Tag 11

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Ich spürte den Druck meiner Umgebung auf meinem ganzen Körper.
Er war dumpf.
Brummend.
Und schwer.
Langsam versuchte ich meine Augen zu öffnen. Doch es gelang mir nicht sofort.
Es war als würden sie von dem Druck nach unten gezogen werden.
Schwer und träge lagen sie so auf meinen Augen.
Versperrten mir die Sicht auf das was um mich herum.
Es machte mir Angst nichts zu sehen. Es machte mir Angst nicht mit Sicherheit zu wissen wo ich war.
Es machte mir Angst.
Noch einmal versuchte ich meine Augen zu öffnen. Doch noch immer wurden sie von einer unsichtbaren Kraft und unten gezogen und bewegten sich kein Stück.
Mein Herzschlag begann sich zu beschleunigen.
Mein Atem ging ungleichmäßiger.
Ich versuchte mich zu beruhigen.
Alles war gut.
Ich war in dem Raum.
In dem weißen Raum.
Doch das konnte ich nicht mit Gewissheit sagen, da ich nicht sah wo ich mich befand.
Was wenn ich irgendwo anders war?
Was wenn ich irgendjemand anders war?
Was wenn ich gar nicht mehr war?
Die Stimme in meinem Kopf wurde immer hysterischer.
Kreischte.
Schrie.

Blind und mit nichts als Dunkelheit vor den Augen versuchte ich nun meine anderen Gliedmaßen zu bewegen.
Meine Arme und Beine waren auch schwer.
Schwer.
Mein Herz schlug nun noch schneller.
Was wenn ich mich gar nicht mehr bewegen konnte?
Was wenn ich jetzt nichts tun konnte außer hier liegen?
Blind.
Schwer.
Regungslos.
Ich wollte meinen Kopf schütteln. Wollte die Gedanken wegschütteln. Wollte die Stimme zum verstummen bringen. Doch es gelang mir nicht.
Es war alles zu schwer.
Zu schwer.

Die harte Oberfläche des Fußbodens erschütterte meinen Körper so stark das ich vor Schmerz einen kleinen Schrei von mir gab und meine Augen aufriss.
Ich lag auf dem Boden eines Raumes.
Des weißen Raumes.
Ich lag vor dem Bett.
Vor dem weißen Bett.
Anscheinend war ich heraus gefallen, denn die Bettdecke lag mit mir auf dem Fußboden.
Eines meiner Beine hatte sich in ihr verändert so das es schwer war es zu bewegen.
Mit meinen Händen befreite ich schließlich mein Bein von der Decke und legte sie zurück aufs Bett.

Dann drehte ich mich um und schaute in den Spiegel.
Schaute mich an.
Schaute mich um Spiegel an.
Noch immer war ich dünn. Genauso dünn wie an dem Tag, als ich das erste Mal in den Spiegel geschaut hatte.
Meine Augen waren immer noch grün.
Nicht glänzend.
Nicht glitzernd.
Ein stumpfen, dunkles grün.
Das gleiche grün wie an dem Tag, als ich das erste Mal in den Spiegel geschaut hatte.
Meine Haare waren immer noch ein helles Blond.
Weißblond.
Sie fielen lang und glatt über meine Schultern.
Meinen Rücken.
Vielleicht waren sie etwas zerzauster als davor.
Aber sonst waren sie genauso wie an dem Tag, als ich das erste Mal in den Spiegel geschaut hatte.
Dann waren da noch die Streifen.
Die roten Striemen, die dunkel und mahnend in einer Reihe meinen Körper zeichneten.
Sie saßen seitlich an meinem Brustkorb, ungefähr acht Zentimeter unter meiner Achsel. Genau dort, wo sie von meinem Arm noch gerade so verdeckt wurden.
Neun
Es waren neun.
Neun Striemen.
Neun Schnitte.
Neun Tage die ich hier verbracht hatte.
Neun.
Doch es fehlten zwei.
Nein.
Es fehlte nur einer.
Mein Blick fiel hinunter auf meine Fingerspitze. Dort war auch ein roter Strich.
Dort hatte ich mich geschnitten.
Als ich den Mantel gefunden hatte.
Gestern.
Oder eher gesagt das letzte Mal als ich meine Augen geöffnet hatte.

Meine Augen wanderten wieder zurück zum Spiegel.
Dort stand ich also.
Nackt.
Verlassen.
Verloren.

Doch ich hatte mich damit abgefunden. Es gab sowieso nichts was ich daran hätte ändern können. Nichts was mir die Einsamkeit genommen hätte.
Nichts.
Außer die Bücher, die mich in eine andere Welt entführen konnten. Dorthin wo alles schön war.
Wo ich nicht mehr allein war.
Dorthin wo andere Menschen waren.
Dorthin wo ich glücklich war, und nicht mehr verloren.

Schließlich ließ ich von meinem Spiegelbild ab und ging hinaus in den anderen Raum.
Lief zum Sessel.
Hob den Mantel von ihm herunter.
Bevor ich ihn mir über zog hielt ich kurz inne.
Vergrub mein Gesicht in seinem Stoff.
Zog den Geruch tief ein.
Es war der gleiche von gestern.
Es war der gleiche.
Und er umhüllte mich auch jetzt mit dem Gefühl beschützt zu sein.
Beschützt und dadurch sicher.

Von dem Gefühl was der Mantel mir verlieh ausgefüllt, schlüpfte ich hinein.
Fast wie automatisch wanderten meine Hände in die Taschen.
Als ich die Rasierklinge mit meiner verwendeten Fingerspitze berührte zuckte ich nur kurz zusammen. Ich hatte es erwartet.
Hatte das kalte Gefühl des glatten Metalls erwartet.

Immer noch beruhigt von der Wärme des Mantels schwif mein Blick durch den Raum.
Schließlich blieb er an einem Buch hängen.
An dem Buch, das vor der Tür des weißen Raumes lag.
Obwohl ich eigentlich wusste das es dort lag, hatte sein Anblick irgendetwas an sich das mich stutzig machte.
Zögernd ging ich auf das Buch zu.
Es sah ganz normal aus.
Es lag da, auf die Beschriebene Seite gelegt.
Ich hob es auf.
Strich über den Titel.

"Erkennst du mich wieder? "

Kurz bevor ich es zuschlagen wollte hielt ich inne. Schaute mir noch einmal das Cover an.

"Erkennst du mich wieder? "

Ja das tat ich, das tat ich in der Tat.

Verwirrt von meiner scheinbar unnötigen Skepsis dem Buch gegenüber, ging ich in den weißen Raum und schloss die Tür hinter mir.

Die Klinge in der Tasche fühlte sich immer noch kalt an und als ich sie an meine, vom Mantel gewärmte, Haut legte zuckte ich ein wenig zusammen.
Doch als dann in meine Haut Schnitt zuckte ich nicht mehr, sondern hielt ganz still.
Ganz still, so dass ich beim absetzen der Klinge nicht einmal das Blut spürte, was langsam und warm meine Haut entlang floss.

24 Tage bis MorgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt