Die Sonne scheint durch die großen bodentiefen Fenster. Sie geben den Blick in den Garten frei. Seit zwei Wochen leben wir jetzt in unserem neuen Haus. Der Entwurf dafür war Matts Abschlussarbeit. Er hat, so wie sein Vater für seine Mutter ein Haus entworfen und gebaut hat, eines für mich entworfen.
Ich nehme mir einen Tasse Kaffee und atme den wundervollen Duft ein. Trevor liegt auf seiner Spieldecke und brabbelt munter auf sein Lieblingsstofftier ein.
»Morgen.«, brummt Matt, als er ebenfalls die offene Küche betritt. Er sieht total verschlafen aus und die Haare stehen ihm vom Kopf ab.
Wortlos halte ich ihm meine Tasse hin. Mit einem dankbaren Blick nimmt er sie mir ab und trinkt einen großen Schluck.
»Was für eine Nacht.«, seufzt er.
»Jede schlimme Nacht, die hinter uns liegt, ist eine weniger.«, versuche ich ihn aufzumuntern. Im Großen und Ganzen schläft Trevor eigentlich durch. Aktuell zahnt er aber wieder – Backenzähne und lass es mich so ausdrücken, würden wir uns nicht abwechseln, würde einer von uns gar keinen Schlaf bekommen. Trevor kommt aktuell nur auf dem Arm zur Ruhe. Sobald wir versuchen, ihn abzulegen, oder wir uns hinsetzen, wird er wach und beginnt zu weinen.
Ich nehme mir eine neue Tasse Kaffee und in stillem Einvernehmen genießen wir den ersten Shot Koffein des Tages. Es wird nicht der Letzte sein.
»Wann kommst du heute nach Hause?«, frage ich Matt, als ich das Gefühl habe, dass er halbwegs ansprechbar ist.
»Es wird etwas später werden. Ich habe heute Nachmittag ein Treffen mit einem Auftraggeber. Was steht bei dir an?«
»Justin wollte vorbeiqükommen und die neuen Entwürfe besprechen. Er kann sich einfach nicht festlegen, was seinen Anzug betrifft. Felicity war da schon entscheidungsfreudiger. Ihr Brautkleidentwurf ist fertig. Ich gebe die finale Fassung morgen in die Schneiderei. Dabei wollen wir gleich die Stoffe festlegen.« Du hast richtig gehört. Justin und Felicity werden heiraten. Nächstes Jahr im Sommer ist es soweit. Du fragst dich vielleicht, ob Matt und ich bereits verheiratet sind – da muss ich dich leider enttäuschen. Bis jetzt hat er mir noch keinen Antrag gemacht. Natürlich könnte auch ich den ersten Schritt machen. Aber da bin ich einfach altmodisch. Oh Mann, ich erzähle die ganze Zeit hier von Trevor, dabei habe ich ihn dir noch gar nicht richtig vorgestellt. Wie du dir denken kannst, ist er unser Sohn. Er ist jetzt ein Jahr und drei Monate alt. Allen Befürchtungen zum Trotz haben wir unseren Alltag super koordiniert bekommen. Es war anfangs, kurz nach der Geburt, echt nicht leicht. Wir mussten uns erst zurechtfinden. Aber dank Carls genialer Idee, meine Abschlussarbeit zu filmen und online zu stellen, wurde ich mit Aufträgen überhäuft. Inzwischen habe ich mir einen Namen in der Drag Queen Szene erarbeitet. Ich mache aber nicht nur Auftragsarbeiten. Seit einem Vierteljahr habe ich einen kleinen, aber feinen Onlineshop, in dem ich meine ganzen Kreationen zur Bestellung anbiete. Ein Großteil unseres Kellers ist als Lagerraum für mich ausgebaut worden.
Matt hat die Leitung der Firma seines verstorbenen Vaters übernommen. Seine Mom war erleichtert, als sie vom Leitungsposten zurücktreten konnte. Sie arbeitet immer noch im Büro und berät ihren Sohn in vielen Situationen. Eigentlich hatte Matt geplant sich langsam hochzuarbeiten. Doch durch die unerwartete Schwangerschaft mussten wir beide umplanen und schauen, wie wir gemeinsam unseren Lebensunterhalt verdient bekommen.
»Er ist manchmal so eine Diva.« Er lacht kurz über seinen Witz. Inzwischen weiß auch er, das Justin Ruby Star ist.
»Deine Mom wird heute Nachmittag kommen, sie wird mit Trevor spazieren gehen, während ich hoffentlich mit Justin Fortschritte mache. Würde ich unseren Sohn hier lassen, wäre mit Justin nichts anzufangen.« Immer wenn er hier ist, und er schaut oft vorbei, da ich nach wie vor seine exklusive Designerin bin, ist er total vernarrt in meinen kleinen Sohn. Was an und für sich nichts Schlechtes ist, aber mit ihm ist dann nichts anzufangen und wir treten nur auf der Stelle. Deshalb habe ich meine Strategie geändert – arbeitet er ordentlich mit mir zusammen, darf er anschließend mit Trevor spielen.
»Dada«, kräht es zu unseren Füßen. Vor Matt steht Trevor. Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, dass er inzwischen laufen kann. Zwar ab und zu noch etwas wackelig, aber er läuft.
