Frierend sitze ich im Dunkel alleine auf der Bank. Ein kleines Mädchen läuft an mir vorbei und ich lächle sie an. Zitternd ziehe ich die Jacke enger und mich. Es ist bewölkt, vielleicht schneit es bald endlich. Ich lehne mich zurück und lasse meinen Gedanken freien Lauf. Irgendwann wurde es mir zu kalt und ich beschloss rein ins warme zu gehen, ich hatte genug gefroren. Drinnen angekommen verzog ich mich sofort in mein Zimmer. Meine Stimmung war im Keller, also steckte ich mir ein Stück Schokolade in den Mund. Und noch eins, und noch eins. Ich kaute kaum noch, ich schlang die Schokolade runter als hätte ich seit langem nichts mehr gegessen. Zugegeben, zu diesem Zeitpunkt war die letzte richtige Mahlzeit schon einiges her. Durstig setzte ich die Flasche an und trank. Dann aß ich weiter Schokolade. Schuldbewusst saß ich wie ein Mäuschen auf meinem Bett und brach in Tränen aus. Ana meldete sich und schrie mich an. „WIE KONNTEST DU NUR? WAS HAST DU DIR DABEI GEDACHT!? DU FETTES MISTSTÜCK DU, DAS WIRD DIR NOCH LEID TUN!" oh ja, es tat mir leid. Aber ich durfte mir doch vor den anderen nichts anmerken lassen, Ana Is a secret! Durstig trank ich den Rest der Flasche leer und wischte meine Tränen weg. In meinem Kopf ging ich das Abendessen durch, nach der Schokolade durfte ich eigentlich nichts mehr essen. Aber es durfte auch niemand mitbekommen das ich wieder hungerte. Angst stieg in mir hoch und klemmte meine Brust ab, ich bekam kaum noch Luft. Was sollte ich essen? Was war zu viel? Wie viel nicht auf das ich wenig aß? Ich entschloss mich für einen Alpro Pudding und ging zum Essen.Letzten Endes aß ich dich nur den halben und schmuggelte die andere Hälfte in den Müll. 50kcal, notiert. Mir war schlecht, vermutlich hatte ich mich zu allem Überfluss bei einer mitpatientin an Magen Darm angesteckt. Ich setzte schlecht gelaunt die Kopfhörer auf und stellte die höchste Lautstärke ein. „dies ist kein Abschied, denn ich war nie willkommen. Will auf und davon und nie wieder kommen[...]" tönte es laut aus den Kopfhörern. Mir wurde warm vor Stress. Mein Atem ging schnell. Ich drohte in Flashbacks abzurutschen.
Plötzlich spürte ich wieder den starken Griff an meinem Arm. Ich spürte die Hand die sich immer fester um meinen Arm schloss. Vor meinem inneren Auge sah ich seine eiskalten blauen Augen. Panik überkam mich und ich riss die Augen auf. Ich schüttelte meinen Arm, versuchte mir einzureden das dies nur in meiner Erinnerung existierte, aber der Druck auf meinem Arm wurde nicht weniger, im Gegenteil. Tränen liefen über meine Wangen, das Atmen wurde schwer. „Er ist nicht hier. Ich bin sicher. Es ist nur meine Erinnerung." ich musste mich ablenken. „Bevor die Sonne aufgeht, lass mich schein, heller als der Mond lass mich nicht alleine..." tönt es aus den Kopfhörern. Ich hatte nicht bemerkt ,dass sich das Lied gewechselt hatte. Der Druck an meinem Arm wurde weniger und ich beruhigte mich.
Ich suchte Zuflucht in einer recovery WhatsApp Gruppe, aber sie zog mich nur noch mehr runter. Was wussten diese Menschen denn schon von meiner Geschichte? Genau, nichts. Einen Teil der Leute da kannte ich nicht mal und trotzdem verletzen mich ihre Worte. Ich ging offline und war den Tränen nahe. Von wegen einfach essen, von wegen das ist alles nur in meinem Kopf. Das stimmt so nicht. Mir war schlecht und aß ich weiter übergab ich mich. Mein Körper wehrte sich aus welchen Gründen auch immer.
Die Nacht kam viel zu schnell. Ich war zwar hundemüde, aber mir gingen diese Sätze aus der Gruppe einfach nicht mehr aus dem Kopf. In meinem Kopf herrschte ein durcheinander... ich massierte meine schmerzenden Füße nachdem ich ihnen ein kleines warmes Bad gegönnt hatte. Meine armen Füße, was die über den Tag alles aushalten müssen... ich war müde, aber ich traute mich nicht zu schlafen. Der letzte Alptraum saß mir noch im Nacken. Nachts beginnt meine Zeit. Nachts beginnt eine produktive Zeit. Ich hatte bereits ein Monster gezeichnet und überlegte bereits was ich als nächstes malen könnte. Ein mondmädchen bin ich. Der Mond ist mein bester Freund, ich habe niemanden sonst der mich so gut kennt und vor allem so treu ist. Ana hat mich einsam gemacht, ich habe mich abgeschottet, lasse niemanden an mich heran. Ich überlegte ein Workout zu machen, hatte ich noch genügend Kraft übrig? Sicherlich. Ich musste es zumindest probieren...
Völlig außer Atem beendete ich mein Bauchmuskeltraining. „Das war noch nicht genug! Mach weiter! Wenn du aufhörst hast du nicht genug abtrainiert, du wirst noch fetter werden!" Mond, steh mir bei. Lass Anas stimme leiser werden. Ich hörte nicht auf Ana und legte mich erschöpft aufs Bett. Ich legte meine Hand auf meinen Bauch und beobachtete meine Atmung. Langsam wurde sie immer langsamer, bis ich schließlich entspannt in den Bauch atmete. Ein winziger kurzer Gedanke an die Schule morgen brachte mich wieder aus dem Gleichgewicht. Angst überkam mich. Ich hatte so viel zu tun, ich musste so dringend arbeiten, aber ich konnte mich einfach nicht konzentrieren... dabei war dieser Abschluss so wichtig für mich! Ich wusste nicht wie ich ihn erreichen konnte. Sei es nun vom Untergewicht oder vom ADHS, ich konnte einfach nicht denken. Außerdem waren meine eigenen Gedanken unfassbar laut und präsent, da war einfach kein Platz für Schule... mein Atem wurde wieder unruhiger und ich drehte mich entnervt auf die Seite und starrte die Wand an. Ich ließ meine Gedanken ziehen, aber schnell kreisten sie wieder ums essen. Hatte ich heute zu viel gegessen? Oder zu wenig? Konnte man zu wenig essen? Nein. Es gab kein zu wenig, nur ein zu viel. Ab morgen sollte ich wohl wieder strenger Kalorien zählen. Was würde ich denn morgen frühstücken? 2 EL Müsli? Aber die alleine hatten ja schon 100kcal... ich swipte um auf meine Ana Playlist und grübelte über das Frühstück nach. Aber wenn ich einen Alpro aß würde ich auch 100kcal essen, da machte doch das Müsli mehr Sinn oder etwa nicht? Ich könnte zwei El Müsli essen aber sagen ich würde mehr essen... aber sie würden es am Gewicht sehen. Wenn ich nach meinen Worten nach plan esse aber mein Gewicht nach unten geht fällt das wohl auf. Ich seufzte und überlegte die restlichen Mahlzeiten für den nächsten Tag. Ein Blick auf die Uhr sagte mir das es schon recht spät war. Ich musste dringend schlafen. Ob ich beim wiegen schummeln sollte? In der Vergangenheit ist dies immer aufgefallen. Ich sollte es lassen. Ich seufzte erneut. Bei dem Gedanken Chaos konnte ich nicht schlafen. Ich drehte mich auf den Rücken, starrte die Decke an und lauschte meinem lieblingslied. „I'm so jealous, she's so thin..." Yess, me to. Fröstelnd schlang ich die Decke um mich. Das Fenster ließ ich trotzdem offen. Nach langem hin und her wälzen fand auch ich endlich in einen unruhigen Schlaf.
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Nie gut genug
RandomDas Leben in seinen Höhen und Tiefen, mit seinen Schwierigkeiten und mit dem Wille zu überleben. Weshalb? Um einmal gut genug zu sein. Nicht für irgendjemanden, nicht für sich, für sie. Oder aber sie würde bei dem Versuch gut genug zu sein sterben.