab mir, dass Mut, Wille und Lebenskraft. Wenn sie mich jetzt verlassen würde, würde ich ein zweites Mal fallen. Da war ich mir im Klaren. Und ich wusste genauso gut, dass ich nicht mit Sicherheit garantieren konnte, ob ich dieses Mal ein Weg aus dem Loch fand, oder ob ich fallen würde, bis ich im Himmel angekommen war.

Warum? Verdammt noch mal warum? Das fragte ich mich immer und immer wieder.

Warum.

Diese Frage bezog sich nicht auf etwas bestimmtes, sondern auf mein ganzes Leben. Auf alles. Ich konnte nicht aufhören mir diese Frage zu stellen und mich somit immer weiter hineinzusteigern. Die Anspannung in meinem Inneren wurde immer grösser.

Mit schnellen Schritten lief ich zu meiner Musikbox und stellte ein Lied von Eminem laut ein. Als seine Stimme endlich genügend laut war, liess ich alles aus mir heraus. Ich schrie. So wie ich es in letzter Zeit immer tat, wenn ich es nicht mehr aushielt. Es war ein Tipp meines Therapeuten. Normalerweise wirkte es auch gut, doch heute reichte es nicht. Nicht mal annähernd.

Verzweifelt griff ich in die unterste Schublade und zog ein kleines Messer hervor. Mein Gesicht war mit Tränen übersät, meine Sicht verschwommen. Ich wusste, dass ich nicht durfte. Es war nicht gut. Ich hatte mich über ein Jahr lang nicht mehr geschnitten. Doch heute musste ich einfach. Ich sah keinen anderen Weg, um diese innere Anspannung loswerden. Es war mir in diesem Moment nur durch Schmerz möglich.

Mit meiner Hand wischte ich die Tränen vom Gesicht weg, sodass ich wieder normal sehen konnte. Zitternd setzte ich die Klinge an der Innenseite meines Unterarmes an. Ich durfte nicht zu tief hineinschneiden. Mein Therapeut durfte es auf keinen Fall bemerken. Sonst war ich wortwörtlich am Arsch.

Zitternd schloss ich meine Augen und legte den Kopf in den Nacken. Die silbrige Klinge schnitt sanft in meine Haut. Das Gefühl war befreiend, einfach erlösend. Desto weiter ich schnitt, desto mehr Anspannung viel von mir ab. Seufzend öffnete ich meine Augen wieder und nahm die Klinge von meinem Arm. Der Schnitt war ein wenig tiefer geworden als ich mir vorgenommen hatte.

Endlich breitete sich Müdigkeit und Stille in mir aus. Das Gefluche der Musik nahm ich gar nicht mehr richtig war. Mit einem Handtuch wischte ich über meinen Arm und reinigte das Messer. Nachdem ich es wieder sicher verstaut hatte, warf ich mich aufs Bett. Und endlich schlief ich ein. Mit einer inneren Ruhe, die man sich nicht vorstellen konnte.

Ich hatte mich nicht mehr daran erinnern können, dass es so guttat, sich zu ritzen.

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Meine Mom weckte mich. Das hiess; sie schrie mir ins Ohr und rüttelte an mir. Blitzartig öffnete ich meine Augen und setzte mich ruckartig auf. Kurz traten kleine Sterne vor meinen Augen auf. Rose schluchzte auf und bedeckte ihren Mund mit den Händen. Zittern und weinend ging sie in die Knie. Fuck, ich wusste haargenau, was los war. Es war schon einmal passiert, dass meine Mom dachte, ich hätte mich umgebracht.

"Hey, Mom, alles gut, alles gut, ich lebe. Ich habe nur geschlafen, okay? Ich habe sogar richtig gut geschlafen. Hey, Schhh, alles gut", sanft nahm ich sie in den Arm und drückte sie fest an mich. Ich hasste es, sie so zu sehen. Meistens bekam ich nichts vor ihrer Angst um mich mit, aber in solchen Fällen wurde es mir wieder bewusst. Es musste unheimlich schwer für sie sein, einen depressiven Sohn zu haben.

Eigentlich kam das schon lange nicht mehr vor, doch heute war wohl ein Ausrutscher. Sie musste meine Musik gehört haben. "Ich dachte... Ich hatte solche Angst. Du hattest dich einfach nicht bewegt. Du...Du...", stotterte sie. "Ich weiss, dass tut mir leid. Ich habe nur geschlafen. Komm gehen wir runter etwas trinken." Ich nahm sie am Arm und zusammen gingen wir langsam die Treppe hinunter in die Küche. Jack trat mit einer braunen Ledertasche im Arm durch die Tür. Wahrscheinlich war er gerade bei Gini, seiner Freundin gewesen.

Als er uns bemerkte, liess er sofort die Tasche fallen und nahm Mom in den Arm. "Was ist los?", fragte er mich alarmiert. "Nichts, Mann.", war alles was ich herausbrachte. Ich überliess Mom, Jack und ging in die Küche, um uns allen etwas zu kochen.

Es war mir unglaublich peinlich, was gerade passiert war.

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Wenig später gesellte sich Jack zu mir in die Küche. "Hast du einfach geschlafen oder hattes du wieder eine Krise?" Sein Gesichtsausdruck musterte mich ernst. Er nahm jede meiner kleinsten Bewegungen wahr. "Nein ich hatte nur geschlafen. Ach ja, und Julia hatte es übrigens herausgefunden, wir treffen uns am Nachmittag noch, um zu reden."

"Und wie hatte sie es aufgenommen? Alles gut?" Zwischen seinen Wimpern bildete sich eine kleine Falte, als er mich besorgt musterte. "Keine Ahnung. Ich weiss es wirklich nicht.", seufzend hob ich mich auf die Abdeckung hoch. "Okay Bro. Aber ich bin stolz auf dich, ja? Sie ist in dich verliebt. Da verlässt man nicht einfach jemanden wegen einer dämlichen Krankheit.", versuchte er mich aufzumuntern.

Wir wussten beide, dass es nicht einfach eine dämliche Krankheit war. Doch seine Worte machten mir trotzdem in gewisser Massen Mut.

"Ach ja und Simon? Ich glaube du triffst sie lieber morgen, es ist bereits 22 Uhr." Damit verliess er die Küche.

Niemals DeinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt