Wenn die Schmerzen dich wachhalten, du an den Tränen erstickst und nur gerade so noch deine Schreie zurück halten kannst, denkst du dann an den Tod? Oder beetest du um dein Leben?
Denn je lauter die Stimmen in deinem Kopf schreien, je mehr dein Körper anfängt zu zittern und du nichts mehr spürst, umso näher kommt der Drang, nie wieder etwas zu fühlen.Mein ganzer Körper schien wie betäubt zu sein. Ich spürte ihn nicht. Nicht meine Füße.
Nicht meine Beine, meine Arme, meine Hände oder meinen Kopf.
Alles was ich spürte war das pochen an meinem Brustkorb.
Es schmerzte.
Als ich mich auf setzte zog es unangenehm an den Wunden.
Das Blut war getrocknet und hatte meine Haut an der Stelle zusammengeklebt hatte.
Ich schlug die Bettdecke zur Seite.
Langsam stand ich auf.
Lief zum Spiegel.
Schaute mich an.
Ruhig.
Kontrolliert.
Hellwach.
Ich betrachtete meinen Körper.
Dünn.
Gebrechlich.
Ungeschützt.
Und so unglaublich verletzlich. In jeglicher Weise.
Vorsichtig, so als könnte ich mit meinem Blick etwas verletzten, wanderte er über meinen Bauch. Meine Brust.
Meine Arme.
Und blieb schließlich an etwas hängen.
Ein roter Faden.
Er zog sich von der Seite meines Brustkorbes, meine Seite entlang bis zu meiner Taille.
Ich berührte ihn. Denn roten Faden getrockneten Blutes. Er war rau und als ich über ihn Strich begann er sich an einigen Stellen abzulösen.
Kleine Stückchen getrockneten Blutes landeten auf den weißen Boden.
Mit meinen Fingerspitzen strich ich hinauf bis zu meiner Brust.
Dort wo die Haut durch das Blut zusammenklebte hielt ich inne.
Langsam fuhr ich über die Stelle.
Auf und ab.
Ganz langsam, bis sich das Blut soweit abgelöst hatte, das ich meinen Arm von meiner Seite lösen konnte.
Dann sah ich sie.
Die Striemen.
Rot.
Schrecklich.
Und verhängnisvoll saßen sie auf meiner Haut. Wie eine Brandzeichnung.
Eine Zeichnung dafür was ich getan hatte.
Eine Zeichnung des Schmerzes, der Zerstörung und der Verzweiflung.
Geradlinig verliefen die fünf Streifen auf meiner Haut, kurz unter meiner Achsel.
Furchtbar. Und auf eine Weise doch wunderschön. Wunderschön und mit all den Gefühlen gefüllt die ich erfahren hatte.
Ich hob meine Hand noch ein Stück an.
Fuhr mit dem Fingernagel die feinen Striche nach. Behutsam, einträchtig und voller Furcht vor der Kraft die sie in sich trugen.
Ich ließ meinen Arm wieder nach unten sinken.
Wenn ich ganz normal da stand, konnte man die Wunden nicht sehen.
Wusste man nicht das sie existieren. Konnte man den Schmerz, die Verzweiflung und den Frust in mir nicht sehen. Erst wenn ich meinen Arm ein wenig anwinkelte sah man sie.
Fünf.
Einen Strich für jedes Mal an dem ich in diesem Raum aufgewacht war.
Fünf.
Ich stellte mich gerade hin, straffte meine Schultern und ging zur Tür.
Öffnete sie.
Ging durch sie hindurch.
Wieder lag das Buch vor mir.
Ich hob es auf und legte es zur Seite. Nicht dafür war ich aus dem Raum gekommen. Nicht dafür.
Ich lief weiter.
Auf den Sessel zu.
Er lag wieder dort.
Der Mantel.
Der Mantel der mich beschützte.
Der Mantel der mich mit seinem Geruch umhüllte und wärmte. So das ich die Kälte, die Angst und die Grausamkeit um mich herum vergas.
So schnell es ging schlüpfte ich hinein und schlang ihn eng um meinen Körper.
Eine Weile stand ich so da. Die Arme um den Mantel geschlungen. Hielt ihn fest. Hielt mich fest.
Ganz fest.
Dann wanderte meine Hand in die rechte Tasche des Mantels.
Ich ertastete die Rasierklinge und zog sie hervor.
Betrachtete sie.
Klein, unscheinbar. Aber mit solch einer Kraft, das sie ganze Leben beenden könnte.
Ich atmete tief ein und wieder aus.
Dieses Mal würde es kaum weh tun. Sagte ich mir.
Dennoch hatte ich Angst. Angst vor dem was passieren könnte. Angst vor dem was passierte.
Mit mir.
Mit meinem Kopf.
Mit meinem Bewusstsein.
Langsam ließ ich die Klinge wieder sinken.
Zögerte.
Wollte ich das wirklich. Musste ich das tun.
Wahrscheinlich nicht.
Nein ganz sicher musste ich das nicht tun.
Aber was hätte ich sonst tun sollen?
Wenn ich die Tage die ich hier verbrachte nicht mitzuhalten würde ich verrückt werden.
Noch verrückter.
Also hob ich die Klinge wieder an.
Drehte sie noch einmal hin und her. Sah wie sie im Licht aufblitzte.
Scharf, schmerzhaft und unglaublich gefährlich.Ich hatte Recht gehabt. Dieses Mal tat es noch weniger weh als die Male davor. Auch das Blut war dieses Mal weniger gewesen. Nur der Anblick. Der Anblick war schlimmer gewesen. Der Anblick der Striemen.
Sechs.
Sechs Wunden.
Blutig, verkrustet.
Sechs.Die Tränen die ich weinte, raubten mir nicht den Atem. Ich erstickte nicht an ihnen. Ertrank nicht an der salzigen Flüssigkeit.
Die Tränen die ich weinte waren weich. Voller Schmerz, voller Trauer aber auch voller Befreiung.
Sie waren sanft und wunderschön. Vereinzelt liefen sie über meine Wangen und spiegelte das Licht, welches weiß auf mein Gesicht fiel.Die Schreie in meinem Inneren waren nicht so laut das ich sie zurückhalten musste. Sie wahren leise. So das sie als Schluchzer an die Oberfläche kamen und sich in der Stille des Raumes wie Seifenblasen auflösten.
Ich dachte nicht an den Tod. Dachte nicht daran wie ich sterben würde. Welche Schmerzen ich spüren würde oder wie lange ich noch zu leben hatte. Ich beetete auch nicht um mein Leben. Ich hatte keine Angst vor dem Tod. Keine Angst in das Licht zu gehen. Keine Angst davor was dahinter lag.
Ich wollte tanzen. In das Licht tanzen. Tanzen in das neue Leben. Ich wollte tanzen, so lange bis ich meine Füße nicht mehr spüren konnte.
So lange bis das Licht zu hell war um es zu ignorieren.
So lange bis alles was ich spürte die Wärme war. Und die Freiheit.
Die Freiheit, die mich umgab wie die Luft die leicht und süß schmeckte.
So wie wie Zuckerwatte an einem eiskalten Abend.
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24 Tage bis Morgen
SonstigesWas passiert wenn man die Tage nicht mehr auseinander halten kann? Wenn man nicht mehr weiß wann heute und wann morgen ist? Kaylie ist eingesperrt. Irgendwo. Keine Ahnung wo. 24 Tage verbringt sie dort, ohne Kontakt nach Draußen und ohne eine Ahnu...