Matt stellt seine Tasse zur Seite und hebt ihn hoch. Ich weiß nicht, wie du das siehst, aber mit unserem Sohn auf dem Arm sieht er verdammt sexy aus.
»Hast du mal wieder was von Maxine gehört?«, fragt er mich. Trevor kuschelt seinen Kopf in Matts Halsbeuge.
»Ich habe gestern Abend mit ihr telefoniert. Sie lebt sich langsam in Montreal ein. Es wird sicher noch etwas dauern, bis sie sich heimisch fühlt. Die Trennung von Justine hat sie echt getroffen.« Meine geliebte Schwester ist aktuell auf der Flucht. Nicht das, was du gleich denkst, sie hat kein Verbrechen oder so begangen, viel mehr ist sie auf der Flucht vor sich selber und ihren Gefühlen. Anfang letzten Monats hat sich Justine von ihr getrennt. Die Fernbeziehung, die sie in letzter Zeit geführt haben, hat dazu geführt, dass sich Justines Gefühle für Max geändert haben. Für sie war es zum Schluss »nur« noch Freundschaft. Es war für uns alle ein Schock, als wir es erfahren haben. Aber was will man machen? Ich hoffe nur, das Max in Montreal glücklich wird. Justine hat Mitte letzten Jahres ihr Studium abgebrochen und den Schritt gewagt, ihren Traum von der Make up Artist Ausbildung zu verwirklichen. Seitdem lebt sie in Los Angeles und arbeitet bei einem namenhaften Artist. Trotz der Trennung von Max habe ich ein gutes Verhältnis zu ihr und wir telefonieren mindestens einmal die Woche miteinander.
»So gern ich weiter mit dir kuscheln würde, ich muss duschen.« Matt küsst Trevors weichen schwarzen Haarschopf und reicht ihn mir rüber. Er legt seine Ärmchen um meinen Hals und kuschelt sich an mich.
»Er wird bestimmt gleich einschlafen.« Matt beugt sich zu mir runter und küsst mich sanft.
»Dann drück mir die Daumen, dass ich mich dann wenigstens mit ihm mal setzen kann.«
»Mach ich.« Wieder küsst er mich. »Denk daran, morgen Abend gehörst du mir.«, raunt er mit kehliger Stimme.
»Wenn er weiter so zahnt, dann wohl eher nicht.«
»Vergiss es Shannon, deine Mom und Frank werden das hinbekommen. Das Waldhaus gehört für eine Nacht nur uns beiden.« Er beginnt damit, kleine Küsschen auf meiner Halsbeuge zu verteilen. Ich bekomme am ganzen Körper eine Gänsehaut und das Verlangen breitet sich in mir aus wie glühende Lava. Die Zeit für Zweisamkeit war in letzter Zeit echt rar und wir planen die Nacht schon sehr lange.
Matt grinst mich dreckig an, da er ganz genau weiß, was in mir vorgeht und dreht sich um, um unter die Dusche zu gehen.
Ich habe es tatsächlich geschafft, mich mit dem schlafenden Trevor auf die Couch zu legen. Er liegt auf dem Bauch auf meinem Oberkörper und schnarcht leise vor sich hin. Ich habe mir vorgenommen, wenigstens solange wach zu bleiben, bis Matt sich auf den Weg ins Büro macht. Aber der Schlafentzug der letzten Nächte fordert ihren Tribut und wenige Minuten nach meinem Sohn bin auch ich eingeschlafen.
Hätte ich da gewusst, was auf mich zukommt, hätte ich nicht so ruhig geschlafen und wäre total nervös gewesen. Was ich nicht wusste, war, dass mir Matt in unserer Nacht im Waldhaus einen total romantischen und intimen Heiratsantrag macht. Dass wir sogar noch vor Justin und Felicity heiraten. Ich habe nicht geahnt, dass unser Hochzeitstag ein wundervoller Tag voll Liebe und Wiedervereinigung wird. Denn als sich Max und Justine an diesem Tag nach langer Zeit wiedersahen, flammten alte Gefühle auf und sie fanden wieder zusammen. Ich habe auch nicht geahnt, dass neun Monate nach unserer Hochzeit unsere Tochter Melissa zur Welt kommt und dass ein kleiner Welpe, der schnell zu einem großen, total liebenswerten und tollpatschigen Hund wird, unser aller Leben auf den Kopf stellt und so manches Chaos anrichtet. Nur gut, dass ich all das nicht wusste, denn sonst hätte ich nicht ruhig schlafen können.
- ENDE-
Es ist toll ein Projekt abzuschließen. Aber gleichzeitig bin ich traurig. Bedeutet es doch lieb gewonnene Protagonisten ziehen zu lassen. Vielen Dank an meine Korrekturleserin, die mich sehr unterstützt hat. Ohne sie hätte ich diese Geschichte wahrscheinlich nie zu Ende gebracht. Mein allerherzlichster Dank gehört auch meinen Lesern. Vielen Dank fürs Lesen!!!!
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Best Friend, or more?
RomanceShannon ist Anfang zwanzig. Sie studiert in ihrem letzten Semster Moddesign an der Yale University (eigentlich wollte sie zu Parson's in New York, aber das hatte nicht geklappt). Ihr bester Freund Matt studiert ebenfalls hier. Sie kennen sich seit d...