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Ich dachte ich melde mich auch mal wieder, auf den langen Bus und Zug Fahrten habe ich ja jetzt Zeit. Es war viel los, viel Chaos. Nicht alles unbedingt positiv, aber auch nicht zwingend wirklich schlecht. Ja wo fängt man da an... im Grunde leben wir alle in unserem eigenen kleinen Kartenhaus. Bauen immer höher mit immer leichteren Karten. Provozieren den Windstoß der alles kaputt machen könnte. Und wenn man dann stolz noch ein Stockwerk baut, kommt irgendein idiot und zieht eine Karte raus. Und dann steht man da in einem Haufen von Karten und bemerkt das erste mal das alles ein Trugschluss war. Das man nicht in einer großen Burg aus Stein gelebt hat. Man sieht wie instabil und unsicher das eigene Haus war. Dann steht man da in Sturm, verunsichert und mit nichts als fragen. Vorwürfe, sorgen, Ängste. Aber wenn alles dem Erdboden gleich gemacht wird, hat man Platz etwas neues zu bauen. Und vielleicht haben wir dann aus dem letzten Mal gelernt und bauen kein Kartenhaus mehr. Werden flexibel. Brechen aus unseren eigenen Regeln und Linien aus. Gehen über die Grenzen, über unsere Fähigkeiten. Über die Norm. Erschaffen etwas neues. Etwas besseres. Etwas stärkeres. Wir lernen nie aus.

Ich habe meinen Zusammenbruch des Kartenhauses selbst herbeigeführt, aber vielleicht war das notwendig damit sich etwas ändern konnte. Mühsam hatte ich jede Karte umgedreht, ausgemessen, angeglichen. Es musste perfekt sein. Ich war so besessen auf dieses „perfekt" das ich nicht merkte das ich durch mein „angleichen" alle wunderbar perfekten Karten kaputt machte. So konnte das Kartenhaus nicht halten. Aber ich war nicht in der Lage dies einzusehen. Ich war feige.

Gedankenverloren streichelte ich über ihr weiches geschecktes Fell. Sie streckte den kopf aus meiner Kapuze und schaute mich aus großen Augen an. Ich hatte die Jacke extra Falsch herum angezogen damit ich sie nah bei mir hatte. Ich kam ihrer stillen bitte nach und fütterte ihr ein paar Sonnenblumenkerne. Im Gegensatz zu mir dachte sie nur ans Essen. Und zwar im positiven Sinne. Ich gab ihr einen Kuss auf die Nase. Sie war so voller Energie, so quirlig! Das wiederum gab mir unendlich viel Kraft...

Ich hatte immer schon sehr hoch Gestreckte Ziele und musste immer in allem die beste sein. War ich nicht die beste, dann war ich nicht gut genug. Aufgrund meines Klinikaufenthalts hatte ich ein komplettes halbe Jahr verpasst- und das in der 10. ich musste also jetzt in einem halben Jahr alles aus einem Jahr lernen und können denn ich wollte nicht irgendwelche Noten und irgendeinen Abschluss. Ich wollte einen 1er real mit qualli. Also lernte ich ohne Ende. Aber da war so viel mehr als Schule... Familie, Tiere, Haushalt, trainieren, Klavier und natürlich die Essstörung. Ich war also viel beschäftigt, bzw. eigentlich hatte der Tag nie genug Stunden. Wenn nicht genug im Haushalt passierte wurde meine Mutter wütend, vermutlich weil selbst sie sich unwohl in diesem Haus fühlt. Also versuchte ich so viel ich eben konnte im Haushalt zu helfen, aber ich hatte noch so viel anderes zu tun... aber ich hatte keine Lust das sie wieder alles an mir raus ließ. Esswn blieb dabei etwas auf der Strecke. Ich spielte täglich 1-2 Stunden Klavier, versorgte täglich die Tiere, machte einiges im Haushalt und setzte mich dann an schulsachen. Teilweise lernte ich bis in die Nacht. Ich mein, es machte sich bezahlt keine Frage, es viel positiv in der Schule auf, aber damit begann auch die erneute abwärtsspirale. Ich hatte a kaum Zeit zum essen und b kann ich nicht essen wenn es mir nicht gut geht. Und es geht mir zu Hause nicht gut, es ist sehr schwer dort stark zu bleiben. Ich will oft nach der Schule nicht nach Hause kommen, denn ich weiß was mich da erwartet. Nichts als Hass Trauer und Arbeit. Wenn meine Mutter schlechte Laune hat, also jeden Tag, dann lässt sie es an mir aus. Egal ob ich was dafür kann oder nicht. Dadurch geht es mir sehr schlecht und das schlägt mir auf den Magen. Dadurch und durch den ganzen Stress bekomme ich immer wieder äußerst schmerzhafte Magenschleimhautreizungen. Dann ist an essen wieder nicht zu denken. Ich hatte also in einem Monat fast 5 Kilo abgenommen was für jemanden mit anorexie recht viel ist. Dadurch ging es mir körperlich wieder immer schlechter. Ich war dauergeszresst und musste einfach mal abschalten. Also wurde ich rückfällig und begann erneut Ecstasy zu schlucken. Es war auch an sich alles gut, es tat mir gut, so dachte ich zumindest in meiner psychischen Abhängigkeit. Ich hatte wunderschöne Teller, die schönsten die ich je hatte. An Schlaf war nicht mehr zu denken aber das wollte ich auch nicht. Ich lehnte mich zurück und ließ mich in die Droge fallen. Genoss das Glücksgefühl. Den Frieden. Der nächste Tag war, wie immer danach, sehr anstrengend und unschön. Ich hatte mir die Lippe knalldick gebissen, Wangen und Zunge auf und hatte morgens auf dem Weg zur Schule noch immer große Teller. Ich war noch nicht wieder richtig da, ich dachte nicht daran welche Folgen es haben würde wenn es jemand mitbekommen würde. Zum Glück bekam es niemand mit, aber das Wachbleiben im Unterricht war gar nicht so leicht. Auch mein Kiefer führte noch immer ein Eigenleben. Rückblickend weiß ich, dass ich mich in dieser Nacht komplett weggeschossen hatte, die Dosis war komplett überdosiert. Das hätte ganz anders ausgehen können. Die Erinnerungen an diese Nacht sind verschwommen, ich kann nicht mehr unterscheiden was real war und was nicht.  Aber auch das schaffte ich irgendwie. Und weiter ging es, als wäre nichts gewesen. Ich überarbeitete mich immer mehr ohne es zu merken. Ich wurde den immer weiter wachsenden Anforderungen nicht mehr gerecht. Also beschloss ich, erneut zu schmeißen. Allerdings hatte ich am Vortag meine zweite Impfung bekommen und nicht darüber nachgedacht dass mein Körper damit genug zu tun hatte. In eigentlich weiser Voraussicht nahm ich nur eine halbe, eigentlich hätte das funktionieren müssen. Hat es nicht. Die Nacht war die reinste Hölle. Ein badtrip auf Chemie finde ich persönlich am schlimmsten.

Erschöpft ließ ich mich auf einen der Weichen sitze im Zug plumpsen. Der Tag war anstrengend gewesen, obwohl ich nur 4 Stunden hatte und zwei davon Vertretung, mit anderen Worten, die meiste Zeit eh am Handy. Ich suchte ein schönes Lied raus und ließ meinen Blick über den Bahnhof schweifen, als das Licht anging und der Zug Richtung Köln losfuhr. Ich musste nur bis weilerswist fahren und von dort aus weiter, wir fuhren also durch die absolute Pampa. Trotzdem war es schön, ich richtete meinen Blick ins ferne und ließ meine Gedanken schweifen.

Nach dem badtrip beschloss ich clean zu werden. Dank der Impfung war ich 24 Stunden drauf gewesen, ich war kräftemäßig komplett am Ende. Auch die Tage danach hatte ich immer wieder „drogenflashbacks", es war kurz plötzlich wieder so als sei ich drauf. Ich nahm die Welt immer noch nicht richtig wahr. Das war dann wohl der Moment in dem mein Kartenhaus zusammenbrach. Ich machte mir viele Vorwürfe aber gleichzeitig hatte mir diese Nacht gezeigt wie unglaublich stark ich sein konnte. Ich hatte mich die gesamte Nacht gegen die Droge gewehrt. Getan als sei sie nicht da. Das körperliche unterdrückt. Ich habe unfassbar gelitten, aber ich habe es ganz alleine aus eigener Kraft geschafft. Am Tag danach tat ich als sei nichts gewesen obwohl ich immer noch drauf war. Die Art wie ich das alles überstanden habe zieht von wahrer Stärke. Ich glaube das erste mal in meinem Leben kann ich selbst sehen welche Stärke und welches Potenzial in mir schlummert. Ich beschloss also es von da an besser zu machen. Mit Erfolg! Als die Nachricht kam das ich wieder in die Klinik musste war das ein großer Dämpfer, vor allem weil meine mum dort so viele Lügen erzählte. Aber ich ließ mich vob ihr nicht mehr unterkriegen. Ich bin stark! Und ich brauche sie nicht. Sie kann mich nicht mehr damit erpressen das ich auf sie angewiesen bin, denn das bin ich nicht mehr. Ich kümmere mich um alles selbst und ja, es ist schwer, aber es tut mir auch gut. Es zeigt mir das ich das Gegenteil von dem bin was meine mum mir immer sagt und zu spüren gibt.

Ich komme immer mehr ins reine mit mir selbst. Lebe zunehmend gesünder und habe zugenommen. Allerdings ist mir das egal. Ich zähle keine Kalorien mehr, wiege mich nicht mehr täglich und esse so viel wie ich Hunger habe. Natürlich gibt es immer wieder kurze Momente in denen ich mich zu dick fühle und gerne abnehmen würde, das sind dann immer die Momente wenn meine mum es erfolgreich geschafft hat mich runter zu ziehen. Ich hab relativ viel wieder gute Laune und schlafe besser. Ich kann Beziehungen zu Freunden viel besser aufrecht erhalten. Ich koche wieder hin und wieder selbst und habe keine Angst vor essen. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen ich liebe meinen Körper, aber ich mag ihn. Tatsächlich finde ich das ich etwas zu wenig auf den Knochen habe. Ich hätte gerne etwas mehr weibliche Rundungen. Ich mache keinen übermäßigen Sport, im Moment mache ich sogar gar keinen. Ich glaube wen ich das alles auch sehr zu verdanken habe ist mein Trainer. Ich lerne nicht nur viel übers reiten und alles rund ums Pferd, sondern er hat jahrelange Erfahrung mit Psychologie. Er hat mir viel Werkzeug in die Hand gelegt und seitdem läuft es deutlich besser. Und dann sind da noch ein zwei Freunde, E, L und vor allem auch Y. Y baut mich viel auf im Moment und schenkt mir die Kraft in Momenten wo sie fehlt. Oder lenkt mich einfach ab wenn wir sowieso grade nichts ändern können. Und natürlich meine recovery Gruppe, obwohl ich relativ wenig im Moment aktiv bin. Manchmal zieht es mich noch etwas runter wenn ich dran denke das ich in 2 Wochen schon wieder in die Klinik soll obwohl es so gut läuft. Aber in den 2 Wochen versuche ich noch 2 Kilo zu zunehmen, dann müsste ich in der Klinik nur noch 3 Kilo zunehmen , sprich 3 Wochen, dann 2 Wochen halten, macht gleich 5 Wochen, dann wäre ich wieder raus. Das wäre ideal. Dann könnte ich zurück in die Schule wo ich wirklich gerne trotz all dem Stress hingehe. Und es macht sich bezahlbar! Ich habe bereits die ersten guten Noten wieder bekommen. Und ich könnte endlich wieder in den Stall trainieren.

Die Türen des Busses schließen sich und die Fahrt geht los. Wenige Haltestellen nur, dann musste ich nur noch ein stück laufen. Ich konnte ja unterwegs meine apfeltasche essen , ich hatte sie eben nicht zu Ende geschafft weil dann der Zug da war. „Wichtig ist, dass du nicht verstellst..." ertönt es in meinen Kopfhörern. Wie wahr. Ich gebe einen fick auf meine mum, sie kann mir nichts mehr. Ich bin stark. Ich selbst bin meines Glückes Schmied. Und sie kann es nicht kaputt machen, denn ich habe mehr macht über mich und mein Leben als sie. Ich lasse mich nicht runterziehen von ihr. Entspannt betrachtete ich die vorbeiziehende Landschaft und die sich häufenden häuser. Ich war fast in meinem Dorf angekommen. Und wenn ich zu Hause war würde ich erstmal Klavier spielen und dann etwas leckeres essen.

Nie gut genug Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt