8. Kapitel

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Immer wenn ich mich abends fertig mache, kam mir die Idee es einmal zu zeichnen. Ich mich. Auf der einen Seite, wie ich am Tag aussah. Eher zurückhaltend. Jeans, großer Pullover, dezente Schminke. Auf der anderen Seite, ich nachts. Kurze, knappe Kleider und schwarz geschminkte Augen. Ich weiß nicht, seit wann ich mich abends immer so aufbrezel. Schon eine Weile. Ich mochte es einfach, mich zu wandeln. Aus dem verträumten Mädchen wurde eine .. ja eine was? Ich wusste, dass ich unnah wirkte. Ich sprach nicht, war alleine und tanzte in meinem eigenen Takt. Manchmal hatte ich einen Kerl am Hals aber mein Gott. Sowas passiert halt. Nachts ist die Welt nicht mehr dieselbe und das ist auch gut so.

Als ich mich im Spiegel betrachtete, war ich nicht mehr ich. Abends, nach meiner Veränderung fühlte ich mich nicht mehr zu dem Körper dazugehörig. Es waren nicht mehr meine wuscheligen Haare, meine langen Beine und auch gar nicht meine Hände, die den Rock ein wenig zurecht zupften. Aber genau deshalb machte ich es ja. Ich wollte dem grauen Alltag entfliehen. Wollte ohne das Vorurteil eine "langweilige, stumme Maus" zu sein, gute Musik hören und ein wenig in die Anonymität der Nacht gehen. Ich sah auf mein Handy. Mein Bruder hat mir eine Nachricht geschrieben.

»Ich bin heute nicht im Bau. Bitte pass auf dich auf. Mir wäre es lieber, wenn du auch mal zuhause bleibst.«

Ich verdrehte die Augen. Immer so fürsorglich.

Der Bau war der Club der Hippies und Bands der Stadt. Ich hielt mich da gerne auf, wie leider aber auch ein paar Drogenabhängige. Mit denen wollte ich nie in Kontakt treten, deshalb war ich froh, wenn mein Bruder meist dabei war. Und heute war Donnerstag. Da tummelten sie sich in Scharen da. Ich überlegte, ob ich in den Bikerclub ging oder zu den Punks. Mhm. Aber das war so weit. Einzige Alternative war, Zuhause zu bleiben. Aber genau das wollte ich doch nicht. Sollte ich alleine dahin? Meinen Erfahrungen nach, war das aber keine gute Idee. Blitzartig kam mir die Erinnerung hoch, wie mich einer anfasste. Ich wollte es nicht, aber er war zu stark. Noch heute roch ich den Alkoholgestank, sah die fettigen Haare und die riesigen Pupillen vor mir. Wäre mein Bruder damals nicht gekommen, wer weiß was dieser.. Druffi mit mir gemacht hätte..
Schon bekam ich eine Gänsehaut, nur von der Erinnerung.  Man. Wütend schmiss ich mein Handy weg und warf mich auf mein Bett. Ich hasste es, den Frust vom Tag nicht abbauen zu können. Und es war ja noch früher Abend für mich. Erst um 9. Ich überlegte wirklich ernsthaft, ob ich noch losmachte. Nachdem ich allerdings zu keinem Entschluss kam, nahm ich eine Schlaftablette. Dann wird heute halt geschlafen, auch wenn ich nicht zufrieden mit der Situation war..

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