Tag 20

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Mit geschlossenen Augen lag ich da.
Lag einfach nur da.
Atmete.
Spürte die Tränen die immer noch auf meiner Haut klebten.

Dann, langsam, schloß ich meine Hand.
Ich wollte ihn spüren.
Wollte seine Hand in meiner spüren.
So sehr.
Doch da war nichts.
Keine Hand, keine Haut, nicht mal Luft die sich irgendwie anders anfühlte.
Nichts.

Ich schluchtze.
Auch wenn ich es nicht wollte, auch wenn ich nicht wusste wieso ich weinte.
Ich schluchtze, weil es einfach weh tat.
Alles tat weh.
Es tat weh das ich ihn nicht spürte.
Es tat weh das ich nicht wusste ob er überhaupt da sein würde.
Es tat weh das er Tod war.
Es tat weh.
Es tat so unfassbar weh.

Als ich meine Augen nach einer Weile wieder öffnete, war alles was ich sah eine Masse aus verschwommenen Weiß.
Ich blinzelte ein paar Mal bevor die Masse verschwand und sich in die Decke das weißen Zimmers verwandelte.

Es sah nicht anders aus. Nichts hatte sich verändert.
Nur das Gefühl in meiner Brust war anders. Nicht mehr bedrückend und so als würde jemand mein Herz zusammendrücken. Es fühlte sich leichter an.
Freier.
So als wären jegliche Seile gerissen, als hätte jemand die Hand einfach weggeschlagen die mein Herz zusammengedrückt hatte.
Einfach so.

Ich richtete mich auf, drehte meinen Kopf.
Schaute in den Spiegel.
Das hatte ich lange nicht mehr getan.
In den Spiegel geschaut.
Mich angeschaut.
Ich sah nicht anders aus.
Immer noch ich.
Die gleichen Haare.
Die gleiche Haut.
Die gleichen Augen.
Und immer noch war ich nackt.
Entblößt.
Aber nicht mehr versteckt oder eingesperrt.
Ich betrachtete mich im Spiegel als ich jetzt aufstand.
Betrachtete meinen Körper, wie ich mich bewegte.
Wie meine Glieder sich bewegten.
Wie meine Haut sich spannte und kleine Falten bildete.

Und ich betrachtete meine Wunden, sie waren noch keine Narben. So konnte man sie nicht beschreiben. Sie waren noch sichtbar, einige verkrindet oder einfach nur rot.
Sie waren wunderschön, und doch zuckte ich innerlich zusammen als ich sah das sie sich schon fast bis zu meiner Taille gefressen hatten.

Ja gefressen.
Es war wie eine Plage.
Eine Sucht der ich nicht entrinnen konnte, nicht wollte.
Ich wollte nicht wieder den Schmerz spüren wenn ich aufhörte, den dieser Schmerz war nicht greifbar, die Schnitte auf meiner Haut waren es.
Greifbar
Kontrollierbar

Und doch fehlten ein paar.
Ich hatte es nicht kontrollieren können.
Seit Nalon aufgetaucht war, hatte ich es vergessen. Hatte nicht mehr den Drang dazu neue hinzuzufügen.
Hatte vergessen.
Hatte nur noch ihn gesehen.
Nur noch ihn gespürt.
Nur noch an ihn gedacht.

Mein Kopf drehte sich plötzlich und meine Augen stellten nicht mehr richtig scharf.
Ich schüttelte meinen Kopf.
Blinzelte.
Das Licht im Raum flackerte, obwohl es keine Lampen gab.
Es flackerte.
Dann hörte es wieder auf zu flackern, meine Augen stellten wieder scharf und mein Kopf hörte auf sich zu drehen.
Verwirrt starrte ich in den Spiegel.
Blinzelte.
Dann strich ich mir die Haare hinters Ohr und wandte mich zu gehen.

Als ich den Raum mit den Bücherregalen betrat zuckte ich kurz zusammen als eine Gestalt vor ihnen stand.
Doch als ich erkannte das es Nolan war entspannte sich mein Körper wieder und ich atmete durch.

Langsam ging ich auf ihn zu, griff im vorbei gehen den Mantel und streifte ihn mir über.
Ich stellte mich neben ihn, schaute ihn an, wie er da stand.
Die Hände in den Taschen seiner Jeans.
Barfuß
Wie beim ersten Mal als ich ihn gesehen hatte fiel meine Aufmerksamkeit wieder auf die Kette die um seinen Hals hing.
Die Muschel an ihr funkelte und glänzte so geheimnisvoll das ich sie Stundenlang beobachten könnte.

"Morgen Glasperle" Sagte er, ohne seinen Blick von dem Bücherregal zu nehmen.
Glasperle
Der Spitzname ließ einen heißen Schauer über meinen Rücken gehen.
Ich grinste.
Ich grinste wie ein kleines Kind das einen Lolli bekommen hatte.
Als ich Nolan wieder von der Seite anschaute sah ich das auch er grinste, so als ob er ganz genau wusste was er mit dem Namen in mir ausgelöst hatte.

Dann, von einem Moment auf den anderen wurde seine Miene wieder ernst.
"Es sind weniger."
Sagte er. Kurz musste ich überlegen was er meinte.
Dann fiel auch mir das Grinsen aus dem Gesicht.
Die Bücher.
Er hatte recht, es waren wirklich weniger.
Einige waren verschwunden.

Ich ließ meine Finger über die Buchrücken gleiten.

Plötzlich zuckte mein gesamter Körper zusammen.
Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen.
Meine Hände krallten sich an dem Regal fest.
Ich versuchte mich gerade zu halten.
Mein Blick suchte Nolan.
Wo war er?
Er war doch gerade noch neben mir gewesen?
"Nolan?!"

Es war ein Hilferuf.
Gott wo war er?
"Ich bin hier"
Mein Blick huschte suchend umher.
Dann sank mein Körper nach unten, mein Kopf knallte auf dem Boden auf und das letzte was ich sah waren Nolans Hände die versuchten mich aufzufangen.

Rote Blitze durchzuckten das schwarz meiner geschlossenen Augen.
Ein piepen
Stimmen
Mein Körper zuckte unkontrolliert.
Noch mehr Stimmen.
Rufe
Sie waren gedämpft, so als wären sie hinter einer dicken undurchdränglichen Schicht aus Glas und Rauch.
Ich versuchte ruhig zu atmen.
Doch ich konnte nicht richtig Luft holen, irgendetwas war in meinem Mund.
Irgendetwas verhinderte das ich ihn schließen konnte.

Für einen Moment versuchte ich meine Augen zu öffnen.
Doch dann wurde mein Körper wieder träge, sackte in sich zusammen.
Mein Gedanken wurden träge.
Die Geräusche um mich herum wurden leiser, das piepen verstummte und das schwarze hinter meinen geschlossene Augen breitete sich wieder aus bis ich nichts mehr anderes sah.
Nichts anderes mehr spürte.

"Kaylie... Kaylie!!"
Ich hörte Nolans Stimme meinen Namen rufen, spürte wie irgendetwas gegen meinen Kopf schlug.

Als ich meine Augen öffnete war ich wieder in dem Raum.
Ich lag auf dem Boden vor einem Bücherregal.
Ein Buch traf mich am Kopf.
"Kaylie!"
"Au!"

Empört schaute ich woher das Geschoss geflogen kam und funkelte Nolan böse an.
"Sorry" Sagte er bedauernd und zuckte mit den Achseln.
"Alles in Ordnung?"
"Ja... ich glaube schon"
Antwortete ich und fasste mir an die Stelle an der mich das Buch getroffen hatte.

Immer noch verwirrt stand ich auf und steuerte einen der Sessel an.
Kurz bevor ich ihn erreicht hatte, drehte ich mich noch einmal nach Nolan um.
Er war nur ein paar Schritte hinter mir, schaute mich an, in seinen Augen lagen Besorgnis und Erleichterung zu gleich.
Und dann ohne eine Vorwarnug, löste er sich auf.
Einfach so.
Er löste sich auf und ließ nichts zurück, außer einem heißen Schauer der sich auf meinem geantwortet Körper ausbreitete und dem Gefühl eines Kusses auf meiner Wange.

24 Tage bis MorgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt