02 | ava

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»Und dann nennt der mich noch rasende Reporterin! Kannst du dir das vorstellen?« Stöhnend vergrabe ich mein Gesicht in einem der Kissen auf dem Bett und möchte gern laut losschreien.

Nachdem ich mit Noah notgedrungen ein paar Sätze ausgetauscht und einen Termin für das erste Interview vereinbart habe, bin ich ohne große Umwege zu Sophie gefahren. Komischerweise hat sie schon auf mich gewartet, denn als ich mein Rad in den kleinen Vorgarten ihrer Eltern gestellt habe, hat sich die Tür geöffnet und sie stand mit einem neugierigen Ausdruck in ihren Augen auf der Türschwelle.

Ich habe mich, ohne etwas zu sagen, an ihr vorbeigequetscht und bin mit lauten Schritten, um schon einmal meiner Wut Ausdruck zu verleihen, die Treppen hoch ins Dachgeschoss gestampft.

Meine Freundin sitzt im Schneidersitz auf ihrem Lieblingsohrensessel und rührt mit einem amüsierten Lächeln in ihrem Iced Caffè Latte rum. Der Metallstrohhalm klirrt dabei ans Glas, doch ihr scheint es nichts auszumachen. Hauptsache plastikfrei, wie Sophie immer predigt.

»Komm, so schlimm war es bestimmt nicht.«

Ohne hinzugucken, greife ich nach einem der vielen Kissen auf dem Bett und werfe es blind in Richtung Sophie, die sich lachend wegduckt. Dabei hält sie ihr Glas fest in der Hand, um ja nichts zu verschütten »Es war schlimmer als schlimm.«

Würde es nicht um meine Zukunft gehen, hätte ich Noah meinen Mittelfinger gezeigt und wäre mit erhobenem Haupt aus der Sporthalle gestapft. Dann hätte jemand anderes den Artikel schreiben können oder er wäre dieses Jahr ausgefallen. Mir egal.

»Warum hasst du Noah eigentlich so sehr? Er ist doch eigentlich ein ganz netter Kerl.« Ich wusste, dass diese Frage irgendwann mal kommen würde. Seufzend drehe ich mich auf den Rücken und starre an die weiße Decke und ich spüre ihren Blick auf mir liegen.

»Hassen ist ein mächtiges Wort ... Ich kann ihn nicht ausstehen, weil ...« Ja, warum bloß? Was damals passiert ist, hätte jedem passieren können. Jeder Mensch hätte es vergessen. Warum aber hat es sich so in mein Gedächtnis eingeprägt und diesen Schmerz hinterlassen? »Damals hat Noah neben mir gewohnt. Wir waren fünf oder sechs. Unsere Gärten waren direkt nebeneinander. Jeden Tag saßen wir draußen und haben uns Geschichten erzählt.« Meine angespannten Gesichtszüge lockern sich, als ich an die Zeit zurückdenke.

Alles war so unbeschwert und es gab nie wirkliche Probleme. »Noah meinte damals zu mir, dass wir für immer Freunde bleiben. Er hat mir sogar ein selbst geflochtenes Armband geschenkt. Plötzlich ... von einem Tag auf den anderen war er weg. Ich wusste nicht warum, meine Eltern konnten es mir auch nicht sagen. Neun Jahre später sehe ich ihn auf einmal an unserer Schule wieder.«

Ich weiß noch ganz genau, wie es war. Eigentlich wollte ich nur vom Deutschkurs rüber zum Geschichtskurs wechseln, als ich ihn mitten auf dem Schulflur stehen sah. Viele hätten andere nach neun Jahren nicht mehr erkannt. Aber ich schon. Ich hätte niemals die verwuschelten braunen Haare vergessen können. Oder das Lachen, worin immer ein unsicherer Unterton mitschwingt. So, als wüsste Noah nicht, ob er lachen oder still sein sollte.

»Und was ist dann passiert?« Gebannt nimmt Sophie einen großen Schluck von ihrem Getränk. Sie hat sich im Sessel vorgebeugt und scheint jedes Wort von mir zu verschlingen.

Ich zucke mit den Schultern und atme schwer aus.

»Ich bin zu Noah hingegangen. Wollte ‚Hallo' sagen und ihn fragen, wo er in der ganzen Zeit geblieben ist. Doch er hat mich keines Blickes gewürdigt. Als wäre ich Luft für ihn – nicht existent.« Ich beiße mir auf die Unterlippe. Diese Erinnerung schmerzt bis heute. Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, was ich erwartet habe. Ein Lächeln vielleicht? Als ich auf ihn zugelaufen bin, habe ich ein leichtes Funkeln in seinen Augen erkennen können und mein Herz ist ins Stolpern geraten. Doch so schnell, wie das Funkeln gekommen ist, hat sich auf einmal ein Schleier über seine Augen gelegt. Und plötzlich war ich Luft.

Chasing DreamsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt