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« du selbst zu sein in einer Welt, die dich ständig anders haben  will,
ist die  größte Errungenschaft »
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Erschöpft lasse ich mich auf das Kissen auf der Fensterbank sinken und stecke mir ein Stück Schokolade in den Mund. Das kalte Glas an meinem Arm, den tiefdunkelblauen Himmel dahinter. Er hat heute eine besondere Farbe, und heute ist ein besonderer Tag. Ein besonders guter. Ich lächle und stecke mir erneut ein kleines Stück in den Mund. Ich genieße die süße auf der Zunge und wie sie in meinem Mund zerläuft. Wie lange schon habe ich mich nicht mehr getraut schoki zu essen, weil es mich nicht glücklich gemacht hat, sondern in Panik versetzt hat? Ich realisiere das in meinem Kopf alles still ist. Ana schweigt. Ich gerate ins straucheln, eine Millisekunde, dann habe ich mich wieder gefangen. Ana existiert nicht. Es gibt sie nicht. Ich habe meine essstörung zu sehr personalisiert, als wäre sie ein realer Mensch. Ich dachte ic könne so besser mit ihr arbeiten, dabei war es mein Untergang. Ich habe mich abhängig von jemandem gemacht den es nicht gibt. Die Kraft meiner eigenen Gedanken missbraucht. „Sie" ist nicht real. Ein Produkt meiner Fantasie, meiner Gedanken. Meine Essstörung ist real, keine Frage, aber nicht die Stimme und die Person dahinter. Ich habe viel zu lange daran fest gehalten. Aber ich bin wieder völlig bei Sinnen. In meinem Kopf sind einzig und alleine meine Gedanken. Meine Gefühle. Meine Träume. Von keinem anderen. Ich habe mich verloren auf der Suche nach dem der ich war  und jemanden gefunden der ich jetzt bin. Heute habe ich das erste mal wieder etwas gespürt. Jede faser meines Körpers nach dem Sport. Das Zittern der Muskeln während der Übungen. Wie mein Herz klopft. Wie das Blut durch meine Adern rauscht. Später beim joggen habe ich das Ziehen der Muskeln gespürt, den Wind im Gesicht. Die Sonne auf meiner leicht verbrannten Haut. Den Boden unter meinen Füßen. Und als ich grade meine Hände gewaschen habe, habe ich sie mir fast verbrannt. Ich spüre wieder. Und ich bin seltsam ausgeglichen. Glücklich schiebe ich noch ein Stück in meinen Mund und lasse meinen Blick über den mittlerweile dunklen Sternenhimmel gleiten. Es ist so seltsam perfekt, weil es nicht perfekt ist. Ich kann es nicht anders erklären. Alles scheint den Bach runter zu laufen um mich herum, aber ich kehre in meine Mitte die ich seit Jahren verloren habe und schöpfe Hoffnung. Hoffnung, welche als Kind gestorben ist. Aber ich bin kein Kind mehr. Auf mich wartet in so unfassbarer Nähe ein wunderbares Leben, zum Greifen nah. Ich habe mich ein Stück weit wieder gefunden und neu erfunden. Ich bin nicht mehr das Kleine schutzlose verletzliche Kind von damals. Ich bin jetzt stark, voller Schutz und Energie. Es läuft so viel schief und ist kaputt, aber ich lächle nur über den Scherbenhaufen in dem ich stehe. Es ist okay. Ich habe aufgehört nach dem perfekt zu suchen. Aufgehört perfekt sein zu wollen. Perfekt ist alles was perfekt Unperfekt ist. So wie mutter natur es gewollt hat. Aber vor allem bin ich für mich. Alleine. Als Einzelgänger. Und das ist gut so. Ich habe aufgehört bei anderen zu suchen was ich nur bei mir selbst finde. Habe aufgehört mich ins Getümmel zu stürzen und tausende um mich haben zu wollen weil ich mich nicht ertrage. Das ist vorbei. Ich habe aufgehört nach Dingen wie Sicherheit und liebe bei anderen zu streben. Alles was ich brauche ist in mir. In meiner kleinen Welt. In meinem so wunderbar funktionierend Herzen, welches mich zu dem macht der ich bin. Ich möchte wieder mehr eins mit Anu sein, der muttergöttin meiner Kultur.
Ich Habenichts zurück gezogen, beschäftige mich nun voll mit mir, höre darauf was ich brauche und was mir gut tut. Ich kann dem nicht immer nachkommen, aber ich versuche es so oft es geht. Ich denke viel nach, distanziere mich dann aber wieder. Spreche nicht mit Leuten bei denen ich weiß dass es mir nicht gut tut- dass sie sowieso zu sehr von sich eingenommen sind. Und meine Seele beginnt wieder leicht zu leuchten. Befreit sich langsam von den tausend Flecken mit denen ich sie überschüttet habe. Ziemlich genau zwei Monate noch, dann werde ich 17. Und es wird sich so viel ändern, es ist so viel geplant. Ohne Ana. Ohne all den Stuff auf meinen Schultern. Ich glaube, ich kann all das nun endgültig hinter mir lassen. Erschöpft lasse ich den Kopf gegen das kühle Glas sinken. So viele Gedanken, so spät noch... gedankenverloren betrachte ich die Sterne. Wie still und friedlich sie vor sich hin funkeln, immerzu. Egal wie kalt und dunkel die Nacht ist, sie funkeln tapfer weiter. Trotzen der Dunkelheit und sind beständig. Sie wirken friedlich und allwissend. Als Kind habe ich oft sie oder den Mond um Rat gefragt. Und immer in meinen Träumen eine Antwort bekommen, ich musste zwar immer erst dahinter kommen was sie meinen, aber sie haben mir stets einen kleinen Schubser gegeben, so verrückt es auch klingen mag. Obwohl das Fenster geschlossen ist, kann ich die kalte Nachtluft förmlich riechen. Ich kräusle die Nase und bereue es prompt- die Nase hab ich mir wohl ganz schön verbrannt heute in der Sonne. Ich werde sie gleich kühlen und etwas Creme drauf machen. Damit sollte erstmal gut sein. Heftig, wie viel Kraft die April Sonne bereits hat! Stolze 22 grad ist es geworden, fast schon Sommer. Ich gähne herzhaft, Recke mich und beschließe, mich fürs bettlein fertig zu machen. Nach dem ganzen Sport heute würde mir etwas Schlaf wohl gut tun. Auch das Medikament tat sein Übriges, heute hatten wir es erhöht und das macht ganz schön müde. Ich werde einen Blick in den Spiegel und bin ehrlich gesagt gar nicht so unzufrieden mit dem was ich sehe. Ich Knalle kaltes Wasser in mein Gesicht und beginne mit meiner Skincare-Routine. Nachdem ich mit allem fertig war und selbst meine Füße, welche vom vielen barfuß laufen dreckig waren, ein kleines Bad bekommen hatten, legte ich mich erschöpft ins Bett. Wollte ich Musik zum einschlafen oder lieber eine creepypasta? Viele Menschen fanden das total komisch wie ich zu horrorgeschichten einschlafen kann, aber ich kann das. Klar gruselt es mich auch manchmal, aber nie wirklich stark. Und das bisschen Adrenalin macht mich danach nur umso müder. Außerdem hat der YouTube bei dem ich das höre eine super ruhige entspannte angenehme Stimme, hinterlegt mit leichter ruhiger Grusel Musik und Lagerfeuer, worldcreepypasta, kann ich nur empfehlen. Und jetzt habe ich so lange darüber geschwärmt und nachgedacht, dass ich nun eine hören möchte. Also logge ich mich erneut im WLAN ein, suche eine Geschichte und lege mein Handy in den Schrank, damit es sich nicht aus dem wlan ausloggte. Zufrieden kuschelte ich mich ins Bett und schlief mit einem guten Gefühl ruhig ein.

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« nichts in dieser Welt ist von Dauer. Nicht einmal unsere Sorgen und ängste. »

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Nie gut genug Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt