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Jisung PoV

Je mehr Zeit ich mit Minho verbrachte, desto mehr bemerkte ich, wie meine Gedanken immer weniger wurden. Sie waren immer noch da und würden auch immer da bleiben, aber inzwischen wussten alle meine Freunde davon, sodass ich meine Gedanken einfach aussprechen konnte. Daraufhin wurde von ihnen meistens einfach nur ein blöder Spruch geklopft und dann wurde ich immer mehr von den Gedanken weg getragen. Die anderen Teile meiner Zwangsstörung waren nach wie vor präsent, aber auch mit ihnen lernte ich im Moment immer besser umzugehen. Auch wenn ich Minho damit gelegentlich ein bisschen wahnsinnig machte.

So wie heute wieder. Wir waren gerade vor meine Haustür getreten, weil wir einen Spaziergang machen wollten, als sich meine Augen schlagartig weiteten.

"Hab ich meine Schlüssel?", fragte ich panisch und begann sofort meine Hosentaschen zu durchsuchen.

"Vorne links. Da wo sie immer sind.", antwortete er. Ich ließ meine Hand in meine Hosentasche vorne links wandern und spürte sofort das kalte Metall meines Schlüssels, was mich beruhigt ausatmen ließ und mir einen kurzen Moment Ruhe gab, bis mir einfiel, dass ich gar nicht wusste, ob meine Schränke zu waren. In einem davon hatte ich vor einiger Zeit Süßigkeiten gebunkert, falls Minho oder ich Lust auf einen Mitternachtssnack bekamen, und ich wollte nicht, dass Donghyun das mitbekam. Was das anging, hatte mich meine Mutter damals nämlich ziemlich abgeschreckt.

"Ist der-", begann ich, doch Minho wusste bereits, woran ich dachte. Wir spielten diese Unterhaltung jedes Mal durch, wenn wir raus gingen. Meinen Schlüssel hatte ich immer noch umklammert, um mich nicht ständig versichern zu müssen, dass er tatsächlich noch da war.

"Schrank zu? Ja, ist er. Wir haben ihn nichtmal geöffnet, Baby."

"Und die Schreibtischschubladen?"

"Hast du auch nicht geöffnet."

"Sicher?"

"Ganz sicher."

"Okay..."

Ich glaubte Minho, dass es so war. Warum sollte er mich auch anlügen? Aber dennoch schrie alles in mir danach, nochmal in mein Zimmer zu rennen und nach zu sehen. Was wenn er sich doch täuschte? Dann würde es alles nur wieder schlimmer machen.

"Sungie."

Ich sah zu ihm und bemerkte sofort das Handy, das er mir entgegen hielt. Darauf zu sehen war ein Bild von meinem Zimmer. Alles war zu und stand an seinem Platz.

"Siehst du? Alles ist genauso, wie es sein muss. Kein Grund zur Panik."

Noch ein paar Mal ließ ich meine Augen über das Bild wandern, ehe ich tatsächlich beruhigt sein konnte.

"Danke.", lächelte ich und gab ihm einen Kuss. "Ich liebe dich."

"Ich dich auch. Dich und deine komischen Tiks.", meinte er scherzhaft.

"Hm.", brummte ich beleidigt und stieß ihn mit meiner Schulter an. "Und ich dich und deine seltsame Art, deine Liebe für mich zu zeigen."

Er lachte nur und griff dann nach meiner Hand, um unsere Finger miteinander zu verschränken und los zu gehen.

"Du weißt, dass ich dich niemals komisch finden könnte, oder?"

"Ich weiß.", lächelte ich. "Erinnerst du dich eigentlich noch, was du damals zu mir gesagt hast? Mit den Farben?"

"Ja, ich erinnere mich. Wieso?"

"Weil du mich Farben sehen lässt, die ich noch nie gesehen habe. Farben wärmer als das wärmste Rot und tiefer als das tiefste Blau. Froher als das hellste Gelb und schöner als jedes Violett. Und mit jedem Tag, den wir zusammen verbringen, kann ich diese Farben besser sehen. Ich wusste nicht, dass es so schön sein kann zu lieben... Oder zu leben..."

"Oh, Baby...", hauchte er und blieb stehen, um mich in den Arm zu nehmen. Ich schmuste mich an ihn und fühlte mich sofort wohl. Immer wenn er mich in den Arm nahm, konnte ich mich geborgen fühlen. Als würde er mich vor allem beschützen, was noch kommen könnte.

"Danke, dass du mich wieder glücklich machst."

Er antwortete nicht, sondern drückte mich nur noch näher an sich und vergrub sein Gesicht in meiner Halsbeuge.

"Minho? Alles gut?"

"Ich bin nur... überfordert...", antwortete er ehrlich. "Also positiv überfordert. Natürlich habe ich gehofft, dass ich dir helfen kann, aber das zu hören... Fühlt sich wunderbar an. Dann denkst du, ich bin ein guter Freund für dich?"

"Gut? Babe, du bist der beste.", lächelte ich breit und nahm sein Gesicht in meine Hände, um mit meinen Daumen über seine Wangen zu streichen. Dann gab ich ihm einen kurzen sanften Kuss. "Lass uns wieder nach Hause. Ich bin gerade in Kuschellaune."

"Noch einen Moment, Ji. Ich will das hier noch auskosten."

Er legte seine Lippen wieder auf meine und küsste mich liebevoll. Ich erwiderte und knabberte zärtlich an seiner Lippe. Inzwischen wusste ich nämlich, wie gut ihm das gefiel.

"Und? Welche Farbe war das?", fragte er und lehnte seine Stirn an meine.

"Der ganze Regenbogen."

"Weil wir gay sind?", grinste er.

"Nein, weil ich mir nicht vorstellen könnte, dass es noch andere Farben zu sehen gibt, als die unzähligen, die du mich sehen lässt."

Wieder antwortete er nicht, sondern küsste mich nur. Und wieder bekam ich nicht genug von seinen wunderschönen Farben, an denen ich mich nie sattsehen könnte.

++-Ende-++

From a stay living in black, white and gray.

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Erklärungszeit, weil ich denke, dass das dieses Mal ziemlich dringend nötig ist.

Disclaimer: Wenn euch auffällt, dass ich etwas falsch erklärt habe, dann weißt mich ruhig darauf hin. Ich mache das nicht professionell und hatte nur das Internet und meine eigenen Erfahrungen als Informationsquelle. Und bitte denkt daran, dass das Internet keine Diagnosen stellt. Die Erklärung dient nicht zur Selbstdiagnose sondern dafür, dass alle offenen Fragen geklärt werden können. Wenn also noch Fragen da sind: Fragt einfach.

Jisung hat hier Probleme mit einer Art von Zwangsstörung wie bereits erwähnt. Ich denke mal, mit dem Prinzip einer Zwangsstörung sind die meisten von euch inzwischen bekannt.
Seine besteht allerdings vor allem aus Gedanken, die er selbst nicht kontrollieren kann (intrusiven Gedanken) und nicht ausschließlich aus Dingen wie Kontrollzwang. Sein Unterbewusstsein pflanzt ihm also Bilder in den Kopf, die er selbst nicht sehen will, weil sie ihn denken lassen, dass er deshalb ein schlechterer Mensch ist.

Für diese Bilder gibt es manchmal bestimmte Trigger. Also wenn er ein Messer sieht oder in der Hand hat, sieht er Bilder davon, wie er andere damit verletzt und sieht sich dementsprechend als jemanden, der andere verletzen will, auch wenn das nicht stimmt.
Minho triggert ihn also auf gewisse Art und Weise. Bei ihm bekommt er diese Gedanken, die ihn denken lassen, dass er pervers ist und Minho nur sexualisiert. Es ist besonders am Anfang schwierig, diese Gedanken von den eigenen zu unterscheiden und besonders bevor man weiß, dass es sowas gibt, haben diese Gedanken eine enorme Wirkung auf einen.

Ausgelöst wird es normalerweise dadurch, dass die betroffene Person, hier Jisung, ein so geringes Selbstbewusstsein hat, dass er sich selbst unterbewusst schlecht macht, um sich so zu bestätigen, dass sein Selbstbewusstsein nicht zu Unrecht so tief ist. Es kann aber auch durch Angststörungen und Depressionen auftreten. Jisung ist sich dessen hier schon bewusst und kann so schon versuchen gegen diese Gedanken anzukommen.

Es ist also egal, dass er Minho vorher nicht kannte, weil diese Gedanken nicht seine tatsächliche sexuelle Anziehung zu Minho wiederspiegeln. Viele Menschen, die davon betroffen sind, haben auch solche Gedanken mit Kindern, weil sie sich selbst einreden, dass sie pädophil wären, auch wenn sie es nicht sind oder denken sie wären homosexuell, weil sie solche Gedanken mit Personen des gleichen Geschlechts bekommen. Mal noch als anderes Beispiel.

Die Wirklichkeit spielt bei solchen Gedanken also keine Rolle, weil die Gedanken die Wirklichkeit verdrehen wollen. Jisung ist sich von vorne rein klar, dass er nicht mit Minho schlafen will, aber sein Kopf gibt ihm diese Gedanken, um ihn so vor sich selbst als schlechtere Person darzustellen.

His truest colours || MinsungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt