Kapitel 27 ✔️

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L U N A

Dumbledore stand auf.
Einen Moment lang sah er mit angewidertem Gesicht auf Barty Crouch hinunter.
Dann hob er den Zauberstab.
Seile flogen aus der Spitze des Stabs hervor, schlangen sich um Barty Crouch und fesselten ihn straff.
Er wandte sich an Professor McGonagall.
„Minerva, würden Sie bitte Crouch bewachen, während ich Harry und Luna nach oben bringe?"
„Natürlich.", sagte Professor McGonagall.
Ihr schien ein wenig übel zu sein, als hätte sie gerade gesehen, wie sich jemand erbrach.
Doch als sie den Zauberstab herauszog und ihn auf Barty Crouch richtete, war ihre Hand vollkommen ruhig.
„Severus", sagte Dumbledore zu Snape gewandt, „weisen Sie bitte Madame Pomfrey an, nach oben zu kommen. Wir müssen Alastor Moody in den Krankenflügel schaffen. Dann gehen Sie hinunter aufs Gelände, suchen Cornelius Fudge und bringen ihn ebenfalls hoch in dieses Büro. Zweifellos wird er Crouch persönlich verhören wollen. Sagen Sie ihm, er kann mich in einer halben Stunde im Krankenflügel finden, falls er mich braucht."
Snape nickte stumm, sah nochmal kurz zu mir, und rauschte hinaus.
„Harry? Luna?", sagte Dumbledore freundlich.
Harry stand auf und geriet ins Wanken.
Ich bemerkte auch, dass er am ganzen Leib zitterte.
Dumbledore und ich nahmen ihn am Arm und halfen ihm hinaus auf den dunklen Korridor.
„Ich möchte, dass ihr zunächst einmal mit in mein Büro kommt.", flüsterte Dumbledore, während wir über den Gang liefen. „Sirius erwartet uns dort."
„Professor", murmelte Harry, „wo sind Mr. und Mrs. Diggory?"
„Sie sind bei Professor Sprout.", sagte Dumbledore.
Seine Stimme, die während der Befragung von Barty Crouch so ruhig gewesen war, zitterte jetzt erstmals ein wenig.
„Sie ist die Leiterin von Cedric's Haus und sie kannte ihn am besten."
Wir hatten den steinernen Wasserspeier erreicht.
Dumbledore nannte das Passwort, der Wasserspeier sprang beiseite, und wir folgten Dumbledore die Wendeltreppe hoch bis vor die Eichentür.
Dumbledore stieß sie auf.
Drinnen stand Dad.
Sein Gesicht war weiß und ausgemergelt, wie damals, als er Askaban entkommen war.
Er brauchte nur einen Moment, um das Zimmer zu durchqueren.
„Harry, Luna, alles gut? Ich wusste es - ich wusste, so etwas würde - was ist geschehen?"
Mit zitternden Händen half er Harry auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch.
„Was ist geschehen?", fragte er nun drängender.
Dumbledore begann ihm alles zu berichten, was Barty Crouch gesagt hatte.
Ich hörte ein leises Flügelschlagen.
Fawkes, der Phönix, hatte seine Vogelstange verlassen, war durchs Büro geflogen und hatte sich auf Harry's Knie niedergelassen.
„'lo, Fawkes.", sagte Harry leise.
Er streichelte das wunderschöne scharlachrote und goldene Federkleid des Phönix.
Fawkes blinzelte ihn freundlich an.
Etwas Tröstliches ging von diesem warmen Vogelleib aus.
Dumbledore hatte aufgehört zu sprechen.
Er saß hinter seinem Schreibtisch, Harry gegenüber.
Er sah Harry an, doch Harry mied seinen Blick.
Dumbledore wird ihn sicher ausfragen und Harry würde alles noch einmal durchleben müssen.
„Ich muss wissen, was geschehen ist, nachdem du den Portschlüssel im Irrgarten berührt hattest, Harry.", sagte Dumbledore.
„Können wir das nicht auf morgen verschieben, Dumbledore?", fragte Dad schroff. „Lass ihn die Nacht darüber schlafen. Lass ihn ausruhen."
Dumbledore achtete nicht auf Dad's Worte.
Er beugte sich zu Harry vor.
Harry hob den Kopf und sah Dumbledore an.
