2. Kapitel

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Als meine Familie begriff, dass ich nicht mehr redete, bin ich gerade 9 geworden. Ein junges Alter, indem ich schon viel Schmerz erleben durfte. Eigentlich sollte es nur ein kurzer Protest werden, damit ich auch einmal zu Wort kam, was dann aber zu meinem Lebensstil  wurde.
Ich wollte mich nur durchsetzen, was ja in einer sechsköpfigen Familie mit 2 kleinen Schwestern eher schwer war. Aber irgendwie hat es nicht viel gebracht. Meine Mama hielt es nur für eine kindliche Phase und meinem Stiefvater war eh alles egal. Mein großer Bruder machte sich dafür Sorgen für alle drei zusammen. Obwohl er Mittelpunkt der Familie war, kümmerte er sich dennoch um mich. Er kaufte mir eine kleine Tafel, auf der ich immer zeichnen sollte, wenn etwas war. Wir wussten schon damals, dass ich eine kleine Künstlerin war. Mein Bruder Luke betonte vor allem das zeichnen. Er meinte zu mir, dass Wörter für mich wohl keine Bedeutung hatten. Erst viel später begriff ich, was er wirklich damit meinte. Jeder Mensch drückte sich anders aus, identifiziert sich mit etwas anderem. Und ich tue das halt nicht mit Lauten. Manchmal habe ich zwar das Bedürfnis allen meine Meinung zu sagen, aber das legte sich meist schnell. Irgendwann hat man gelernt damit umzugehen. Und ich zeichne meine Meinung eher auf.

Für meine Lehrer wurde es schwer. Mein Bruder musste es ihnen erst erklären. Sie haben den Schulpsychologen herangezogen und es folgten Gespräche mit meinen Eltern. Nach einigen Aufenthalten in Krankenhäusern und psychiatrischen Anstalten schienen sie es jedoch zu akzeptieren. Und ich war wieder nur ein nebensächlicher Mensch. Manchmal schrie mich meine Mama an, dass ich doch endlich reden sollte. Ich sah sie dann immer nur an. Bis sie in Tränen ausbrach und mich fragte, was sie nur falsch gemacht hat. Ich umarmte sie dann meist, bis sie sich beruhigte und ging dann in mein Zimmer. Ich ertrug es nicht sie so zu sehen, das sie meinetwegen doch so ein großen Schmerz hatte. In solchen Momenten bereute ich es immer, nicht zu reden. Aber wenn sie dann, wenige Stunden wieder vollkommen ignorant mir gegenüber war, fiel mir der Grund meines Schweigens wieder ein. Selbst wenn ich reden würde. Es gäbe keine Veränderungen. Es würde nichts ändern. Also hielt ich meinen Mund.

Jetzt, fast 10 Jahre später kam ich ziemlich gut ohne Stimme klar. Und die Leute in meiner Umgebung verstanden mich auch meist ohne Worte. Ich arbeitete viel mit meiner Mimik.
Nicht zu sprechen hatte seine Vorteile. Ich bekam nie die Versuchung zu lügen. Ich hasste sowas. Warum konnten Menschen nicht einfach die Wahrheit sagen? Warum überlegten viele nicht, bevor sie sprachen? Über sowas konnte ich nur den Kopf schütteln.

Ich schwieg auch, weil ich mich teils in meiner Haut unwohl fühlte. Irgendwie verstand mich keiner, warum sollte ich überhaupt reden? Es gab doch seine Gründe.

Vor allem in letzter Zeit, geht es mir nicht so gut, seitdem mein Bruder ausgezogen ist. Nun war ich ganz alleine. Ich und meine Bilder. Er schenkte mir zum Abschied ein neues Notizbuch. Mit dem Unterschied, dass es zum ersten Mal Zeilen hatte.

»Versuche deine Gedanken aufzuschreiben. Ich weiß, du magst es nicht, über sie etwas preiszugeben, aber versuch es wenigstens.«

Sagte er und verschwand. Als ob es so leicht wäre..

LavendelregenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt