Kapitel 11

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»So Miss Miller, wie weit sind Sie mit ihrer Abschlussarbeit?« Ein Dozent stellt sich vor meinen Schneiderplatz und sieht mich erwartungsvoll an. Ich bin gerade dabei, mich am Laptop durch verschiedene Stoffarten und Muster zu klicken. Ich schiebe meinen Computer zur Seite und lege mein Skizzenbuch vor ihm hin.

Gespannt halte ich die Luft an, während er durch die Entwürfe blättert.

»Was ist der Gedanke dahinter?« Er tippt mit dem Zeigefinger auf mein Skizzenbuch.

»Naja, ich möchte gern aufzeigen, wie Mode die Rolle der Frau verändert hat. Ich möchte Vergangenes mit Gegenwärtigem und Zukünftigen vermischen und...«

»Soll ich ehrlich zu Ihnen sein?«, unterbricht er mich. Mit einem unguten Gefühl im Magen nicke ich. »Reißen Sie die Blätter raus, werfen Sie die Entwürfe weg und beginnen Sie von vorne.« Wow, die Ansage sitzt. Ich spüre, wie mir das Herz in die Hose rutscht und ich mich total vor den Kopf gestoßen fühle.

»Aber ich...«, beginne ich, obwohl ich nicht genau weiß, was ich sagen will.

»Sie sind eine der Besten, Miss Miller. Dennoch gehen Sie immer auf Nummer sicher. Wir wollen keinen Querschnitt der Modegeschichte sehen. Auch wenn Sie diese hier und da mit neuen Elementen geschmückt haben, bleibt es einfach eine alte Grundidee. Überraschen Sie uns, seien Sie innovativ und mutig. Kurz gesagt, zeigen Sie uns in Ihrer Abschlussarbeit, wer Sie als Designerin sind. Gehen Sie weg von den sicheren Sachen und trauen Sie sich etwas.«

»Sind die Entwürfe so schlecht?«, frage ich niedergeschlagen.

»Das habe ich nicht gesagt. Sie sind solide. Sie würden damit auf alle Fälle bestehen. Aber ist es das, was Sie wollen? Reicht Ihnen eine solide Leistung, oder wollen Sie etwas Herausragendes? Stellen Sie sich selber immer wieder diese Frage.« Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich fühle mich gerade einfach nur extrem demotiviert. Ich war so von meiner Idee überzeugt. Mir kam nicht einmal in den Sinn, dass es meine Professoren und Dozenten vielleicht nicht gut finden könnten.

Mit einem dicken Kloß im Hals starre ich auf mein aufgeschlagenes Skizzenbuch. Es zeigt einen Entwurf für eine moderne Version eines weiblichen Musketiers – enge schwarze Hosen, eine Art Korsagenbluse mit Volants an den Ärmeln und am Saum. Mein Dozent drückt kurz meine Schulter und geht dann weiter zum nächsten Arbeitstisch, um sich dort den Fortschritt anzusehen.

Langsam blättere ich durch das Buch. Ich versuche es mir mit seinen Augen anzusehen und ich muss ihm leider ein Stück weit rechtgeben. Die Arbeiten sind nicht schlecht oder wie er es gesagt hat – solide. Aber es ist nichts herausragendes. Seufzend schließe ich es. Mit dem Zeigefinger fahre ich den Titel nach, den ich kunstvoll vorne drauf geschrieben habe – Abschlussarbeit. Das wird meine bisher wichtigste Arbeit werden. Ich werde damit nicht nur mein Diplom machen, sondern es wird auch die Kollektion sein, auf die potentielle Arbeitgeber schauen werden. Natürlich werden sie sich auch meine anderen Kleider ansehen, aber das Hauptaugenmerk wird darauf liegen. Ich muss aus meiner Komfortzone heraus, ob es mir nun gefällt oder nicht. Später werde ich dies auch immer wieder tun müssen. Wenn ich eine erfolgreiche Designerin werden will, reicht es nicht, dass ich halbwegs gute Ideen habe und das ganze sogar noch zusammenschneidern kann – ich muss immer wieder neu erfinden, denn nur so kann ich es schaffen, aus der schier unendlichen Masse herauszustechen.

Ich nehme einen Stift und streiche den Titel auf dem Buchcover durch. Anschließend hole ich, aus meiner Tasche, ein neues Skizzenbuch hervor. Warum ich es heute Morgen eingepackt habe, weiß ich nicht. Entweder war ich noch total durch den Wind von all den Dingen, die gestern geschehen sind, oder ich habe es irgendwie geahnt, dass ich es brauchen werde.

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