Tag 5

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Wozu existiert man wenn da niemand ist? Niemand der einen beschützt. Niemanden der einen zum Lachen bringt. Wenn Niemand da ist.
Niemand.

Meine Augen waren schwer. Ich sog die Luft um mich herum ein.
Kühl.
Sauber.
Klar.
Der Geruch den ich im wachen Zustand wahrgenommen hatte war verschwunden. Einfach so. Ohne eine Vorwarnung.
Ohne meine Augen zu öffnen setzte ich mich auf.
Sog die Luft noch einmal ein.
Nichts.
Doch!
Da war etwas.
Oder doch nicht?
Ich war ruhig. Meine Augen waren schwer. Ich hatte das Gefühl dass das Beruhigende des Geruchs mich immer noch umgab. Ganz leicht. Aber es war da.

Noch einmal sog ich die Luft tief ein und öffnete meine Augen.
Ich befand mich in dem weißen Raum. Doch das überraschte mich nicht. Ich wusste es. Hatte damit gerechnet. War von nichts anderem ausgegangen.
Langsam drehte ich meinen Kopf.
Hinüber zum Spiegel.
Er war ganz.
Auch damit hatte ich gerechnet. Auch wenn mir der Anblick der glatten, unberührten Oberfläche einen leichten Schauder über den Rücken schickte, hatte ich damit gerechnet.
Zögernd blickte ich an mir hinab.
Ich war nackt.
Der Mantel war weg.
Natürlich.

Ich glitt vom Bett und ging zur Tür. Leicht.
Ein bisschen so als würde ich schweben.
Als ich an der Tür angelangt war wartete ich nur einen kurzen Moment bevor ich sie aufmachte und hindurch ging.

"Erkennst du mich wieder?"

Das Buch lag vor meinen Füßen. Auf die beschriebene Seite gelegt. So als hätte ich es noch nie berührt.
Ich hob es auf.
Schlug es zu.
Strich über den Einband und legte es auf den Bücherstapel.
Obwohl ich wusste das es beim nächsten Mal nicht mehr dort liegen würde.

Mein Blick huschte umher. Wo war er? Wo war der Sessel? Wo war der Mantel? Wo war der Geruch?
Ein Windzug streifte meine Beine. Mein Körper überzog sich mit Gänsehaut.
Kurz fröstelte es mich.
Da!
Ich sah ihn.
Denn Sessel.
Denn Mantel.
Hastig ging ich auf ihn zu.
Hob ihn vom Sessel.
Streifte ihn mir über und schlang meine Arme um mich.
Für einen Moment schloß ich meine Augen und sog den Geruch des Mantels ein.
Jetzt wo ich die Augen geschlossen hatte und mich nur auf den Geruch konzentrierte roch ich noch mehr als zuvor.
Er roch nach frisch geschnittenem Holz.
Nach Moos.
Nach der Dunkelheit des Waldes.
Und er roch nach Geborgenheit.
So wie ein Holzfeuer das leise knackt und zischt.
Warm.
Hell.
Doch auch ein wenig gefährlich.
Denn man weiß nie wann die Funken nach oben zischen, wann das Feuer sich ausbreitet. Immer größer wird und alles nieder brennt.
Das weiß man nicht.
Aber solange es nur brennt, ist es warm, sicher und beschützt einen vor der Dunkelheit. Die kommt, einen umschließt und langsam Stück für Stück mit sich zieht. Bis sie einen verschlingt.

Ich ließ meine Arme sinken und öffnete wieder meine Augen. Der Mantel lag um meinen Körper.
Warm.
Weich.
Sicher.
Und beschützens vor der Kälte des Raumes die mir erst jetzt bewusst wurde.
Durch den Mantel gewärmt und beschützt schlenderte ich ein wenig herum. Lief an den Bücherstapeln die Wand entlang und zwischen den riesigen Regalen umher.
Es war wunderschön.
Obwohl der Anblick des Raumes, der Regale und der Bücher mir vor wenigen Tagen noch Angst gemacht hatte, blickte ich sie nun an fand sie Wunderschön.
Wunderschön und irgendwie wie verzaubert.
Aber waren es überhaupt Tage gewesen?
Es hätten Tage sein können.
Tage oder Stunden.
Oder Wochen.
Oder Monate.
Ich wusste es nicht.
Auf einen Schlag spürte ich die Angst in mir wieder. Wie wie langsam hervor kroch und meinen Körper mit ihrer kalten Klaue packte.
Ich zog den Mantel enger um mich.
Steckte meine Hände in seine Taschen und kniff die Augen zusammen.
Kurz zuckte ich zusammen, meine rechte Hand war an etwas gestoßen.
Etwas kaltes.
Glattes.
Dünnes.
Vorsichtig nahm ich es zwischen zwei Finger und hob es aus der Tasche heraus. Hinaus ans Licht.
Zuerst erkannte ich nicht was es war. Ich legte es flach auf meine Handfläche und hob es näher an mein Gesicht heran.
Es war eine Rasierklinge.
Kalt.
Glatt.
Metallisch glänzend und messerscharf.
Es war ein Wunder das ich mich nicht daran geschnitten hatte als ich sie aus dem Mantel gefischt hatte.
Langsam drehte ich sie zwischen meinen Fingern hin und her.
Meine Knöchel waren immer noch verkrustet vom Blut das an ihnen klebte. Die Wunde war noch nicht abgeheilt.
Das war das einzige was sich nicht verändert hatte. Die Wunde an meiner Hand.
Alles andere war zurück gegangen. Zurück an seinen Platz.
Zurück zu der Form die es vor mir hatte. So als hätte ich es nie berührt.
Nur ich, ich hatte mich nicht verändert.

In diesem Augenblick kam mir ein Gedanke der alles veränderte. Der mich zerstörte und zugleich half das ich nicht wahnsinnig wurde. Der mich vor dem Untergang bewahrte und mich zu gleich hinab in den Abgrund stürzte.

Meine Hände zitterten als ich den Mantel abstreifte.
Ich ließ ihn zu Boden fallen und stellte mich ganz gerade hin.
Ganz gerade.
Dann nahm ich die Rasierklinge in meine rechte Hand.
Noch immer zitterten meine Hände. Mein ganzer Körper zitterte vor Anspannung. Und vor der Angst vor dem was jetzt kommen würde.

Zuerst spürte ich die Kälte des Metalles auf meiner nackten Haut. Dann den Wiederstand meiner Haut als ich die Klinge habe zog.
Ich drückte etwas stärker zu.
Als der stechende Schmerz durch meinen Körper schoss hielt ich kurz inne.
Eins.
Dann setzte ich die Klinge erneut an.
Zwei.
Dieses Mal war der Schmerz nicht so stark. Ich spürte ihn immer noch. Aber nicht mehr so stark wie beim ersten Mal.
Drei.
Das warme Blut sickerte durch meine Finger, rann an meinem Körper hinab und tropfte schließlich auf den Boden.
Vier.
Ich kniff meine Augen zusammen. Obwohl ich den Schmerz kaum noch spürte, kämpfte etwas in mir dagegen an. Irgendeine Kraft die mir sagte dass das falsch war. Die mich davon abhalten wollte. Fast hatte die Kraft mich eingenommen. Doch da hatte ich schon wieder angesetzt.
Fünf.

Ich öffnete meine Augen und atmete aus. Ich hatte es getan. Hatte es wirklich getan.
Wie in Trance bückte ich mich und hob den Mantel auf. Vorsichtig zog ich ihn über.
Mit einem Ärmel wischte ich das Blut von der Klinge und ließ sie zurück in die Manteltasche gleiten. Genau dort wo ich sie gefunden hatte.
Immer noch wie betäubt ging ich in Richtung eines Sessels.
Mit jedem Schritt spürte ich das pulsieren der Wunden.
Spürte ich das Blut.
Welches stoßweise heraus floß, über meinen Körper lief und schließlich im Stoff des Mantels versikerte.
Ich ging noch zwei Schritte, bis meine Beine unter mir nachgaben, mein Körper hart auf dem Boden ankam und alles un mich herum schwarz wurde.




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