„Wenn ich glaube, ich könnte dir helfen", sagte Dumbledore sanft, „indem ich dich in einen Zauberschlaf versetze und es dir erlaube, den Zeitpunkt zu verschieben, an dem du daran denken musst, was heute Abend geschehen ist - dann würde ich es tun. Aber ich weiß, es hilft nicht. Den Schmerz für eine Weile zu betäuben, heißt nur, dass er noch schlimmer ist, wenn du ihn schließlich doch spürst. Du hast mehr Tapferkeit bewiesen, als ich je von dir hätte erwarten können. Ich bitte dich, deinen Mut noch einmal zu beweisen. Ich bitte dich, uns zu schildern, was geschehen ist."
Der Phönix gab einen leisen, tremolierenden Ton von sich.
Der Ton schwebte durch die Luft.
Harry holte tief Luft und begann zu erzählen.
Er erzählte von dem Elixier, das Voldemort wieder belebt hatte; von den Todessern die zwischen den Gräbern im Umkreis apparierten; und von Cedric.
Als Harry berichtete, wie Wurmschwanz ihm den Arm mit einem Dolch aufgeritzt hatte, stieß Dad einen entsetzten Schrei aus, und Dumbledore sprang so schnell auf, dass Harry und ich zusammenzuckten.
Er kam um den Schreibtisch herum und bat Harry, den Arm auszustrecken.
Harry zeigte uns die Stelle, an der sein Umhang aufgeschlitzt war, und den Schnitt in der Haut darunter.
„Er sagte, mein Blut würde ihn stärker machen als das Blut irgendeines anderen.", berichtete Harry. „Er sagte, der Schutz, den - den meine Mutter mir hinterlassen hat - er würde ihn nun auch besitzen. Und er hatte Recht - er konnte mich anfassen, ohne sich zu verletzen, er hat mein Gesicht berührt."
Dumbledore ging wieder hinter den Schreibtisch und setzte sich.
Er wirkte ungewohnt alt und müde.
„Nun denn.", sagte er und setzte sich. „Voldemort hat dieses eigentümliche Hindernis überwunden. Fahr bitte fort, Harry."
Harry erzählte weiter; er schilderte, wie Voldemort dem Kessel entstiegen war, und alles, was er von Voldemorts Rede an die Todesser noch im Kopf hatte.
Dann berichtete er, dass Wurmschwanz ihm die Fesseln gelöst und den Zauberstab zurückgegeben und Voldemort ihn zum Duell aufgefordert hatte.
Doch als es dann daranging zu erzählen, wie der goldene Lichtstrahl die beiden Zauberstäbe verbunden hatte, brach Harry ab.
Dad durchbrach die Stille.
„Die Zauberstäben verbanden sich miteinander?", sagte er und ließ den Blick von Harry zu Dumbledore wandern. „Warum?"
Harry sah zu Dumbledore auf, dessen Gesichtszüge starr geworden waren.
„Priori Incantatem.", murmelte er.
„Der Fluchumkehr-Effekt?", fragte ich erstaunt.
Ich hatte mal darüber in einem Buch gelesen.
„Genau.", sagte Dumbledore. „Harry's und Voldemorts Zauberstäbe sind im Kern gleich. Jeder enthält eine Feder vom Schweif desselben Phönix. Von diesem Phönix, um es klar zu sagen.", fügte er hinzu und deutete auf den rotgoldenen Vogel, der friedlich in Harry's Schoß kauerte.
„Die Feder meines Zauberstabs stammt von Fawkes?", fragte Harry verblüfft.
„Ja.", sagte Dumbledore. „Sobald du vor vier Jahren den Laden verlassen hattest, schrieb mir Mr. Ollivander, du hättest den zweiten Zauberstab gekauft."
„Und was geschieht, wenn ein Zauberstab auf seinen Bruder trifft?", fragte Dad.
„Gegeneinander wirken sie nicht wie sonst.", sagte Dumbledore. „Wenn die Besitzer jedoch ihre Zauberstäbe zwingen, gegeneinander zu kämpfen... dann kommt es zu einer sehr seltenen Erscheinung. Einer der Zauberstäbe zwingt den anderen, die Flüche, die er ausgeübt hat, noch einmal gleichsam auszuspeien - und zwar in umgekehrter Reihenfolge. Den letzten Fluch zuerst... und dann die anderen, die ihm vorausgingen..."
Er sah Harry fragend an und Harry nickte.
„Das heißt.", fuhr Dumbledore langsam und mit unverwandtem Blick auf Harry fort. „Cedric muss in irgendeiner Gestalt wieder erschienen sein."
Harry nickte erneut.
„Diggory ist also ins Leben zurückgekehrt?", sagte Dad scharf.
„Kein Zauber kann die Toten wieder erwecken.", sagte Dumbledore mit belegter Stimme. „Alles, was geschehen konnte, war eine Art Echo des Vergangenen. Ein Schatten des lebenden Cedric muss aus dem Zauberstab ausgetreten sein... stimmt das, Harry?"
„Er hat zu mir gesprochen.", sagte Harry.
Plötzlich zitterte er wieder.
„Der... der Geist von Cedric oder was es war, hat gesprochen."
„Ein Echo", sagte Dumbledore, „das Cedric's Erscheinung und Wesen in sich barg. Ich vermute, es sind noch mehr derartige Gestalten erschienen... frühere Opfer von Voldemorts Zauberstab..."
„Ein alter Mann.", sagte Harry. „Bertha Jorkins. Und..."
„Deine Eltern?", sagte Dumbledore leise.
„Ja.", sagte Harry.
Dad verkrampfte sich hinter mir.
Ich umschloss meine Hand mit seiner.
„Die letzten Morde des Zauberstabs.", sagte Dumbledore kopfnickend. „In umgekehrter Reihenfolge. Natürlich wären noch mehr erschienen, wenn du die Verbindung gehalten hättest. Nun gut, Harry, diese Echos, diese Schatten... was taten sie?"
Harry erzählte, dass die Gestalten aus dem Zauberstab am Rand des goldenen Netzes entlang Wache gegangen waren, dass Voldemort offensichtlich Angst vor ihnen gehabt hatte, dass der Schatten seines Vaters ihm gesagt hatte, was er tun sollte, und Cedric seine letzte Bitte ausgesprochen hatte.
An diesem Punkt angelangt, konnte Harry nicht mehr weitersprechen.
Er wandte sich zu Dad und mir.
Dad hatte das Gesicht in den Händen verborgen.
Dann bemerkte Harry plötzlich, dass Fawkes nicht mehr auf seinem Schoß saß.
Der Phönix war zu Boden geflattert.
Er schmiegte seinen schönen Kopf an Harry's verletztes Bein, und dicke, perlene Tränen fielen aus seinen Augen auf die Wunde.
Die Haut heilte zu.
Sein Bein war wieder gesund.
„Ich muss es noch einmal wiederholen.", sagte Dumbledore, während der Phönix in die Luft stieg und sich wieder auf der Stange neben der Tür niederließ. „Du hast heute Abend mehr Tapferkeit bewiesen, als ich je von dir hätte erwarten können, Harry. Du hast die gleiche Tapferkeit bewiesen wie jene, die im Kampf gegen Voldemort auf dem Höhepunkt seiner Macht gestorben sind. Du hast die Last eines erwachsenen Zauberers geschultert und bewiesen, dass du sie tragen kannst - und nun hast du uns auch alles gegeben, was wir zu Recht von dir erwarten konnten. Wir gehen jetzt zusammen in den Krankenflügel. Ich möchte nicht, dass du heute Nacht in den Schlafsaal gehst. Ein Schlaftrunk, ein wenig Ruhe... Sirius, würdest du gerne bei ihm bleiben?"
Dad nickte und stand auf.
Er verwandelte sich in den großen schwarzen Hund zurück.
„Ich komme nicht mit. Ich gehe mich... ähm... etwas beruhigen.", sprach ich leise.
Dumbledore, Harry und Dad nickten.
Ich umarmte Harry und Dad zum Abschied.
Dad leckte mir zum Abschied über die Wange und kichernd verließ ich das Büro.
Ich lief zu den Kerkern, an die Stelle wo Draco und ich uns immer trafen.
Ich schickte Draco einen Patronus und wartete.
Wie soll ich das überstehen?
Cedric war wie ein großer Bruder für mich...
Ich fing erneut an zu Weinen und rutschte die Wand hinunter.
Plötzlich wurde ich hochgehoben und lehnte mich an die warme Brust.
„Wir gehen in meinen Schlafsaal.", flüsterte Draco und ich nickte.
Draco liefen durch verschiedene Gänge bis er vor einer Wand stehen blieb, etwas murmelte, die Wand glitt zur Seite und wir betraten den Slytherin-Gemeinschaftsraum.
Draco lief in seinen Schlafsaal und legte mich sanft auf seinem Bett ab, bevor er sich neben mich legte und ich mich an ihn kuschelte.
„Ich bin für dich da.", murmelte Draco und strich mir sanft durch mein Haar.
„Für immer?", fragte ich leise.
„Immer."

Luna Black 4 - Harry PotterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt