20 | ava

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»... in achthundert Metern rechts abbiegen«, ertönt die blecherne Stimme aus den Autoboxen und ich setze den Blinker, wie mir die Frauenstimme gerade befohlen hatte. Neben mir sitzt ein aufgeregter Noah, der sich immer wieder mit zittrigen Fingern durch die Haare fährt und in der anderen Hand sein Handy festhält, worauf Connors Standort zu sehen ist.

Es ist mitten in der Nacht. Drei Uhr, um genau zu sein. Ich weiß nicht, was passiert ist, das konnte mir Noah nicht sagen, als er mich panisch in der Nacht angerufen hat. Seine Tante hat kein Auto und er hat nicht gewusst, wie er sonst zu Connor gelangen könnte. Das Auto, in welchem wir gerade sitzen und das ich lenke, ist nicht mein eigenes, sondern es gehört meinen Eltern. Dass ich womöglich später einen riesigen Anschiss dafür bekommen würde, schiebe ich gedanklich erst einmal ganz weit nach hinten.

Immerhin habe ich noch auf die Schnelle einen Zettel geschrieben und diesen sichtbar in der Mitte auf den Küchentisch gelegt.

Es ist ein Notfall.
Musste das Auto nehmen!
Erkläre es euch später.
- Ava

Es handelt sich hierbei anscheinend um einen Notfall und was wäre ich für eine Freundin, wenn ich Noah in dieser Situation nicht geholfen hätte? Ein Glück habe ich mein Handy angelassen und somit gehört, was mich aus meinem tiefen Schlaf gerissen hat. Ich bin beim Schlafengehen kurz davor gewesen, mein Handy auf Flugmodus zu stellen. Doch ich habe es nicht getan - war es, weil ich geahnt habe, dass etwas passieren wird?

Die Kieselsteine knirschen unter den Gummireifen, während ich vorsichtig das Auto über einen Schotterweg lenke. »Ist das ein altes Fabrikgelände?« Erstaunt ziehe ich meine Augenbrauen bis zum Haaransatz hoch und schalte das Fernlicht an, um besser sehen zu können. Nicht, dass uns noch etwas vors Auto läuft. Das wäre ja noch schöner.

»Scheint so ...«, murmelt Noah und tippt wie wild auf seinem Handy rum. Seine Augen wirken noch viel dunkler, das eigentlich sonst so schokoladige Braun gleicht fast einem tiefen Schwarz. Er ist, genauso wie ich, müde und komplett verwirrt.

Der Schotterweg endet und ich fahre auf das große Fabrikgelände drauf, das in der Nacht noch größer und gruseliger erscheint als am Tag. O Gott, fangen so nicht die meisten Horrorgeschichten an? Meine Finger umklammern stärker das Lenkrad, während ich mit Schrittgeschwindigkeit übers Grundstück tuckere.

Noah setzt sich gerader hin und beugt sich leicht übers Armaturenbrett. »Er müsste hier irgendwo sein.«

»Ist er allein?«, kommt die Frage plötzlich zwischen meinen Lippen hervor und ich schaue genauso verwirrt drein wie Noah, der sein Handy langsam sinken lässt. Seine braunen Augen mustern mich ein paar Sekunden lang. »Ja, warum sollte er nicht allein sein ...?«

Stille. Dann ein »Ava?«

Verdammt. Ich seufze. »Bevor du sauer wirst, ich wollte es dir sagen. Aber ich wollte, dass du dir nicht noch mehr Sorgen machst und -«

»Ava! Sag es einfach.« Grummelnd fährt sich Noah durch die Haare und ich bleibe stehen. Es ist nichts zu hören, außer das Laufen des Motors und das Rascheln der Bäume, während der Wind durch die Zweige streicht.

»Ich habe Connor vor knapp zwei Wochen mit einem Typen in einem unserer Klassenräume gesehen. Sie haben sich gestritten, ich konnte nicht genau verstehen, worum es ging. Aber Connor schien sauer zu sein und der Typ - keine Ahnung. Er war plötzlich überall.«

»Und das sagst du mir erst jetzt? Mensch, Ava!«

Unwohl schiebe ich meine Unterlippe zwischen die Zähne. »Es tut mir leid.«

Noah fasst sich mit Daumen und Zeigefinger an seine Nasenwurzel, schließt die Augen, atmet tief ein und stößt die Luft nach wenigen Sekunden lautstark aus. »Okay. Wir reden später noch einmal darüber, jetzt müssen wir Connor suchen. Mein Handy sagt mir, dass er hier sein muss.«

Chasing DreamsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt