CHAPTER 1

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Jungkook

Ich hasse dieses Leben. Seine Menschen, seinen Lärm, sein Melodrama.
Ein Geschenk Gottes nannten es manche Fanatiker, als würde es manche Kinder nicht schon bei der Geburt zum Hungertod verurteilen, während andere einen goldenen Löffel den Arsch hochgeschoben bekamen.

Ich hasste, dass ich keines dieser privilegierten Kinder war, die an Weihnachten ein warmes Zuhause hatten und Geschenke größer als sie selber bekamen. Dass jeder Augenblick meines Lebens ein Kampf ums Überleben in New Yorks Dschungelcamp war.

Ich hasste, dass unsere Eltern uns nicht dieses privilegierte Leben ermöglicht haben, sondern in einer der teuersten Städte dieses beschissenen Landes dem Amerikanischen Traum nacheiferten.
Verblendete, perspektivlose Idioten.

»Hee-yah! Schieb deinen Arsch endlich aus dem Bad, wenn du nicht willst, dass ich alleine fahre!«

»Fahr doch von mir aus, nicht jeder scheißt auf sein Aussehen, Arschloch!«

Aggressiv trat ich gegen die Tür zum Bad.

»Ich lasse dich nicht wie 'ne Schlampe durch die Straßen ziehen! Wenn du überfallen wirst, trag ich die Schuld!«

»Fick dich doch, Jeon! Sorg dich um deinen eigenen Kram!«

Ja, nach über zwei Jahrzehnten auf diesem Planeten lernte ich vieles zu hassen.
War ich verbittert? Womöglich. Aber das Leben hatte sich auch keine Mühe gegeben, dies zu ändern.

Ein träges Seufzen verließ meine Lippen und erschöpft sank ich mit der Stirn gegen die Tür.
Sie war nur zwei Jahre jünger als ich und trotzdem verhielt sie sich wie ein Kind.

Sie konnte nur so lange Kind bleiben, weil ich für uns beide erwachsen wurde. Aber nach so vielen Jahren gegeneinander anreden, war es eine pure Tortur. Ich verlangte keinen Orden als Bruder, doch manchmal würde ein einfaches ›Danke‹ meine Mühen nicht wie einen riesigen Haufen Affenscheiße aussehen lassen.

»Weißt du was? Von mir aus. Lass dich von Taehyung fahren.«

Ich hörte die Badezimmertür aufgehen, doch da hatte ich schon den Griff in der Hand und zog die Tür zur Wohnung hinter mir zu.
Wütend kramte ich in meiner Jackentasche nach meiner zerknüllten Packung Kippen und dem billigen Feuerzeug.

Meine Füße trugen mich aus dem schäbigen Apartmentkomplex in eine Seitengasse.
Bis auf eine graue Plane war die Gasse leer. Ich musste grinsen.

Was sie zu verbergen hatte, war mein ganzer Stolz. Eine alte, getunte Harley Davidson, die eigentlich für den Schrotthaufen war. Der Besitzer hatte sie zur Reparatur in der Autowerkstatt aufgegeben, aber nie abgeholt. Kein Wunder, wenn der Wert der Maschine mit all den ersetzten Teilen praktisch auf null sank.

Mein Boss hatte sie mir zum Achtzehnten überlassen, nach fast zwei Jahren, die ich in der Werkstatt aushalf. Der alte Herr müsste mittlerweile in Rente gegangen sein, sein arschiger Sohn hat sie höchstwahrscheinlich übernommen.
Ich war froh, dass ich davor den Job losgeworden bin. Die Bezahlung war lausig.

Mein Grinsen wuchs, als ich den schnurrenden Motor hörte und das Leder meiner Handschuhe über die Gummigriffe knirschte.
Brooklyns Nachtleben ist einer der wenigen Quellen, die das Leben in mir nicht ausbrennen ließ. Die Lichter der Stripbars, der Cafés und snobigen Hipsterclubs.

Alle Arten von Menschen sammelten sich in diesem Teil New Yorks, wurden von dem vibrierenden Lifestyle angezogen, der so viel näher wirkte, als es das Leben zwischen Manhattans hundert-stöckigen Bankentürmen je könnte.
Hier achtete niemand darauf, ob du von hier warst oder nicht. Jeder lebte in seiner kleinen Welt, die sich gelegentlich in den Straßen Brooklyns überlappte.

BROOKLYN BOY | 𝑗𝑖𝑘𝑜𝑜𝑘Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt