Tag 18

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Ich konnte ihn spüren, wie er neben mir lag.
Seine Augen ruhten auf mir, auf meinem Gesicht.
Auf meinen geschlossenen Augen, auf meinem Mund, meiner Nase.
Ich konnte ihn spüren, ohne das ich ihn sehen konnte.
Langsam, zögernd, öffnete ich meine Augen.
Obwohl ich spüren konnte wie er neben mir lag, spüren konnte wie er mich berühren wollte, hatte ich Angst davor was ich sehen würde.
Als ich meine Augen geöffnet hatte, gewann diese Angst, wie so oft, die Oberhand.

Er lag nicht neben mir, schaute mich nicht an, berührte mich nicht.
Seine Augen lagen nicht auf mir, auf meinem Gesicht.
Auf meinem Mund, meiner Nase.

Er war nicht da.
Ich konnte ihn nicht sehen.

Aber irgendwie, tief in meinem Inneren, wusste ich das er da war, spürte ich ihn.

Ich rappelte mich auf, schaute mich um. In diesem Raum, der mir so vertraut war.
Als ich mich auf meine Arme stützte, durchzuckte mich der Schmerz meiner frischen Wunden so klar und kalt, wie ein Blitz die Nacht durchzuckt.

Um mich vor dem Schmerz zu schützen, warf ich mich instinktiv zurück in die Lacken.
Ich kniff meine Augen zusammen und stöhnte vor Schmerz.

Die Schnitte waren tiefer als sonst, frischer und mit mehr Schmerz geschnitten als alle davor.
Für einen Moment ließ ich meine Augen geschlossen.
Nur für einen Moment.
In dem ich mir wünschte er würde neben mir liegen.
Hier.
Neben mir.

Doch als ich meine Augen wieder öffnete, war er nicht da.
Niemand war da.
Nur ich.
Allein.

Nolan
Das war sein Name gewesen.
Würde ich ihn wieder sehen?
Ich hatte so viele Fragen an ihn die nicht einfach unbeantwortet zurück gelassen werden konnten.
So viele Fragen die eine Antwort brauchen, damit sie aus meinem Kopf verschwanden und endlich Ruhe einkehren konnte.
Ruhe.
Das war es was ich wollte.
Ruhe.
In meinem Kopf, in meinem Körper, in meiner Seele.
Ruhe.

Doch die einzige Möglichkeit ihn wiederzusehen, Antworten auf meine Fragen zu bekommen, war da raus zu gehen.
Ich richtete mich auf.
Langsamer als vorher, jetzt kannte ich den Schmerz schon der mich bei jeder Bewegung durchzuckte.
Kannte ihn, konnte ihn bekämpfen.

Als ich meine Beine aus dem Bett schwang und meinen Körper ein wenig nach vorne kippte entfleuchte mir dennoch ein stöhnen.
Zum einen war es der kalte Boden, der meine Füße berührte und eine Gänsehaut meine Beine hinauf schickte.
Zum anderen war es der Schmerz, der obwohl er mir vertraut war, meinen Körper erbeben ließ.
Doch was mich beinahe zum Schreien gebracht hätte, war der Schmerz der sich plötzlich in meiner Brust ausbreitete.
Er war stechend, ziehend und dumpf zugleich. Ein wenig fühlte es sich so an als würde mir jemand mein Herz heraus reißen.

Ich keuchte als ich mich vom Bett erhob und einige Schritte zur Tür taumelte.
An der Tür angelangt, stütze ich mich an der Türklinke ab und drückte sie hinunter.
Fast stürzend, platze ich in den anderen Raum hinein und konnte mich gerade noch so auf den Beinen halten während ich zu dem Sessel strauchelte.

Der Mantel.
War alles an das ich denken konnte.
Der Mantel.
Ich brauchte ihn.
Wollte mich in seinen Duft hüllen, ihn um mich spüren.
Denn auch wenn ich mir nicht sicher sein konnte, hatte ich das Gefühl das er den Schmerz in meiner Brust lindern würde.

Als ich den Sessel endlich erreicht hatte, dachte ich das ich sterben würde.
Den Schmerz der Wunden spürte ich nicht mehr, auch nicht die Kälte oder die Gänsehaut die sich über meinen gesamten Körper ausstreckte.
Ich spürte nur noch das beben meines Körpers, das zucken meiner Muskeln und das hämmern in meiner Brust.
Es war nicht mein Herz, ich wusste nicht was es war.
Aber es pochte so laut das ich das Gefühl hatte unter dem Druck zusammen zu brechen.

Mit langsamen, schweren Bewegungen die mich so viel Kraft kosteten als wäre es das erste, was ich tat nachdem ich zehn Jahre lang im Koma gelegen hatte, griff ich nach dem Mantel.
Alles was ich wollte war, den leicht rauen, schweren Stoff um mich zu spüren.
Als ich ihn anhob und über meine Arme zog, stöhnte ich.
Mit dem Mantel um mich geschlungen, ließ ich mich blindlinks auf den Sessel fallen.
Ich schloß noch einmal meine Augen, atmete.
Das pochen in meiner Brust war jetzt noch deutlicher. In der Stille des Raumes breitete es sich über meinen gesamten Körper aus und erfüllte die Luft um mich herum mit einem dunklen poch, poch.
Ich öffnete meine Augen wieder, lauschte auf das pochen, spürte es, in jedem Zentimeter meines Körpers.
Spürte die Wunden.

Mein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig und wurde nur ab und zu von einem beben aus dem Rhythmus gebracht. Ich beobachtete ihn, starrte auf den Mantel, der sich langsam auf und ab bewegte.

"Müsstest du jetzt nicht nach der Klinge greifen"

Hörte ich eine Stimme hinter mir sagen.
Ich zuckte zusammen. Obwohl ich wusste wer es sein musste, zögerte ich ein paar Sekunden bevor ich mich umdrehte.

"Nolan"

Sagte ich, mit etwas mehr Freude als ich beabsichtigt hatte.

Seine Lippen verzogen sich zu einem schiefen Grinsen.

"Na, wie hast du geschlafen? Ich vermute mal ziemlich gut so ruhig wie du dagelegen hast."
Ich runzelte die Stirn.
Er hatte mich beobachtet?!

Anstatt irgendetwas zu sagen schaute ich ihn einfach nur verwirrt an.

"Ich mach Scherze!"
Sagte er lachend und drehte sich ein wenig zur Seite um sich wieder zu fangen.
"Ich hab dich nicht beobachtet, ganz ruhig."

Jetzt fing auch ich an ein wenig zu lachen.
"Nolan!"
Sagte ich etwas verärgert aber immer noch lachend.
Ich wollte ihn in die Seite boxen, doch als ich mit meiner Faust auf seinen Arm zielte, durchdrang ich ihn und alles was ich an meiner Hand spürte war ein kaltes, leicht dickflüssiges Gefühl.
So als würde man durch eine Dunkelheit schlagen die dicker ist als sonst, schwerer, gefräßiger.

Ich starrte ihn an.
Versuchte ihn nicht an zuschreien.
Was zur Hölle war das?
Oder was war er ?
Schnell zog ich meine Hand wieder zurück.
"Was..." mehr konnte ich nicht sagen.
Wusste nicht was ich sagen sollte.
Was sagte man in so einem Moment, wenn man nicht wusste was gerade passiert war.
Wenn man nicht wusste ob man gerade einen Mensch anschaute oder etwas völlig anderes.

Nolan schaute zurück, er schaute mich einfach nur an.
Ohne ein Wort zu sagen, dann ging er um mich herum und stellte sich vor mich.
Ich wusste nicht was er tun würde, und hatte um ehrlich zu sein ein wenig Angst davor, was es sein könnte.

Als ich in seine Augen blickte, sah ich die Trauer die darin lag, ich sah den Schmerz den er spürte.
Und als er auf mich zukam, sich zu mir hinbeugte und mich auf die Wange küsste, spürte ich nur einen leichten Hauch.
Nicht mal eine wahre Berührung, nur ein Hauch, von irgendwas.

Ich schaute ihn an, schaute nur.
Starrte nicht.
Ich war nicht mehr verstört, über das was ich nicht wusste.
Über die Ungewissheit wer da vor mir stand.
Ich schaute nur, betrachtete und schloss meine Augen.
Atmete.
Vergaß.
Ließ mich fallen.
Spürte den Kuss auf meiner Wange, spürte den Hauch auf meiner Haut.
Spürte Nolan.
Spürte ihn.

24 Tage bis MorgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt