Kapitel 23

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"It's okay if all you did today was survive."

~Jack

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Eine Woche später fand ich Simon weinend im Zimmer. Auf seinem Arm klaffte einen roten Strich. Entsetzt schrie ich auf und rannte zu ihm. Er sass am Boden und lehnte am Bett an. Laute Musik hallte aus den Lautsprechern, während er weinend dasass und die Wunde an seinem Arm betrachtete. Ich kniete mich vor ihn hin, ebenfalls mit Tränen in den Augen, doch er nahm mich gar nicht wahr. Also nahm ich schockiert sein Gesicht in meine Hände und schüttelte ihn leicht.

"Simon", schrie ich in der Hoffnung, die Musik übertönen zu können. Aus leeren Augen sah er mich an. Es kam mir vor, als ob er durch mich hindurchschauen würde. Als ob er gar nicht sah, dass ich es war. Er war ganz woanders mit seinen Gedanken. Unter seinen Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet und seine Wangen waren leicht gerötet.

Doch sein Blick entsetze mich. Ich glaube, ich hatte noch nie so viel Traurigkeit und trotzdem so viel Leere in einem Blick gesehen. "Simon?", schrie ich immer und immer wieder, während ich an ihm rüttelte. Er sollte mich anschauen. Richtig. Seine nussbraunen Augen sollten leuchten, wie sie es in letzter Zeit immer getan hatten, wenn er mich angeschaut hatte.

Doch er sah mich nicht. Er war zu weit weg. Also stand ich auf und rannte zum gegenüberliegenden Zimmer. Ohne zu klopfen, riss ich die Türe auf. Jack sass auf seinem Bett, den Kopf in seine Hände gestützt. Er sah ebenfalls traurig aus. Was hatte ich nur verpasst?

"Jack?", schrie ich weinend und mit einer viel zu hohen, panisch klingenden Stimme. Sofort war er aufgesprungen und rannte mit mir in Simons Zimmer. Geübt, so als ob er es schon tausend Male getan hätte, fast schon monoton, zog er ein weisses Taschentuch hervor. Drückte es sanft auf Simons Wunde und hob ihn hoch. Er legte ihn ins Bett.

In der Zwischenzeit fand ich den Verstärker und stellte ihn aus. Die plötzliche Stille war ungewohnt. Nur Simons leises schluchzten, war zu hören. Doch er sah nicht wie sonst aus. Er sah einfach nicht lebendig aus. Daran konnte ich mich nicht gewöhnen. Es tat mir so weh, ihn so zu sehen. Er lag nur da. Rührte sich nicht und starrte leise weinend durch die Decke hindurch. Er war immer noch weg, gefangen in einer anderen Welt.

Es tat so weh, das mit ansehen zu müssen. Inzwischen kam Jack aus dem Badezimmer zurück. Er hatte ein Glas Wasser und eine viel zu grossen Pille dabei. Sein Gesichtsausdruck war immer noch wie aus Stein gemeisselt. Er ging an meinem weinenden Ich vorbei und setzte sich neben Simon. Er half ihm aufzusitzen, die Pille in den Mund zu nehmen und zu schlucken.

Nun lag er wieder genauso da, wie vorher. Jack deckte ihn vorsichtig zu, eher er mich am Arm packte und mich aus dem Zimmer zog. Er schloss die Türe, machte seine auf und setzte mich aufs Bett. Still weinte ich vor mich hin, während er sich vor mich hinsetzte und leise auf mich einredete.

"Schhh, Juwel, es ist okay. Alles gut. Gleich geht's ihm wieder besser." Auf seinem Gesicht waren indessen wieder Emotionen zu sehen. Fürsorglich sah er mir in die Augen, während ich in dem unendlichen Grün versank. Langsam versiegten meine Tränen. "Was war da soeben passiert?", fragte ich flüsternd. Diese Frage hatte ich mir bis jetzt ununterbrochen gestellt.

"Das war bestimmt nur ein kleiner Rückfall." Jack sah mich aufmunternd an und nickte zur Bestätigung. Vielleicht ein wenig zu fest, als das nötig gewesen wäre. Ich wusste nicht, ob er nur mich zu beruhigen versuchte oder auch sich.

"Ich habe ihm eine Notfalltablette gegeben. Die wirkt schnell. Jetzt schläft er erstmals und danach geht's ihm bestimmt wieder besser." Ich hatte das Gefühl, dass er mir nicht alles sagte. "Aber warum? Er ist doch glücklich, oder? Er hat mich, er ist doch glücklich, nicht?"

Abwesend nickte er. "Ja, er ist glücklich, aber..." Er schüttelte den Kopf und wollte aufstehen. "Was aber? Ich merke doch, dass du nicht alles sagst, also sage es. Bitte", flehte ich ihn an. Seufzend liess er sich zurücksinken. "Ich habe da so eine Vermutung."

"Ach und die wäre?" Neugierig bog ich mich ihm ein wenig näher und spüre sogleich wieder die Schmetterlinge in meinem Bauch. Schnell schob ich alle Gedanken, die Richtung Jack gingen, weg und konzentrierte mich wieder auf das einzige wesentliche. "Bitte Jack. Sag es mir." Ich sah, dass er mir sich rang.

"Juwel, es ist besser, wenn du meine Vermutung nicht kennst. Erstens würdest du dir nur unendlich Sorgen machen und zweitens könnten wir, falls es so wäre, sowieso nichts dagegen machen, okay?" Verständnislos sah ich ihn an. "Doch sicher, man kann immer etwas machen. Also sage es mir. Vielleicht habe ich eine Idee." Ich sah ihm nochmals zu, wie er mit sich rang. Doch dieses Mal entschied er sich, nicht nachzugeben.

Frustriert stiess ich die Luft aus. "Ich werde zuerst mit Mom darüber reden. Glaub mir, es ist besser so Juju. Wahrscheinlich stimmt meine Vermutung nicht einmal." Er stand auf und setzte sich an den Schreibtisch. In meinem Inneren liess das Kribbeln ein wenig nach. Erschöpft liess ich mich nach hinten fallen. Ich rutschte hoch, bis ich ganz auf dem Bett lag.

"Egal, ich will es trotzdem wissen", antwortete ich ihm trotzig. Jack drehte sich auf dem Stuhl zu mir und sah mich intensiv an. "Ich sags trotzdem nicht." Beleidigt, jedoch wieder mit einem merkwürdigen Gefühl in meinem Inneren, streckte ich ihm die Zunge heraus. "Blöder Dummkopf."

Leise lachend stand er auf und holte eine Gitarre hervor. Sanft begann er zu spielen und schliesslich auch zu singen. Seine Stimme klang so schön warm und voller Gefühle. Ich merkte, wie ich immer müder wurde, bis mir schliesslich die Augen zufielen. Leise sang mich Jack in den Schlaf...

Niemals DeinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt