32. Kapitel

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Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass sich in den letzten Monaten was geändert hat. Inzwischen war es Hochsommer und mein Geburtstag stand vor der Tür. Momentan war ich arbeiten, statt am Einlass machte ich nur noch Popcorn, Kaffee, Cocktails und natürlich alles wieder sauber. Mich hatte es schon überrascht, dass meine Chefin es erstaunlich locker nahm, dass ich nicht mehr sprach. Andere hätten mich vielleicht sogar gefeuert.
Ich sah aus dem Fenster. Es war warm draußen, ein bisschen zu warm meiner Meinung nach. Allerdings war es ein schönes Bild. Die Straße war in das warme abendliche Licht gehüllt, die Bäume waren grün und die Autos leicht eingestaubt. Es war wunderschön. Ein Räuspern ließ mich rumfahren. Die ganze Crew vom Kino stand vor mir und schaute leicht verunsichert drein. Nun war es wohl soweit. Der Abschied. Ich wusste, dass sie nicht sprachen, mir zuliebe. Und so war es auch. Ich bekam von jedem eine Umarmung. Leise dudelte im Hintergrund irgendein Soundtrack. Zum Schluss bekam ich noch eine Pralineschachtel und ein Englichwörterbuch. Viel Spaß im Ausland, deine Kinocrew stand in fetten Buchstaben auf einem aufgeklebten Zettel oben. Ich lächelte sie an. Und dann ging ich nach Hause, zu meinen gepackten Koffern.

In dem letzten halben Jahr habe ich viel erlebt. Mein zufriedenes Leben, welches sich durch eine bestimmte Person in Glück gewandelt hat. Ich schätze, das war es dann. Wenn man oben auf der Bergspitze des Glückes ist, geht es nur noch bergab. So war es auch. Ich erlebte Schmerz, durch eine Person vollbracht. Kurz nach der Trennung mit Benjamin und meiner wiedererlangten Stummheit, habe ich die Schule verlassen. Besser ein noch recht gutes Abgangszeugnis, als ein sehr schlechtes Abitur, dachte ich mir. Eine Woche später rief die Agentur für mein Aupair an. Ab da sprach ich Englisch. Ich werde mich wohl nicht mehr in der deutschen Sprache ausdrücken. Zuviel Schmerz verband ich damit. Und mit dem Neuerlernen einer Sprache, änderte es sich vielleicht auch. Man kann nochmal von vorne anfangen, was das betrifft.

In drei Tagen geht mein Flug nach Hastings, einer kleinen Stadt an der Südküste von England. Ich freue mich schon darauf. Auch wenn ich es Benjamin nicht übel nehme, wie er reagiert hat, und das er nicht nochmal auf mich zugegangen ist, werde ich wohl froh sein, diesen Abschnitt meines Lebens hinter mir zu lassen. Ich bin ihm noch immer dankbar, dass er mich in die Kunst des Liebens eingeweiht hat. Er war meine erste große Liebe. Wahrscheinlich wird nochmal irgendwann ein anderer Mann mein Leben bereichern, ich weiß es nicht, sehe dem aber sehr optimistisch entgegen. Vielleicht bin ich ja über Benjamin hinweg, wer weiß. Ich habe ihn nicht weiter gesehen, außer einmal kurz im Kino, wo er mit Jolina einen Film besuchte. Mir war es egal was zwischen den Beiden lief, redete ich mir zumindest ein. Wahrscheinlich würde ich weinen, wenn er vor mir stünde, aber was solls.

In der Zeit hatte ich viel Ablenkung. Ich ging arbeiten, machte den Führerschein und besuchte Festivals. Allein. Ungebunden. In einer anonymen Masse, die mit mir die Musik teilten. Letzendlich war es trotz allem ein guter Sommer. Ich war zwar noch immer ziemlich für mich, aber offener als in den Sommern davor. Sowas sollte man auch loben, finde ich.

Von der Zukunft erwarte ich mir nicht viel. Oder doch, ein wenig. Ich komme zu einer richtig netten Familie in England und lerne die Sprache richtig. Danach will ich gerne eine Weltreise machen, um auch andere Kulturen und Menschen kennenzulernen und mich mit ihnen, mithilfe meiner Bilder, zu unterhalten. Es ist so einfacher als die Sprache und selbst taube Menschen können es verstehen. Nach der ganzen Rumreiserei will ich wieder nach England und dort vielleicht in einem Verlag arbeiten. Von Deutschland möchte ich mich ganz lösen. Was bringt es mir, mich über andere Kulturen zu belesen, wenn ich doch dort sein kann?

Vielleicht, nur vielleicht, bekomme ich einmal ein richtiges Zuhause und eine Familie, die mich liebt. Menschen, auf die ich mich freue, die mich verstehen und lieben wie ich bin. Ohne Falschheit, Neid und Drohungen. Dann würde ich endlich ankommen.

LavendelregenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt