Kapitel 26

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"I just want you to smile again. I want to see you laugh again like you used to. I know you were happy once... I just want you to be happy again."

~Simon

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Bereits eine Woche war nun vergangen. Vor genau sieben Tagen hatte ich Simon tot in seinem Zimmer gefunden und seit 168 Stunden befand ich mich in meinem Zimmer.

Nachdem ich vor der Haustüre zusammengebrochen war, trug mich Jack zu mir nachhause. Er legte mich ins Bett und verliess mein Zimmer wortlos wieder. Er war nicht fähig, irgendetwas zu sagen. Genauso wenig wie ich.

Er war genauso gebrochen worden, wie ich, nur mit dem Unterschied, dass er sein ganzes Leben lang darauf vorbereitet wurde. Das hatte er mir zumindest am Telefon vor circa einer Stunde gesagt. Er klang traurig, am Boden zerstört und trotzdem meinte er, es sei okay. Er sagte, dass Simon der stärkste Junge gewesen sei, denn er kannte und dass er überglücklich war, dass er ihn als Bruder haben konnte.

Auf diese Worte hin schrie ich ihn durchs Telefon hindurch an, dass es nicht okay war. Doch Jack klang weit weg, als er antwortete: "Doch, Juwel, es ist okay. Es bringt nichts, ihn zu verurteilen. So möchte ich ihn nicht in Erinnerung haben. Ich habe ihn als starker Junge in Erinnerung, welcher nie aufgab. Der alles versucht hatte und auch gewann."

Ich war ausser mir. "Wie kannst du sagen, er hätte gewonnen? Er hatte den Kampf verloren!", schrie ich ihn erneut an. Die Tränen stiegen mit bereits wieder in die Augen. Oder waren sie gar nie gegangen?

"Hm. Aber er war nicht an einem seiner schlechten Tage gestorben, oder? Er war glücklich gestorben. Ich sah ihn ehrlich gesagt noch nie so glücklich, wie an diesem Tag. Ich weiss nicht, ob ich totaler Schwachsinn rede, Juwel. Aber es hilft mir, besser zu verstehen. Es hilft mir, Simon zu verzeihen. Und ich möchte dir danken, Juwel. Du hast ihn so glücklich wie noch nie gemacht." Er klang so aufrichtig bei diesen Worten, dass es mir die Sprache verschlug. Schliesslich hatte ich Simon nie geliebt.

"Anscheinend hat es nicht gereicht." Ich klang nun schwach, kaputt. Darauf folgte erstmals ein langes Schweigen. Gebannt lauschte ich Jackys gleichmässigen Atemzügen.

"Ich weiss es nicht, Juwel. Aber du hast das getan, was du konntest. Du warst das Beste, was ihm passieren konnte. Dich trifft keine Schuld. Das Einzige, was du tun kannst, ist zu versuchen, ihm zu verzeihen. Ihn in schöner Erinnerung zu behalten und ein Lächeln auf den Lippen zu tragen, wenn du an ihn denkst. Denn genau das ist es, was Simon gewollte hätte. Dass du lächelst, dass du glücklich bist."

Gedankenverloren nickte ich. "Dahin ist es aber noch ein langer Weg." Bereits beim Gedanken an ein Lächeln auf meinen Lippen drehte sich mir der Magen um.

"Ja, das weiss ich, Juwel. Mir geht's doch genauso. Aber irgendwann kommst du an." Warum klangen seine Worte nur so weise und durchdacht? Ich weiss nicht, wie er es schaffte, in dieser trostlosen Zeit, so zu denken. Jedoch bewunderte ich ihn dafür.

"Juwel, hier ist ein Brief für dich. Simon hatte ihn für dich geschrieben. Ich lege ihn dir gerade in den Briefkasten. Ich gehe eben gleich joggen. Sobald du mich sehen möchtest, ruf an oder schreibe mir. Ich bin immer für dich da." Mit diesen Worten legte er auf, da er wusste, dass ich nichts darauf erwidern würde.

Kurze Zeit später klopfte meine Mutter leise an die Tür. "Julia?" Sie betrat mein Zimmer. In der Hand hielt sie einen Brief. "Den hat Jack gerade vorbeigebracht. Er ist von Simon." Langsam tritt sie zu mir. Auch unter ihren Augen waren dunkle Ringe sichtbar. Ich nahm ihn ab und machte ihn mit zitternden Händen auf.

Für meine Freundin, Julia.

Wenn du diesen Brief liest, habe ich diese Welt bereits verlassen. Aber nur diese Welt, nicht dich. Dich könnte ich nie verlassen, denn du bist das Beste, was mir je passiert ist. Ich werde immer bei dir sein. Ich werde an deinen schrecklichsten Tagen und an deinen schönsten teilhaben. Ich werde vom Himmel auf dich herabschauen, dich immer begleiten. Und solange du es willst, solange du es brachst, werde ich in deinem Herzen sein.

Es tut mir leid, dass du das miterleben musstest. Dass du mich wahrscheinlich sogar gefunden hast. Aber ich konnte nicht mehr. Weisst du, ich bin selbst daran verschuldet, dass ich jetzt nicht mehr lebe. Ich wusste es, als ich die Tabletten abzusetzen begann. Doch ich fühlte mich stark, unbesiegbar. Und ohne die Tabletten fühlte man sich eben noch stärker, noch unbesiegbarer. Doch leider nur für kurze Zeit. Deine Liebe hat mich stark gemacht. Ich dachte, ich habe gewonnen, ich habe es geschafft. Für immer. Aber das Dunkle kam zurück.

Ich starb nicht an einem schlechten Tag. Ich starb an einem meiner schönsten. Und das habe ich nur dir zu verdanken. Schau, ich bin einfach nicht für diese Welt gemacht. Doch ich möchte dir jetzt nicht alles aufzählen. Nicht alle meine schrecklichen Gedanken und Gründe mit dir teilen. Das Einzige, was ich möchte, ist, dass du so schnell wie möglich wieder glücklich wirst. Und egal, womit und mit wem es ist. Es ist nie falsch, solange du glücklich bist. Nie werde ich dich verurteilen, solange du glücklich bist. Das ist mein allergrösster Wunsch. Lebe wieder.

Nochmals danke ich dir für unsere gemeinsame Zeit. Ich liebe dich, Julia. Und es ist egal, ob du das auch tust oder nicht. Ob du das jemals getan hast, oder nicht. Ob du mich geliebt hast oder jemand anderes. Denn ich bin nun im Himmel und trotzdem immer für dich da. Doch wie bereits gesagt, das Einzige, was ich will, ist, dass du glücklich bist. Bitte erfülle mir diesen Wunsch so schnell wie möglich, Juju!

In Liebe, dein Simon

Ich las den Brief immer und immer wieder. Die Tränen strömten meine Wangen hinunter. Ich musste das Blatt weghalten, damit es nicht nass wurde. Er hatte also die Tabletten abgesetzt. Warum zum Teufel hatte er das getan? War das auch die Vermutung von Jack? Doch er hatte gesagt, man könne sowieso nichts tun. Aber wenn es das gewesen wäre, hätte man etwas tun können. Ich verstand nichts mehr. Ich war einfach nur leer. Ich war leer und gebrochen und unendlich traurig.

Der Weg der Trauer dauerte lange. Doch ich kann ihn euch nicht erzählen, denn das ist ein eigener Weg, ein eigenes Kapitel, welches so lang wäre, dass ein neues Buch entstehen würde.

Niemals DeinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt