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Ich bin die letzten Tage still geworden und habe mich zurück gezogen. Ich hätte nie gedacht das ich einmal dieses Kind aus der Klasse sein würde, eines von diesen Kindern die mit Kapuze auf und Jogginghose irgendwo rumlungern und still sind. Ich hätte es nie gedacht, weil ich so nicht bin. Und ich rede nicht von den Menschen die das tun weil sie sich dabei cool fühlen, sondern von den Menschen die das tun aus mangelndem Selbstbewusstsein. Ich habe mir eine Cola gekauft. Zero. Selbstverständlich wurde ich darauf angesprochen, dass dies mich nicht näher an meine Genesung bringt. Mein schlechtes Gewissen fraß mich auf. Sie hatten ja alle recht. Ich hatte nichtmal bewusst zu Zero gegriffen. Sie war im Angebot also habe ich sie gekauft. Aber was hatte ich heute gegessen? Ein Stück apfeltasche von Freitag und ein Stück gouda. Das reichte bei weitem nicht. Es war doch besser geworden... ich dachte wirklich ich schaffe es. Gibt es etwa doch keinen Weg da raus? Der Druck in der Schule wird auch von Tag zu Tag größer. Die Lehrer erwarten unfassbar viel. Sie erwarten Dinge die ich für unrealistisch halte, wie eine gute Note in Mathe nur weil ich einmal etwas verstehe. Ich hatte in meiner gesamten Schullaufbahn erst eine 2, ich bin nicht gut in Mathe, auch wenn das im Moment so den Anschein macht. Ich hab nur einfach ausnahmsweise mal etwas verstanden. Und dann kommen die Lehrer aus fast allen Fächern auf mich zu, wie gut ich ja sei, welch guten Abschluss ich haben würde, wie sauber und ordentlich ich arbeiten würde, wie diszipliniert und selbstständig ich doch sei und und und. Das macht Druck... ich glaube sie wissen nicht was da wirklich hinter steht. Das ich bis nachts dafür lerne, da ich das verpasste Halbjahr ja auch noch nacharbeiten musste. Wie anstrengend das für mich ist. Wie schwer es ohne ADHS Medikamente ist ruhig sitzen zu bleiben und mich zu konzentrieren. Wie schwer es ist trotz Schwindel Müdigkeit und Nahrungsmangel zu arbeiten, sauber und präzise. Sie wissen nicht warum ich so präzise Selbstständig bin. Sie kennen nicht die traurige Geschichte dahinter. Sie fordern immer mehr. Bringen mit ihren nett gemeinten Worten noch mehr Last auf meine Schultern. Ich habe mit meinem Mathelehrer heute über die anorexie gesprochen, da ich ja für die nächsten Wochen in der Klinik Arbeitsmaterial brauche. Ich habe seine Fragen beantwortet und ihm auch erklärt das mein Gehirn aufgrund der Unterernährung bereits wieder abbaut. Es sei ihm nicht aufgefallen, sagte er, im Gegenteil, ich baute wohl auf. Ja, allerdings wurde es immer schwerer diesen Anschein aufrecht zu halten. Es machte mir deutlich weniger Spaß als am Anfang, ich konnte mich ja nur schwer konzentrieren. Und würde ich länger in seinen Unterricht gehen würde es ihm auch auffallen. Meine Beine waren heute wackelpudding, das konnte aber auch daran liegen das es mir im Moment echt nicht gut geht, vor allem psychisch. Ich weiß, ich muss stark sein, aber das ist im Moment gar nicht leicht. Am liebsten würde ich mich in meine Decke einrollen und weinen. Oder schlafen... ich habe nur wenig Schlaf letzte Nacht bekommen. Vielleicht ist das der Nahrungsmangel weswegen ich wieder depressive Phasen habe. Ich musste daran denken heute meine Kopfhörer zu laden, die sind so gut wie leer und ohne Musik läuft hier gar nichts. Das einzige was meine Stimmung im Moment noch aufhellen kann. Ich hatte einen Riesen Berg Hausaufgaben auf.. fast alles bis morgen. Erdkunde musste ich neu machen, ich hatte es falsch und krakelig auf dem Schulweg heute Morgen gemacht. Sie hatte es nicht kontrolliert aber das würde sie machen wenn sie die Hefte einsammelte. Ich konnte mir kein fehlendes oder unsauberes Blatt erlauben. Ich ging gerne zur Schule! Auch wenn das grade nicht so klingt, es ist viel Stress aber mein Kopf freut sich das er endlich wieder was zu tun hat und gefördert wird. Ich lerne gerne. Ich habe nur oft nicht die Energie. Hoffentlich würde meine Stimmung sich bessern wenn ich zu Hause gleich ordentlich aß. Hoffentlich konnte ich mich dann auch auf meine Hausaufgaben konzentrieren...

Ich drehte die Musik lauter. Immer lauter. Ich ertrug den Lärm meiner Gedanken nicht. Ich ertrug den brodelnden verbitterten Hass in meinem Herzen nicht. Ich ertrug die Schuldgefühle nicht mehr. Der Tag gestern kam anders als geplant. Nichts mit gut essen und dann auf die Hausaufgaben konzentrieren...  als ich nach Hause kam wurde ich im Grunde direkt überfallen. Die Therapeutin von Station war am Telefon und ich wusste, dass das nichts gutes hieß. Ich schaltete schonmal zur Vorsicht auf anti und verschränkte die arme. Eiskalt zischte ich ihr ein „morgen, was wollen sie" entgegen. Sie ging nicht groß darauf ein, sie kannte mich. Sie erzählte auf eine unverschämte ekelhafte Art das morgen schon ein Platz frei sei wie toll so ein, Zitat : „luxusurlaub" wäre und und und. Ich sagte ich könne nicht, ich schrieb übermorgen eine wichtige klausur in englisch. Sie ließ sich also darauf ein dass ich Mittwoch nach der Schule kam. Also morgen. Ich verbrachte den Rest des Tages mit verzweifelten Weinen. Ich war ziemlich am Ende, ich bin ziemlich am Ende. Ich fühle mich unfassbar machtlos, da geschahen Dinge die mich betrafen, gegen meinen Willen und ich durfte und konnte mich nicht wehren. Mein Unterarm sieht immer noch schlimm aus vom letzten Aufenthalt. Ich wollte nicht noch mehr Schnitte sammeln nur weil man mich dort so schlecht behandelte. Danach hatte ich einen grausamen Streit mit meiner Mutter. Wie immer wenn sie wütend war und mich verletzen wollte ging sie auf meinen Körper. Wie ekelhaft er aussah, wie krank, ich solle mich nur mal anschauen. Und das zu jemandem mit Magersucht, ganz große Klasse. Bodyshaming sollte niemand ertragen müssen. Ich war endlich halbwegs zufrieden mit mir gewesen. Jetzt habe ich seitdem kaum etwas gegessen. Sie konnte über meinen Körper nicht urteilen, ich lief wegen Wiederholungen solcher Worte nur noch in zu großen Sachen rum. Aber schön das sie wusste wie mein Körper aussah...

Nie gut genug Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt