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Und dann stand ich da. Tränen liefen über meine Wangen und der Wind strich mir die Haare aus dem Gesicht. Die Hand krampfte sich ans Geländer, als wäre es der letzte halt. Zitternd schaute ich hinunter in die Tiefe. Betrachtete die vielen bunten Autos die vorbei rasten. Und ich hasste mich dafür, dass ich dort stand, hasste mich dafür das ich nicht mehr konnte. Das ich dies als einen Ausweg sah. Ich stellte die Füße aufs Geländer und nahm das Kinn in die Höhe. Jetzt. Und dann brach alles in sich zusammen. Vor meinem inneren Auge guckten bilder, Erinnerungen vorbei. Zuletzt die Pferde, mein sicherer Hafen. Ich sank zu Boden und klammerte mich an das Geländer während ich den Tränen freien Lauf ließ. Ich fühlte mich wie ein versager. Jemand der einfachste Dinge nicht schaffte. Jemand der es nicht schaffte sich alleine am Leben zu halten. Ich hatte fast nichts gegessen heute es wurde immer schlimmer. Ich war rückfällig. Mein Knie wurde einfach nicht besser und hatte mir das wichtigste genommen. Verzweiflung machte sich breit. Es würde nicht nur bei meinem Knie und dem Wasser in den Gelenken bleiben. Ich würde meinen Körper komplett schädigen. Und wieder eine Sonde bekommen. Und dennoch schaffte ich es nicht. Ich hatte Angst vor dem berufskolleg weil ich wusste ich würde es nicht schaffen. Ich legte den Kopf in den Nacken und schrie. All die Verzweiflung, die Angst, die Trauer, alles hinaus. Die Pferde waren mein letzter halt gewesen. Dieser kurze Moment wenn ich dort im Sattel saß und meine Angst mit jedem galoppsprung weniger wurde war einer der wertvollsten. Das Rauschen in den Ohren, der Adrenalin Kick, das brennen und ziehen in den Muskeln, das brennen in der Lunge. Dieses spüren das man lebt. Adrenalin das durch die Adern pumpt. Galoppieren bis zur Erschöpfung ist wie schreien- oder Drogenkonsum. Alles raus lassen, alles vergessen, spüren das man lebt. Sich erinnern wofür man all das macht während man langsam an Tempo gewinnt und weiß das man selbst die Kontrolle hat. In diesem Moment brauche ich keine Essstörung um Kontrolle zu erlangen. Ich brauche keine Klinge um mich zu spüren und keine Drogen um im Rausch zu sein. Und gleichzeitig wird mein Ehrgeiz zufrieden gestellt, indem ich immer ein Stück mehr reite als ich kann. Jedes Mal ein bisschen mehr. Und wenn ich absteige, müde aber glücklich, spüre ich den Hunger nicht als Bedrohung. Das strahlen in meinen Augen das es nur gibt wenn ich über die Pferde rede erlischt genau in dem Moment wenn ich den Fuß aus der Stallgasse setze. Aber die Erinnerung birgt noch so viel Kraft. Aber wenn der Körper kaputt ist, wenn er nicht mehr kann, wenn er solche Momente durch schmerzen nimmt, dann bleibt mir nichts anderes übrig als das aufzugeben was mich hält. Und ich falle. Voller Wut auf die Essstörung, voller Verzweiflung und voller Trauer über die Schäden schwinge ich mich zurück aufs Rad, trete so feste ich kann in die Pedale , drehe die Musik so laut es geht und strecke die Arme aus. Freiheit. Bei den großen gestapelten Strohballen halte ich an und klettere hinauf. Ich genieße den Wind hier oben, die Aussicht, die weiten. Dieses Gefühl von Freiheit. Ich sinke auf das weiche Stroh und beginne zu schreiben. So lange bis es zu kalt wurde, bis mein Akku fast leer war und bis das Abendessen rief. Obwohl ich zugegeben nur eine lächerliche Portion runter bekam. Ich würde heute vermutlich nichtmal auf 1000kcal kommen. Jeden Tag wurde es weniger. Und ich stand daneben und schaute mir selbst beim abstürzen zu. Wusste wie man es ändert aber hatte keine Kraft und keinen Mut es durchzuziehen.

Nie gut genug Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt